Freitag: Frau Hogefeld, in Ihrem Prozess vor drei Jahren fragten Sie im Schlussplädoyer: "Wie konnte es dazu kommen, dass Menschen, die aufstanden, um für eine gerechte und menschliche Welt zu kämpfen, sich so weit von ihren Idealen entfernten?" Haben Sie inzwischen eine Antwort gefunden?
Birgit Hogefeld: Man kann das nur schwer beantworten. Als Joschka Fischer sich im Zusammenhang mit der Intervention in Jugoslawien hingestellt hat und sagte: "Wir haben nicht nur gelernt, nie wieder Auschwitz, sondern auch nie wieder Krieg", habe ich mir überlegt, dass das auch die Parolen der bewaffneten Gruppen aus den 70er und 80er Jahren waren. Im Prinzip hat er nichts anderes gemacht, als wir damals. Nur dass er es grotesker Weise heute als Außenminister bringt.
Wie meinen Sie das?
Wir dachten, Dinge machen zu müssen, die moralisch nicht zu rechtfertigen sind, weil wir glaubten, damit dazu beizutragen, Kriege und die elende Lebenssituation von Millionen Menschen weltweit zu verändern - täglich verhungern allein 40.000 Kinder. Die RAF war ja nie eine Organisation, der Leichen egal waren. Das war immer ein Abwägen - wobei ich heute denke, es war ein völlig falsches. Heute weiss ich, dass einerseits die Isolierung der RAF ein Fehler war, und andererseits die Eskalation der Mittel.
Trotzdem bezeichnen Sie die Beziehung RAF - Staat nach wie vor als einen Krieg, in dem beide Seiten Schuld auf sich geladen haben.
Aber was ist es denn sonst, wenn sich zwei Seiten mit Gewalt bekämpfen und jede Seite gewinnen will, wie nennt man das sonst, wenn nicht Krieg? Natürlich befinde ich mich heute nicht mehr im Krieg mit dem Staat. Aber ich muß doch sehen, wie die ganze Entwicklung in den 70er und 80er Jahren gelaufen ist. Wenn ich heute die Zeitung aufschlage und sehe die Schlagzeilen über die Entschädigung der Zwangsarbeiter, dann weiß ich plötzlich wieder unheimlich viel über die Motivationen meiner Generation.
Sie haben Ihre Schuld eingestanden. Akzeptieren Sie Ihre Strafe?
Wenn man meint, dass man jemandem, der in der RAF war, auf jeden Fall lebenslänglich geben sollte - und am besten noch länger -, dann war es mit Sicherheit gerecht.
...soll heißen: Sie empfinden Ihre Strafe nicht als gerecht?
Ja, Entschuldigung. Ich bin groß geworden, mit Eltern, Nachbarn, Onkeln, einer ganzen Umwelt, die Völkermord im massivsten Sinne begangen hatten. Von denen ist kein Mensch zur Rechenschaft gezogen worden.
Ihrer Ansicht nach konnte Ihnen die Staatsanwaltschaft Ihre Tatbeteiligungen im Einzelnen nicht nachweisen. Hätten Sie ein anderes Verhältnis zu Ihrer Strafe, wenn man Ihre Schuld konkret bewiesen hätte?
Nein, das würde meine Meinung überhaupt nicht ändern. Dass meine Verurteilung auch ohne irgendwelche Beweise möglich war, hat natürlich meine Vorurteile bestätigt. Aber ich halte das Grundprinzip für eine Absurdität. Die Entstehung der RAF war ja ein gesellschaftliches Problem - deren Abwicklung am Ende aber ein rein juristisches. Eine solche politische, kriegerische Auseinandersetzung wie zwischen RAF und Staat kann man nicht nach dem Strafrecht beurteilen.
Was für eine Auseinandersetzung mit der RAF hätten Sie sich statt dessen gewünscht?
Ich hätte mich zum Beispiel unheimlich gern mit einem damals verantwortlichen Politiker an einen Tisch gesetzt und gesagt: "So, jetzt reden wir mal über '77." Das wäre interessant gewesen. Beide Seiten zusammen zu bringen und zu diskutieren.
Haben Sie jemals gezweifelt, ob es richtig ist, keine Aussagen zu machen?
Nein. Das ist ein Lebensweg, in dem man Schuld auf sich geladen hat, aber man hat auch die Verantwortung übernommen. Aussagen würden nur dazu führen, dass ich frei käme und andere Leute verhaftet werden. Aber ich bin nicht der Meinung, dass ein anderer für mich hier sitzen sollte. Da muss ich jetzt durch. Was anderes wäre es, wenn ich wüsste, dass heute eine Aktion geplant ist. Da würde ich bestimmt sehr intensiv nachdenken, wie ich das verhindern kann - allerdings ohne jemanden ans Messer zu liefern.
Da Sie nicht die Kronzeugenregelung in Anspruch genommen haben, sind Ihre Chancen, in absehbarer Zeit aus dem Knast zu kommen, sehr gering. Gab es für Sie schon Momente, in denen Sie Ihre Hoffnung und Ihren Lebensmut aufgegeben haben?
Natürlich denkt jeder, der eine längere Zeit im Knast sitzt, irgendwann mal an Suizid. Wenn ich wüsste, dass ich immer im Knast bleiben müsste, würde ich mir das hier nicht antun. Ich gehe aber davon aus, dass ich irgendwann raus komme.
Wenn Sie selbst schon einmal Selbstmordgedanken hatten, warum schliessen Sie dann aus, dass sich Baader, Ensslin und Raspe 1977 selbst umgebracht haben?
Ich schliesse es gar nicht aus. Zu der damaligen Zeit war ich der Meinung, dass sie umgebracht worden sind. Heute weiss ich es nicht mehr so genau.
Und bei Wolfgang Grams?
Da bin ich mir allerdings sicher, dass er ermordet worden ist. Die Fakten, Zeugen und das ärztliche Gutachten sind da eindeutig. Wie soll denn ein Mann, der in den Bauch getroffen ist und Streifschüsse in den Beinen hat, sich im Fallen noch selbst erschiessen?
Sie kannten Grams 20 Jahre, 11 Jahre davon hatten Sie eine Beziehung. Wer hat wen zur RAF gebracht?
Bei mir hieß es ja immer"...und folgte ihrem Geliebten in den Untergrund". Ich finde das aber absurd, andere für den eigenen Lebensweg verantwortlich zu machen. Alle Entscheidungen, auch die alle falschen, habe ich selber getroffen.
Was vermissen Sie im Gefängnis am meisten?
Am meisten vermisse ich die Beziehung zu Menschen, mit denen ich auch über mich reden kann. Ich habe hier zu den verschiedensten Menschen freundschaftlichen Kontakt. Aber das ist vielleicht wie bei Ihnen, mit den Nachbarn. Man hilft sich gegenseitig aus und kann durchaus auch mal einen netten Abend miteinander verbringen. Allerdings ist das nicht das gleiche wie mit richtigen Freunden.
Haben Sie noch Verbindung zu den anderen RAF-Inhaftierten?
Nein. Da gibt es unausgesprochene Differenzen. Diese ganzen kritischen und selbstkritischen Dinge, die ich während des Prozesses gesagt habe, werden da nicht toleriert. Die RAF war eben nie eine besonders diskussionsfreudige Organisation, in der irgendwelche Widersprüche ausgetragen wurden.
Die inhaftieren RAF-Terroristen haben sich früher über die verschärften Haftbedingungen beklagt. Werden Sie immer noch anders behandelt als "normale" Gefangene?
Ich war nur das erste Jahr in Isolationshaft. Inzwischen werde ich hier behandelt wie alle anderen. Wo es sich noch unterscheidet, ist bei dem Kontakt zu den Rechtsanwälten, der nach wie vor nur durch eine Panzerglas-Trennscheibe möglich ist. Das sind diese Gesetze aus den 70ern. Völlig absurd.
Hoffen Sie auf Hafterleichterungen?
Ja. Denn die politische Linie gegenüber uns Häftlingen lautet ja angeblich "Normalität". Und Vollzugslockerungen wären normal.
Das Gespräch führte Martin Schmitz
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