„Das“ Weib: Artikel sind nicht neutral

Bewusstsein Der Widerstand gegen die gendersensible Sprache ist ermüdend. Sie ist eine Bereicherung für die deutsche Sprache und wirkt
Ausgabe 11/2019
Wieso, weshalb, warum regt ihr euch so auf?
Wieso, weshalb, warum regt ihr euch so auf?

Grafik: der Freitag

Keine öffentliche Diskussion scheint mit so wenig Wissen-(schaft) auszukommen wie die über Sprache. Hier tummeln sich Hunderte selbsternannter Fachleute, sogenannte Sprachexperten, ja sogar Sprachpäpste, die ihre Befindlichkeiten und Laienansichten zu linguistischen Tatsachen erheben. So auch der aktuelle „Aufruf zum Widerstand“ gegen eine gendersensible Sprache. Nichts davon ist linguistisch haltbar, und alles, was da behauptet wird, wiederholt sich seit Jahrzehnten. Es langweilt. Und dennoch muss sich die Linguistik zu Wort melden, zumindest für die, die Argumenten noch zugänglich sind.

Die absurdeste aller Behauptungen nennt sich „Generalirrtum“: Hier wird der enge, jahrhundertealte Bezug zwischen grammatischem (Genus) und sogenanntem natürlichen Geschlecht weggezaubert. Der Politiker bezeichne folglich ebensogut eine Frau. Dabei besteht beim Genus von Personenbezeichnungen keine größere Regularität als der Verweis auf das Geschlecht, dies gilt für fast 100 Prozent dieser Wörter. Anglizismen werden diesem Prinzip so selbstverständlich untergeordnet, dass es nicht einmal auffällt (die Queen, der Boy). Bei Tieren ebbt diese Beziehung ab. Niemand in der Linguistik hat jemals behauptet, dass der Frosch ein Männchen sein müsse und die Schnake ein Weibchen. Das aber unterstellt der „Aufruf“, wenn er von Löwen, Pferden und Giraffen schwadroniert.

Gerade weil der Verweis von Genus auf Geschlecht so zuverlässig ist, sind die vermeintlichen Ausnahmen wie das Weib oder die Tunte bei genauerem Hinsehen gar keine. Vielmehr bestätigen sie ihn besonders drastisch. Mit der grammatischen „Fehleinordnung“ wird gesellschaftliches „Fehlverhalten“ sanktioniert: die Memme stellt Männer aus, die ihrer Geschlechtsrolle nicht nachkommen, die Tunte solche, die nach überkommener Meinung das „falsche Geschlecht“ begehren und sich insofern „wie Frauen“ verhalten. Deshalb werden sie ins Femininum verfrachtet. Diese Tatsache berichtet uns viel darüber, was Geschlecht eigentlich ausmacht beziehungsweise ausgemacht hat, und genau hier wird es eigentlich interessant. Für „verfehlende“ Frauen eignet sich nicht das Maskulinum, da es das Genus für die hierarchisch höherstehende männliche Geschlechtsklasse ist. Vielmehr kommt das Neutrum zum Einsatz, das vor allem Babys, Tiere und Objekte bezeichnet. Hier werden Frauen einsortiert, die verachtet (das Weib, das Mensch) oder sexualisiert und damit objektifiziert werden (das Playmate). Auch die Rede von das Merkel fällt in diese Rubrik: Im Neutrum wird sie durchgehend als Versagerin dargestellt.

So nimmt es nicht wunder, dass maskuline Berufs- und Rollenbezeichnungen mehrheitlich männlich verstanden werden. Dies wurde in über einem Dutzend wissenschaftlicher Experimente längst nachgewiesen. Ausgeglichenere Werte erzielen dagegen immer die Pluralformen, weil sie grundsätzlich kein Genus anzeigen. Für das Sprechen und Schreiben folgt daraus, dass das sogenannte generische Maskulinum vor allem im Singular zu vermeiden ist, wenn man beide Geschlechter bezeichnen möchte. Dafür gibt es eine Reihe von Alternativen (und nicht nur eine einzige), die derzeit ausprobiert werden und die deutsche Sprache nur bereichern.

Damaris Nübling ist Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen und Ko-Autorin von Genderlinguistik. Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht (Narr-Verlag 2018)

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