Beim Bettenausschütteln entdecke ich ihn und bin mit einem Schlag hellwach. Er drückt sich im Hof herum, möchte vermutlich unerkannt bleiben, nur mal eben rasch das Terrain sondieren. Aber die kräftige 11-Uhr-Sonne entlarvt ihn schonungslos. Jetzt hat ihn auch der mürrische Rentner aus dem Seitenflügel entdeckt, selbst er kann sich ein versonnenes Lächeln nicht verkneifen. Unten im Hof kräht ein Dreijähriger, zerrt an der Jacke seines Vaters, damit der ebenfalls Notiz von dem willkommenen Eindringling nimmt.
Meine Frau kommt ins Zimmer, verschwörerisch winke ich sie zu mir: »Spürst du es auch?« flüstere ich ihr ins Ohr. »Spürst du den Frühling da draußen?« Sie blinzelt kurz in die Sonne, löst sich aus meiner Umarmung, schließt das Fenster. »Frühling ist dann, wenn ich nicht mehr zwei T-Shirts und Leggins drunterziehen muss.« Und ist mit den Worten »komm frühstücken« schon wieder aus dem plötzlich ziemlich zugigen Zimmer verschwunden.
Hätte sie nicht wenigstens sagen können, Frühling ist es, wenn die Kirschbäume endlich blühen, oder etwas Ähnliches - wo sie doch aus Japan kommt? Frauen, das wache Geschlecht, denke ich, während ich gähnend ins Badezimmer schlurfe. Die Fliesen sind eiskalt, trotz meiner dicken Wollsocken. Durch die trüben Scheiben sehe ich die Ulme im Hof, so kahl wie Ende November. Oder ist das eine Esche? Jedenfalls kein Kirschbaum. Schade eigentlich.
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