Das war 2009 (Teil I)

A-Z Spezial Was wird uns vom Jahr 2009 in Erinnerung bleiben? Ein Spezial-Lexikon der Gegenwart in drei Teilen. Auftakt: Von A wie Antiatomsticker bis G wie Grippe

Anti-Atomsticker Er hat so etwas Positives, Freundliches. Eine rote Sonne mit breitem Lächeln auf gelbem Untergrund. Dazu in schwarzer Schrift: „Atomkraft?“ Gefolgt von einem entschiedenen „Nein Danke.“ Die BWL-Studentin Anna Lund entwarf 1975 das Anti-Atomlogo im dänischen Aarhus. Es ist wohl seine Schlichtheit und Direktheit, die es zu einem der bekanntesten Protest-Symbolen der Welt machte, übersetzt in 40 Sprachen, millionenfach als Aufkleber und Fahne verbreitet. In Deutschland begleitete der Sticker den Aufstieg der Grünen von der Protestbewegung zur Regierungspartei, er gab der 80er-Jahre-Angst nach Tschernobyl ein Gesicht und wirkte doch oft nur wie eine nette Erinnerung an die wilden Siebziger. Nachdem man ihn bereits ins „Haus der Geschichte“ verabschiedet hatte, war er in diesem Jahr wieder auf den Straßen zu sehen. Anfang September zogen 40.000 Demonstranten durch Berlin, um davor zu warnen, nach der Bundestagswahl den beschlossenen Ausstieg wieder aufzuweichen. Es war die größte Anti-Atomdemo seit Jahren. Allerdings verhallte der Protest ungehört. Die schwarz-gelbe Regierung will die Restlaufzeiten der AKWs verlängern und berief erst unlängst einen Atomlobbyisten zum Chef für Reaktorsicherheit. Auch wenn die rote Sonne noch so freundlich lächelt – irgendwie ist es traurig, dass sie wieder, dass sie immer noch da ist. Jan Pfaff

Beretta Im sonnigen Val Gardone del Trompia bei Brescia ist der Sitz des traditionsreichen Familienunternehmens Fabbrica d’Armi Pietro Beretta, das mittlerweile in der 14. Generation geleitet wird. Vorzeigeprodukt des Schusswaffenherstellers ist die halbautomatische Beretta 92 – die Dienstwaffe der US-amerikanischen Polizei. Sie arbeitet mit dem sogenannten Schwenkriegelverschluss: nach dem Abfeuern der letzten Patrone hält ein Fanghebel den Verschluss, wodurch ein schneller Magazinwechsel ermöglicht wird. Die Pistole verfügt zudem über einen Spannabzug und ist damit auch im entspannten Zustand sofort einsatzbereit. Am 11. März 2009 nutzte der 17-jährige Tim K. in Winnenden die Beretta 92, um 15 Menschen zu erschießen und sich selbst zu richten. Mikael Krogerus

Frau Sie ist 32 Jahre, kommt aus Wiesbaden-Kohlheck, hat sich am ersten Tag am altsprachlichen Gymnasium blitzklug in die zweite Reihe gesetzt, vorne, aber nicht ganz (Stern), sie ist blond(iert), trägt die Haare ansonsten schulterlang, an den Spitzen ein frecher Schwipp-Schwung, sie fährt Mini, hat einen Verlobten, den sie alsbald selbstverständlich heiraten wird, (wo kämen wir denn sonst hin, wo wir jetzt an der Macht sind), sie hat ein „Besser-als-Eins“-Abi, wollte schon mit 14 Jahren in die Politik, äh CDU, hat eine Spezialität der Backkunst aufzubieten: die Fanta-Torte, sie steht nach Auskunft ihres (älteren) Bruders mal am linken, mal am rechten Rand der Partei, sie ist also positionsfrei flexibel, geht shoppen und hat bei einem medienaffinen Doktorvater promoviert. Sie ist Kristina Köhler. Die neue Bundesfamilienministerin. Die Verkörperung des aktualisierten konservativen Vorzeigefrauenbildes. Ein perfektes Feindbild. Fehlt nur noch das Kind. Aber das kommt dann zum nächsten Wahlkampf. Spätestens. Susanne Lang

Film des JahresInglorious Basterds. Was, der Film, in dem ein jüdisches Killerkommando vorzeitig die Nazidiktatur beendet? Das ist doch nicht der Film des Jahres! Ja, warum denn nicht? Vielleicht, weil das arglose Verrühren von Spaghetti-Western und Nazikitsch etwas ungewohnt ist. Vielleicht, weil Deutsche gern die Deutungshoheit über ihre eigene schreckliche Geschichte behalten. Und vielleicht, weil der Film sich in einer Art über die Deutschen lustig macht, die nur Ausländer verstehen. Es begann schon damit, dass der Regisseur Quentin Tarantino zum Großteil die Deutschen (absichtlich?) mit grottenschlechten Schauspielern besetzte (Til Schweiger, Diane Kruger, mit Abstrichen: Daniel Brühl). Brillante Ausnahme: den soziopathischen Judenjäger Hans Landa spielt der – Achtung – Österreicher Christoph Waltz, der für diese grandiose Darstellung einen Oscar kassieren dürfte. Die Bizarr-Debatte über die „Filmästhetik jenseits aller moralischen Absicht“ (Zeit), wird dem ausgezeichnet gemachten Film nicht gerecht. Inglorious Basterds ist schrill, roh, saftig und inspirierend a-historisch. Und das Beste: man verlässt den Kinosaal auffallend beschwingt sowie zuversichtlich, dass das Gute am Ende doch siegen wird. MK

Grippe War da was? Ach ja: Die Schweineinfluenza. Hat manche mehr, manche nicht so sehr beschäftigt. SL

Lesen Sie morgen Teil II unseres Rückblicks: von H wie Hoeness (Ulrich, nicht Dieter) bis zu P wie Puppe des Jahres.

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