Für die einen verkörpert Podemos genau das, was in Deutschland fehlt. „Ein positiver Populismus von links, der die demokratischen und sozialen Rechte der normalen Leute gegenüber Eliten und Oligarchen artikuliert – und der diese Aufgabe nicht den Rechten überlässt“, so hat es kürzlich Freitag-Verleger Jakob Augstein beschrieben. Die anderen bleiben skeptisch gegenüber dem positiven Staatsbegriff und dem erklärten Machtstreben, für die Podemos und eine Führungsfigur wie Pablo Iglesias stehen.
Was mitteleuropäische Linke am meisten frappieren dürfte, wenn sie dem Podemos-Frontmann zuhören, ist der Umstand, dass der Charismatiker mit Kategorien hantiert, deren Wahlverwandtschaft mit autoritären Ideologien historisch belegt ist. „Heimat“ zum Beispiel. Der Begriff ist für Iglesias weder ein Schlagwort, das die Verlustängste von Modernisierungsverlierern und Modernisierungsverweigerern und ihre illusionären Sehnsüchte auf einen Nenner bringt, noch ein Marketingslogan, den man mit España-Anstecknadeln oder Catalunya-Armbändchen vor sich herträgt.
Oben-Unten-Topos
Für Iglesias ist Heimat eine Gemeinschaft, die dem Volk – den einfachen, hart arbeitenden Leuten – Schutz bietet. Er scheut sich nicht zu zeigen, dass er auf diese Heimat und dieses Volk stolz ist . Handelt es sich um eine Heimat- und Volkstümelei, wie man sie auch bei Christoph Blochers Schweizerischer Volkspartei (SVP), Heinz-Christian Straches FPÖ oder Marine Le Pens Front National (FN) findet? Nicht umsonst erkennt der Populismusforscher Paul Taggart darin das Kernstück des Populismus: ein oftmals geschichtsmythologisch herbeigeredetes Heartland, das als ideologischer Sehnsuchtsort und solidarische Lebenswelt gleichermaßen fungiert. Dieses sei – beteuern die Parteigänger einer solchen Weltsicht – durch externe Bedrohungen, durch das Establishment, durch Eurokraten, nicht integrationsfähige Minderheiten, multinationale Unternehmen und korrupte Politiker gefährdet.
Auch Iglesias’ Heimat- und Volksrhetorik unterliegt einer binären Struktur – hier das vitale Volk und die eigentliche Heimat, dort die privilegierte Finanz- und Politikelite, „die Kaste“, die für die krisenhaften Verhältnisse der Gegenwart zuständig ist. Allerdings werden diese vagen Identifikationsbegriffe bei ihm anders signifiziert als bei Blocher, Strache oder Le Pen. Es sind keineswegs indigene Bauern, ethnisch homogene Kleinfamilien, brave Arbeiter und verantwortungsvolle Unternehmer alter Schule, die ein Monopol auf die Repräsentation des Volkes und seiner Heimat innehaben. Die Heimat- und Volksbegriffe von Podemos sind vielfältiger und offener. So bleibt der binäre Oben-Unten-Gegensatz in den Reden von Iglesias erhalten, wird aber mit linken Inhalten gefüllt. „Die Heimat ist jene Gemeinschaft, die sich dem sozialen Schutz aller Bürger verpflichtet fühlt, die nationale Vielfältigkeit anerkennt und allen Kindern, egal welcher Hautfarbe, die öffentliche Schule garantiert. Die Heimat ist jene Gemeinschaft, die den Kranken die besten Krankenhäuser mit den besten Medikamenten bereitstellt.“
Die Offenheit des Populismus von Podemos wird jedoch nicht allein durch die Präsenz linker Forderungen und eine Absenz rassistischer Motive garantiert. Entscheidend ist vielmehr, dass der Volksbegriff von Podemos kein Essenzbegriff ist, sondern in Relation zu anderen Begriffen entworfen wird. Das „Volk“, für das die Protestpartei einsteht, hat keinen anderen gemeinsamen Nenner als den Gegensatz zu den Eliten. Wie der Parteistratege Íñigo Errejón betont, liegt der Erfolgsschlüssel des Linkspopulismus darin, ein „weiches Wir“ von einem „harten Sie“ abzugrenzen. Während also zum Volk jeder und jede gehören kann, es gewollt schwammig und heterogen bleibt, wird der „Feind“ unmissverständlich mit den privilegierten Oberschichten identifiziert, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern.
Die Pointe dieses populistischen Freund-Feind-Schemas – das hat der argentinische Politiktheoretiker und intellektuelle Ziehvater der Podemos-Führung, Ernesto Laclau, gezeigt – besteht darin, dass es sich um ein antagonistisches Verhältnis handelt. Damit ist gemeint, dass der Gegensatz von Volk und Establishment nicht als ideologischer Ausdruck einer gegebenen sozialen Gruppe gedacht werden darf. Die Ungleichheit zwischen denen „von unten“ und denen „von oben“ ist nicht naturgegeben, sondern politisch begründet – und damit umkehrbar. In diesem Sinne wird in den Reden der Podemos-Politiker der Oben-Unten-Topos stets mit progressiven Motiven verflochten. Sie reichen vom breiten Ermächtigungsruf des Sí se puede! (Ja, man kann!) bis hin zum Verlangen nach einem proceso constituyente (verfassungsgebenden Prozess), der die Gesellschaftsordnung von Grund auf zur Disposition stellen würde.
Die linkspopulistische Metapher „unten gegen oben“ beschreibt somit ein politisch eingerichtetes Verhältnis, das auch klassische Konfliktlinien miteinschließt. Es geht Podemos gleichsam darum, den Antagonismus von Volk und Establishment als großen Kreuzungspunkt zu profilieren, in dem sich die Differenzen zwischen Arbeit und Kapital, Zentrum und Peripherie, Jung und Alt, auch Umwelt und Kapital treffen. Wenn an den Meetings von Podemos eines besonders auffällt, so ist es ihre Volkstümlichkeit, die bunte Mischung aller möglichen Bevölkerungsgruppen, von Jungen und Alten, Migranten und Spaniern, moderaten und kategorisch linken Positionen.
Die Überzeugungskraft, die das politische Projekt von Podemos in Spanien derzeit entfaltet, lässt sich auf eine spezifische Gelegenheitsstruktur zurückführen. Sie kommt nicht nur in Spanien vor – ist aber gerade in diesem Land besonders stark ausgeprägt. Podemos füllt ein politisches Vakuum, das durch eine an der Mitte der Gesellschaft orientierte sozialdemokratische Volkspartei PSOE sowie durch den Zusammenbruch des Kommunismus entstanden ist. Darüber hinaus profitiert Podemos davon, dass eine neoliberale Austeritätspolitik die im Vergleich zu Mittel- und Nordeuropa ohnehin schwachen sozialstaatlichen Institutionen Spaniens geschleift hat. Dies rief heftige zivilgesellschaftliche Gegenwehr hervor, zu deren institutionellem Sprachrohr Podemos avanciert ist. Schließlich stellt die linkspopulistische Partei nicht nur die Hegemonie des Neoliberalismus in Frage, sondern bestreitet auch dessen vermeintliche Alternativlosigkeit. Daraus folgt, Demokratie erschöpft sich für Podemos nicht in Good Governance, nicht in der möglichst effizienten Verwaltung tradierter Verhältnisse. Vielmehr reklamiert Podemos einen emphatischen Politikbegriff und insistiert, dass in einer Demokratie die sozialen Verhältnisse zur Debatte stehen.
Unverzichtbar sein
Mit Blick auf die Zukunft, die weit über die Neuwahlen am 26. Juni hinausgeht, steht der spanische Linkspopulismus nun vor drei Schlüsselfragen. Erstens stellt sich Podemos die strategische Frage, wie die Partei vom Protestphänomen zur Dauererscheinung werden kann. Wie sie zur Massenbewegung mit Mehrheitsanspruch aufsteigen kann. Und mit welchen Inhalten, Organisationsformen und Partnern ihr dies gelingen sollte. Denn Podemos muss erst noch das entfalten, was einst die deutsche Sozialdemokratie oder der italienische Partito Comunista (PCI) unter dem Generalsekretär Enrico Berlinguer besaßen – eine kulturelle Aura und Anziehungskraft, um unterschiedlichste soziale Milieus auf Dauer so zu binden, dass die Partei für deren Emanzipation unverzichtbar ist.
Sodann ist Podemos mit der „sozialen Frage“ konfrontiert, was linkes Regieren heute heißt. Die Beispiele der großen Städte wie Barcelona und Madrid, in denen seit Mai 2015 linke Plattformen die Geschäfte führen, zeigen, wie schwierig es ist, hier tatsächlich für eine Wende zu sorgen. Dass Budgets zunächst sozialen Bedürfnissen genügen oder öffentliche Teilhabe an kommunalen Entscheidungen zur Normalität wird, das kann nur gegen heftigen Widerstand erstritten werden. Dabei kommt die Kritik nicht nur vom politischen Gegner, sondern ebenso von Wirtschaftslobbyisten und einem medialen Establishment, das sich herausgefordert fühlt, wenn Veränderungen substanzieller Natur sind. So stünde auch eine von Podemos angeführte Regierung in Madrid vor der Herausforderung, ihren sozialen Notfallplan gegen mächtige Gegeninteressen durchzusetzen. Dafür müsste man zweifellos Kompromisse eingehen, aber auch Beharrungsvermögen zeigen, das auf den außerparlamentarischen Rückhalt der sozialen Bewegungen angewiesen sein dürfte.
Es ist und bleibt die entscheidende demokratische Kausalität: Podemos wäre undenkbar ohne jene weitverbreiteten Proteste der Indignados (Empörten), die seit 2011 von der Devise des „Sie repräsentieren uns nicht!“ nicht ablassen, weil die Demokratie gerade dann ohnmächtig blieb, als sie am notwendigsten war – in der schwersten Wirtschaftskrise der vergangenen 50 Jahre. Podemos stieg deshalb auf, weil die Partei der krisengeschädigten Mehrheit zu Bewusstsein brachte, sich auf das Grundprinzip einer direkten Demokratie zu besinnen, was Gesetzgebung einschließen kann.
Das klingt pathetisch, aber es ist genau dieses Pathos, das sich Podemos erhalten muss, um noch zu wachsen. Der linkspopulistische Zauber liegt in dem demokratischen Versprechen, die sozialen Verhältnisse können sich ändern, wenn wir es möchten. Wobei dieses „Wir“ – dieses Volk – eine politische Gemeinschaft ist, die Konflikte nicht scheut, immer wieder hergestellt werden muss – und damit konstitutiv offen bleibt.
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