Das Wesen als Witz

Kolumne Eine Ästhetik des Hässlichen macht bestimmte Arten für den Menschen interessant. Doch diese Tiere werden oft überschätzt. Zum Beispiel die Fledermaus

Der Sinn für Ästhetik gilt vielen Zweibeinern als zutiefst eigene, exklusiv menschliche Eigenschaft. Es ist allerdings schwer zu übersehen, dass es keinen Konsens über diesen so besonderen Hang zur Ästhetik gibt. Entsprechend ist dieser Hang nicht zwangsläufig in jeder Wahl und in allen Entscheidungen erkennbar, die Menschen treffen. Das gilt nicht zuletzt für die Betrachtung von Tieren.

Denn während Araberpferde und Raubkatzen seit jeher als ästhetische Wesen von großer Anmut gelten dürften, lässt sich immer wieder ein Trend hin zum Hässlichen oder Skurrilen erkennen. Der Nacktmull etwa hat sich von einem fast blinden, beflaumten Hautschlauch auf Beinen zu einem angebeteten Kultobjekt entwickelt. Abgesehen von seinem obszönen Äußeren sind Fans längst auch von der sozialen Ästhetik des Mulls betört – hat dieses unterirdisch lebende Wesen doch geschafft, was der Mensch nie schaffen wird, zum Beispiel dauerhafte matriarchalische Diktaturen errichtet, in denen ein weibliches Subjekt die anderen Tiere zu Objekten degradieren darf. Davon abgesehen erkrankt das Tier nie an Krebs und wird mit gut 28 Jahren absurd alt (für einen Nager jedenfalls). Aber hat man den Mull, nur weil man ihn zuerst bloß hässlich fand, „unterschätzt“, wie es in den Medien immer wieder heißt, zuletzt unter dem Schlagwort „Säbelzahn-Würstchen“ (Zeit-­Online)? Werden Tiere, die in unterirdischen Gängen leben und sich von einer einzelnen Frau herumkommandieren lassen, nicht eher überschätzt?

Fledermausohren

Hässlich ist der Nacktmull ja immer noch. Genauso wie die Französische Bulldogge, eine ausnehmend beliebte Hunderasse, entstanden durch das züchterische Geschick der berühmten Weber und Spitzenklöppler in der Normandie des 19. Jahrhunderts. Leider sieht das Resultat wie ein Unfall aus. Klein, massig, die Beine zu kurz (vorne sogar kürzer als hinten), das Gesicht wie vor die Wand gefahren, mit einem brachycephalischem Unterkiefer (fachdeutsch für Vorbiss) und brachial vorstehenden Augen. Es gibt noch mehr Absonderliches an diesem Bodybuilder-Mops, aber entscheidend sind die sogenannten Fledermausohren, denn sie spiegeln das ganze ambivalente Verhältnis des Menschen zu diesem – und nicht nur zu diesem – hässlichen Tier. Der Fledermausohren wegen hatte die Französische Bulldogge nämlich zunächst gravierende Akzeptanzprobleme. Und genau dieser Fledermausohren wegen wird sie heute geliebt und in Fanclubs gefeiert. Wie kommt das?

Ästhetik des Hässlichen

Es könnte was mit echten Fleder­mäusen zu tun haben, von denen der Mensch hingerissen ist, zwischen denen er früher aber hin- und hergerissen war. Denn Fledermäuse sind, weil sie Zuchthunde an Schönheit kaum übertreffen und wie der Mull meist in der Lichtlosigkeit hausen, auf besondere Fähigkeiten angewiesen. Sie können mit ihren Ohren sehen. Manche ernähren sich von Blut und registrieren zu­sätzlich zum Echo des Schalls die In­frarotstrahlung warmer Objekte. So wissen sie, wo sie hinbeißen müssen. Immerhin gibt es ein paar schön­geistige Fledermaus­arten, die ihre übersinnlichen Ohren dafür nutzen, Pflanzen zu bestäuben.

Schöner werden sie dadurch nicht, und Bienen können es besser. Trotzdem vergeht kaum eine Woche, ohne dass die großen Wissenschaftsjournale Er­gebnisse aus der Fledermausforschung ankündigen. Es muss eine Ästhetik des Hässlichen geben, die dem Menschen Respekt einflößt und ihn dazu bringt, das Hässliche zu verteidigen und zu schützen – während ihm die Qual vertrauter Tiere bis heute eher wenige Probleme bereitet. Das ist auch entlavend, denn Schutz und Überschätzung lässt man jenen angedeihen, denen man sich besonders nahe fühlt.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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