Das Wort Arbeit streiche ich aus meiner Sprache

Das Recht auf Faulheit "Glückliche Arbeitslose" über ein Lebenskonzept ohne Zwang zur Lohnarbeit. Mehr als eine praktische Verweigerung.

Achtzehnjährige sind es selten, die Neugier zeigen auf das, was die Glücklichen Arbeitslosen in ihrem Manifest oder in ihrer Publikation Müßigganster zu sagen haben. Vermutlich bauen sie noch darauf, ihre eigene Methode zu finden, um sich auf dem Markt zu behaupten. Auch wenn sie wissen, wie eng ihr Spielraum sein wird. Am meisten interessieren sich Leute um die 30 für die Gruppe, aus der drei bereit sind, von sich zu erzählen. Mila Zoufall aus Weimar, Sören Jansen aus Wolfsburg, Guillaume Paoli aus Frankreich. - "Ostler, Westler, Ausländer. Wir sind drei Quoten!"

FREITAG: Wo trifft man euch?

MILA ZOUFALL: Man kann sagen, wir sind eine internationale Bewegung. Es gibt mehrere Übersetzungen unseres Manifests - von Leute gemacht, die zufällig darauf stießen. Kürzlich haben wir sogar eine französische Internetseite entdeckt Les chomeurs heureux.

Ging denn die Idee von euch dreien aus?

MILA: Am Anfang waren wir vier. Einer hat inzwischen ein Start-up-Unternehmen gegründet, ist vom Arbeitslosen zum Selbstausbeuter geworden.

SÖREN JANSEN: In der Internetbranche verfließen ja die Grenzen zwischen Arbeit und dem Rest, insofern gibt es da eine Parallele zum Glücklichen Arbeitslosen, nur dass wir uns nicht den ökonomischen Zwängen unterwerfen.

GUILLAUME PAOLI: In der Internetbranche denken viele über diese Dinge nach. Manche sagen, sie wollen schuften bis sie 30 sind, um dann nie mehr arbeiten zu müssen.

MILA: Das Problem ist nur, dass es nicht hinhaut - du kannst nicht Mitte 30 anfangen, ein ausgefülltes Leben ohne Arbeit zu führen, wenn du gar nicht weißt, wie das geht!

Ihr seid ja nicht ohne Arbeit. Wenn ich eure Zeitung und Milas Fotos sehe ...

MILA: Wenn das jemand als Arbeit bezeichnen würde, wäre mir alles versaut

Hast du ein Wort dafür?

MILA: Leidenschaft! Ja, das ist Leidenschaft. Es ist Leben. Für mich ist der Begriff Arbeit überflüssig geworden.

Dann gibt es aber ein Verständigungsproblem mit anderen Leuten, die es Arbeit nennen würden.

GUILLAUME: Den Begriff Arbeit zu akzeptieren, heißt zugleich auch den moralischen Zusammenhang zu akzeptieren.

MILA: Wie oft ist zu hören, "ich hab keine Zeit, mit dir hier zu sitzen und deine Probleme anzuhören, ich muss arbeiten..." - Arbeit ist oft eine Entschuldigung für soziale Unfähigkeit.

GUILLAUME: Bei den Begriffen Beziehungsarbeit, Trauerarbeit, Arbeit an sich selbst - da stimmt etwas nicht.

Ich muss gestehen, dass ich sie auch benutze.

GUILLAUME: Wenn man alle Tätigkeiten als Arbeit definiert, hat man plötzlich den Gegensatz Arbeit - Faulheit. Es gibt aber die Muße. Sie ist nicht Faulheit, sie ist auch nicht Arbeit. Und nicht Freizeit. Um ein Glücklicher Arbeitsloser zu sein, muss man nicht nur die Arbeit kritisieren, sondern auch die Freizeit. Formal gibt es da auch immer weniger Unterschied, es gelten die gleichen Leistungsprinzipien. Man muss daher etwas anderes für sich finden: Die Muße. Das zu vermitteln ist heute das Schwierigste. 18jährige haben vielleicht wenig Lust zu arbeiten, aber sie sind in diesem Freizeitspiel gefangen, das Geld kostet.

SÖREN: Zur Disziplinierung reicht im Grunde schon dieser Konsumzwang. Die Kampagne um die Arbeitsmoral ist eigentlich ziemlich antiquiert. Warum macht Schröder das? Es funktioniert auch ohne. Merz hat ja das Recht auf Faulheit verteidigt, aber nur, wenn man nicht der Allgemeinheit auf der Tasche liegt.

Wie sie zu den "Glücklichen Arbeitslosen" wurden

MILA erzählt, sie habe nach der Lehre gewusst, dass sie nicht fürs Arbeiten gemacht sei. Sie lernte Kellnerin. Ihr Berufswunsch war Geigenbauerin. Auch das Abitur hätte sie gern gemacht. Beides blieb ihr verschlossen. In ganz Weimar war sie am Ende des Sommers die letzte ihres Jahrgangs nach der 10. Klasse, die noch keinen Lehrvertrag hatte. Man rief sie zum Rat der Stadt und bot ihr zwei Lehrberufe an. Kellnerin nahm sie. Anschließend bekam sie eine Stelle in Leipzig . - Tag für Tag zur Arbeit gehen, oft abends arbeiten, danach mit den Kollegen in die Bar ziehen, saufen, immer mit den Kollegen zusammen sein, weil andere Freunde zu finden bei dem Rhythmus kaum gelang - das konnte doch nicht alles sein, fand sie. "Ich habe einfach nicht mehr gelebt!" Sie hat es abgebrochen, ist weggegangen. Einen theoretischen Ansatz hatte sie nicht, auch kein anderes Ideal. "Ich wusste nur, dass ich es nicht wollte."

SÖREN wuchs im Schatten des Volkswagenwerks auf. Als seine Freunde von der Realschule eine Lehre anfingen, während er weiter das Gymnasium besuchte, gingen Freundschaften in die Brüche: Sie hatten keine Zeit mehr, verdienten Geld, aber büßten die Phantasie ein. "Irgendwie über die Stränge zu schlagen, ging nicht mehr mit ihnen." Das habe schon mit 16 angefangen. So wollte er nicht enden. Die ersten Pamphlete gegen die Arbeit kamen aus Braunschweig. Er erinnert sich: "Wir trampeln durchs Gemüse, wir trampeln durch die Saat, hurra wir verblöden, für uns bezahlt der Staat" - das hatte er auf einem Plakat gelesen, für eine Veranstaltung gegen den Vorwurf des Sozialschmarotzertums. Das war in den achtziger Jahren, als die Grenze von einer Millionen Arbeitslosen überschritten wurde, was als Katastrophe galt.

MILA fragt mit leichtem Erstaunen nach, wann das war. Das ist ihr entgangen, da war sie in der anderen Welt. Dafür ergänzt sie: Es sei in der DDR gesellschaftlich nicht schwierig gewesen, nicht zu arbeiten, entgegen dem Klischee von der lückenlosen Kontrolle. Man habe sich seine Kreise gesucht, die es ähnlich hielten. Sie arbeitete dann nur noch an vier Tagen im Monat, mit den Trinkgeldern reichte das. Die Kontrolle laufe heute vor allem übers Geld. Das Geld spielte damals keine große Rolle bei persönlichen Entscheidungen.

GUILLAUME fällt auf, dass jeder von ihnen eine Phase hinter sich hat, in der das Soziale nicht so problematisch war, wie es heute ist. Als er 18 war, gab es in Frankreich kaum Arbeitslosigkeit. Darüber musste er sich keinen Kopf zerbrechen. Da es ihm gelungen war, dem Militärdienst zu entgehen, beschloss er, ein Jahr lang nur das zu tun, was er wollte. Nach jenem Jahr fand er, das könnte er bis 30 machen. Dann dachte er, es ist sowieso zu spät. Er kam vor acht Jahren nach Berlin. Was er getan hat? Französisch unterrichtet, gelesen, gekocht, spazieren gegangen.

Sie lernten sich 1991 bei einer Straßenbesetzung gegen Mieterhöhungen in Berlin kennen. Als sie 1996 den Text Glückliche Arbeitslose auf der Suche nach unklaren Ressourcen - ihr Manifest - schrieben, wurde ihnen erst bewusst, dass dahinter mehr steckte, als eine praktische Verweigerung. An den Reaktionen merkten sie, dass diese Haltung ziemlich verbreitet ist. Das war überraschend.

Da draußen diese Dächer, die Wände, alles ist in geduldiger "Arbeit" entstanden. Oder der Zivi, den ich heute beobachtete, der einen behinderten Jungen spazieren führte, leistete Arbeit. Ein großer Teil an nützlicher, notwendiger Arbeit wird aber nicht bezahlt. Für mich liegt da der Widerspruch - zwischen immer rarer werdender bezahlter Arbeit und der nicht bezahlten, darum nicht ausgeführten Arbeit.

SÖREN: Ob die Tätigkeiten als Arbeit empfunden werden oder nicht, hängt davon ab, wie sie organisiert sind: Ob sie als Zwang von oben über dich kommen oder ob sie Teil eines sozialen Zusammenhangs sind. Dann ist es vielleicht etwas anderes.

Jemand erzählte kürzlich aus der Uckermark: Da haben sich Leute eingerichtet in der Arbeitslosigkeit. Sie treiben etwas Ackerbau, sitzen vorm Fernseher, trinken Bier. Sie haben ein Minimum zum Überleben für sich gefunden. Die Wirtin einer Pension, die Arbeitskräfte braucht, erlebt mit wachsender Aggression, dass diese Leute nicht arbeiten wollen. Einem hat sie es auf den Kopf zugesagt. Er hat es bestätigt. Sie einigten sich, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Er hatte nur eine Bitte: Sie möge ihm unter irgendeinem Vorwand kündigen, damit er wieder Arbeitslosengeld bekäme. Das Spiel wollte sie nicht mitmachen, war angewidert. Tage später war bei ihr ein Fenster eingeworfen. Wie sagt ihr zu der Geschichte? Widerstandspotenzial oder Verkommenheit?

MILA: Jede Arbeitsverweigerung ist legitim. Einfach ein inneres Bedürfnis. Welche Gründe dazu führen, ist unterschiedlich. Und was man mit seiner Zeit tut, muss jeder selbst entscheiden. Man kann doch keine Freizeitpolizei aufstellen.

GUILLAUME: Es wird immer Menschen geben, die werden so sein: passiv, vorm Fernseher, saufend. Soll man sie einsperren, damit man sie nicht sieht? Wir wollten ein anderes Bild zeichnen: Arbeitsverweigerer sind nicht nur Leute, die rumhängen, sondern alle möglichen Menschen. Auch Überlebenskünstler natürlich. Jetzt bekommt wieder das Ressentiment einen Schub: die Arbeitslosen liegen uns auf der Tasche. Ziel dieser Propaganda sind gar nicht die Arbeitslosen, sondern die Löhne sollen gedrückt werden. Wenn es mehr Pflicht zur Arbeit gibt, werden alle nach unten gedrückt.

MILA: Und wenn diese Entwicklung so weiter geht, ist es wichtig, zugleich den Zwang zu erhöhen, weil sonst alles auseinander fällt! Man muss ein Wir-Gefühl aufbauen: Wir sind diejenigen die schuften - und die Anderen sind die Minderwertigen. Das läuft im Moment! Das ist eine Schein-Artenbildung: Da ist die Art - man kann es auch Rasse nennen -, die überleben wird, weil sie arbeitet, und die andere, die es nicht tut und deshalb minderwertig ist

Jetzt wird es voraussichtlich ein neues Gesetz über die Arbeitslosen geben.

MILA: Als geübte Arbeitslose weiß ich, es kann nur Schlechtes bringen.

SÖREN: "Arbeitslose wieder ins Arbeitsleben integrieren" heißt neben der Druckverstärkung auch, die "Anreize" zu erhöhen, damit die Leute die mies bezahlten Jobs annehmen. Nach dieser Logik muss man das Arbeitslosengeld weiter senken, damit die immer niedrigeren Löhne doch noch höher liegen. In anderen westeuropäischen Ländern wie in England wird das schon vorexerziert.

Der Arbeitszwang könnte am Mangel an Arbeitsplätzen einfach scheitern?

GUILLAUME: Für Arbeitsplätze werden sie schon sorgen, irgendeine Arbeit - du musst sie nehmen, sonst wird das Geld gestrichen.

MILA: Ein Freund von uns sollte in Österreich ein Bewerbungstraining mitmachen, ein halbes Jahr lang, 40 Stunden pro Woche. Sie mussten dort ihren Lebenslauf vor der Gruppe vortragen und dann den eigenen Lebensweg vor der Gruppe verteidigen.

GUILLAUME: Kritik und Selbstkritik - das haben bestimmt einstige Maoisten erfunden!

Ihr findet es also nicht nur paradox und absurd, was mit der Faulheits-Debatte angezettelt wurde? Ihr könnt darüber nicht lachen?

MILA: Damit wird die Intoleranz gefördert, weil Selbstzweifel entstanden sind, ob das System so haltbar ist. Die Frage ist aufgekommen, ob der behauptete Wille des Menschen zu arbeiten, wirklich besteht, wenn die Löhne immer weiter sinken. Die eigene Überzeugung trifft auf den Zweifel.

Ihr meint, da wird befürchtet, die Leute könnten immer häufiger beschließen, nicht mehr zu arbeiten?

GUILLAUME: Ja, die Sinnlosigkeit bleibt nicht verborgen. Auch das Argument, man müsse etwas für die Allgemeinheit leisten, wenn man Geld bekommt, kann nicht mehr funktionieren in einer Zeit, in der der Begriff der Gesellschaft ausgelöscht wird. Die alte Arbeitsmoral - für die Gesellschaft etwas leisten - ist nicht mehr zu verwenden. Es sind die Arbeitslosen, die sagen könnten: Ja, ich leiste was, im Gegensatz zu den Arbeitenden, die für nichts Zeit haben, was über ihren persönlichen Horizont geht.

MILA: Immer ist da ein Schrecken in den Gesichtern, wenn man die Arbeit ironisiert. Doch wenn man Arbeit aus seinem eigenen Vokabular verbannt, kommt man einfach in eine andere Welt. Das ist für viele Leute unvorstellbar. Sie entsetzen sich: Wie soll denn eine Welt ohne Arbeit aussehen? Nur unter blühenden Bäumen liegen? Sie fühlen Ängste.

Das Gespräch führte Marina Achenbach

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