"Ferramenta Sofia" ist ein Traum von einem Eisenwarenladen. Er sieht zwar unaufgeräumt aus. Bis unter das Dach stapeln sich Schubladen, Kisten und Kartons. Man findet jedoch alles, was ein Eisenwarenladen nur bieten kann: Schrauben, Bleche, Draht und Beschläge jeder Beschaffenheit, als Einzelteil oder in großen Mengen. Als die auf antik getrimmten Scharniere des Schrankes in meiner möbliert gemieteten Wohnung nachzugeben drohen, werde ich gleich vom ersten Eisenwarenhändler direkt zu Ferramenta Sofia geschickt. "Wenn dir einer in Palermo helfen kann - nur sie."
Im Laden, der sich inmitten der Boutiquen und Hightech-Schnickschnack-Geschäfte auf der Via Roma fremd ausnimmt, kramt ein alter Herr in den Schubläden und bringt wenig später genau die passend
genau die passenden Teile - das Wunder von Ferramenta Sofia. Es wird noch größer, als ich die Adresse des Geschäfts auf einem Faltblatt von "Addiopizzo" finde. Einem Netzwerk, das frei übersetzt "Schutzgeld adé" heißt und seit einem Monat versucht, Ladeninhaber zu überzeugen, der Mafia kein "Pizzo" - kein Schutzgeld - mehr zu zahlen. "Für uns ist klar, dass wir da mitmachen", sagt mir der alte Herr von Ferramenta Sofia, der mir gerade die Scharniere verkauft hat. Ob das Mut koste, will ich wissen. "Ach was, Mut. Man muss eine Entscheidung treffen. Ab jetzt werden wir ja überwacht, rund um die Uhr. Die Polizei kommt öfter herein und fragt nach." Seinen Namen will er mir dennoch nicht nennen und auch nicht verraten, ob er der Mafia jemals Geld gegeben oder sich erst kürzlich mühsam aus der Abhängigkeit befreit hat. "Darüber gebe ich keine Auskunft.""Wir haben nie gezahlt. Wir sind 20 Jahre hier und haben nie Pizzo gegeben", sagt Loredana Fulco mit fester Stimme. Die Mittvierzigerin betreibt einen Feinkostladen in jener Gegend, in der das barocke Palermo in das enge, unübersichtliche Straßengewirr des alten Hafenviertels übergeht. Liberales Bürgertum siedelt hier, aber auch jene, die man einst Proletarier nannte und die jetzt davon abhängig sind, dass man ihnen gelegentlich ein paar Stunden Arbeit "vermittelt". Gewissermaßen im Austausch geben sie denen, die um "etwas Geld für unsere eingekerkerten Freunde" (von der Mafia) bitten, noch von ihrem Wenigen ab. Stadtsoziologen würden mit Blick auf dieses Quartier wohl von einer "guten Durchmischung" reden."Unsere Stammkunden", erzählt Loredana Fulco, die Feinkosthändlerin, "haben uns beglückwünscht, als sie erfuhren, dass wir bei Addiopizzo mitmachen. Es sind sogar ein paar Leute mehr gekommen, die erst durch das Faltblatt von uns erfahren haben." Und die Geschäftsleute ringsum, von denen keiner bei Addiopizzo gelistet ist, was denken die? "Die sagen: No comment. Du verstehst doch, was ich meine?"Wer gäbe da nicht nach?Im Hotel Amarcord, einen Steinwurf nur vom legendären Grand Hotel delle Palme gelegen, in dem einst Richard Wagner an seinem Parzival schrieb und ein Dreivierteljahrhundert später Lucky Luciano zum transatlantischen Mafia-Gipfel lud, beschreibt auch Maurizio Vara die positiven Effekte von "Addiopizzo". "Gemeinsam sind wir stark. Die Polizei achtet mehr auf uns. Und es kommen immer mehr Reservierungen von Leuten, die es begrüßen, dass von ihrem Geld nichts an die Mafia geht."Es gibt ihn also, den kritischen Konsumenten. Der kleine Aufstand, mit dem sich Geschäftsleute in Palermo von der Mafia befreien wollen - er findet tatsächlich statt. Wenn auch nicht ausufernd. 7.500 Bürger haben den "Appell zum Addiopizzo" unterschrieben. 104 Kleinunternehmen stehen auf der Liste - Möbelgeschäfte, ein Kino-Betreiber, mehrere Juweliere und Kunsthandwerker, Teppichhändler, kleine Delikatessenläden, Reisebüros. Man könnte sich komplett Mafia frei ernähren, vor allem Freizeit und Urlaub ohne einen Cent "Steuern" für die kriminelle Schattenwelt verbringen. Das ist nicht wenig für eine Stadt, in der vier Fünftel der Geschäftsleute "Pizzo" abführen. In nackten Zahlen ausgedrückt, unterstützen 20.000 von 25.000 Firmen - wenn auch oft unfreiwillig - die Mafia."Wenn du in Palermo ein Geschäft eröffnen willst, musst du das Geld haben, um die Miete für den Laden bezahlen zu können, die erste Warenlieferung, die erste Steuerforderung - und das erste Schutzgeld. Hast du das nicht, brauchst du gar nicht erst anzufangen", beschreibt Staatsanwalt Vittorio Teresi das Verhältnis zwischen Klienten und Agenten der Mafia. Es ist normal, Schutzgeld abzuführen. 1989 fand die Polizei minutiöse Aufzeichnungen im Haus der Mafia-Familie Madonia. In der obersten Reihe des Kassenbuches stand der Name des Eintreibers, darunter die Monate, von Januar bis Dezember. In der ersten Spalte, Zeile für Zeile säuberlich untereinander die Namen von Bars, Restaurants, Boutiquen und Fabriken. Daneben die Summe, die monatlich erhoben wurde, damals noch in Lire - 700.000, 800.000, 1.500.000. Und dort, wo die Linien der Namen und der Monate zusammentrafen, meist ein "OK". Nur wenige Felder blieben leer."Natürlich haben wir die betreffenden Geschäftsinhaber befragt", erzählt Staatsanwalt Teresi, als er mir eine Kopie des Kassenbuches zeigt. "Aber fast alle haben ausgesagt, das müsse ein Irrtum sein. Sie hätten nie gezahlt. Nur ein Dutzend etwa hat es zugegeben. Die anderen haben es vorgezogen, lieber auf der Anklagebank zu sitzen, denn als Zeuge vereidigt zu werden und dort die Wahrheit sagen zu müssen." Teresi kennt aus über zwei Jahrzehnten Tätigkeit in Palermos Justiz den Mechanismus: "Die Mafia kommt nicht immer sofort. Sie wartet erst ab, wie das Geschäft läuft. Dann kommen die ersten Hinweise: Telefonanrufe, verklebte Schlösser, ein Benzinkanister vor der Tür. Der Geschäftsmann wird unruhig. Er hört sich im Viertel um, und erkundet, an wen er sich wenden sollte." Ein perfides System: Das Opfer muss selbst den Weg zum Täter suchen. Tut er das nicht, nehmen die Mahnungen an Intensität zu. Es wird eingebrochen, Waren und Maschinen gestohlen. Schließlich gedroht, den Kindern etwas anzutun. Wer gäbe da nicht nach?Dass niemand uns siehtBei den Großrazzien dieses Jahres, bei denen Palermos Mafia-Elite größtenteils festgenommen wurde, kam heraus, dass selbst die Betreiber der Caféteria des größten städtischen Hospitals und der Universitätsmensa ihre drei Prozent Mafiasteuer zahlten. Gegen diese "Normalität" geht die "Addiopizzo"-Kampagne vor. Die Auslöser - eine Gruppe von ursprünglich sieben Leuten - wählten dafür einen Paukenschlag in Worten und erklärten öffentlich: "Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde!" So stand an es einem Junimorgen des Jahres 2004 auf kleinen Zetteln mitten im Herzen der barocken Altstadt, im Areal zwischen den neoklassizistischen Palästen von Politeama und Teatro Massimo. Das war hart, klar und kompromisslos, der Satz packte die Sizilianer bei ihrem Stolz."Heimlich, nachts, wie die Diebe sind wir losgezogen und haben die Aufkleber im Stadtzentrum verteilt. Es galt höchste Vorsicht, denn wir wussten ja nicht, was passiert. Aber wir mussten etwas tun", erinnert sich Raffaello Genova. Der heute 29-jährige Pathologe hatte mit sechs Freunden einen Pub eröffnen wollen. Pub klang international und konnte als Absetzbewegung von den Traditionen der Weininsel Sizilien erscheinen und schon deshalb gefährlich sein. Weil Genova und seine Freunde sich damals neben dem Studium von Medizin, Jura und Betriebswirtschaft noch in der Antiglobalisierungsbewegung engagierten, sollte das Lokal auch ein Zentrum politischer Aktivitäten werden. "Was machen wir, wenn die Mafia kommt und Schutzgeld verlangt? - haben wir uns gefragt. Für eine freie und gerechte Welt eintreten und dann Pizzo zahlen - das geht doch nicht zusammen."Also haben sie die Flucht nach vorn angetreten und mit einer symbolischen Handlung ihre Abkehr von der Mafia bekundet. Die bewussten Aufkleber, weiß mit schwarzer Schrift und einem Trauerrand versehen, waren traditionellen Traueranzeigen zum Verwechseln ähnlich. Ein ganzes Volk wurde hier betrauert. Erst blieben die Trauernden anonym. Wochen später setzten Genova und seine Freunde ihre Namen und das Logo "Addiopizzo" darunter. Ungefährlich war das nicht. Der Textilunternehmer Libero Grassi hatte Anfang 1991 in einem offenen Brief bekannt gegeben, nicht mehr zahlen zu wollen und zur Solidarität aufgerufen. Er blieb mit seinem Vorstoß allein und wurde im August desselben Jahres umgebracht. "Die Mafia befand sich damals in einer Zwangslage. Der Staat begann, ernsthaften Druck auf sie auszuüben. Viele Bosse und Helfer waren schon im Gefängnis. Die Mafia war nicht mehr unangreifbar. Und genau in diesem Moment zweifelt ein kleiner Geschäftsmann mitten in Palermo die Macht der Paten an. Um ihre Handlungsfähigkeit vor den nationalen und internationalen Partnern zu demonstrieren, mussten die reagieren. Und sie taten es mit der Ermordung von Libero Grassi und von Salvo Lima sowie den Attentaten auf die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino", analysierte Staatsanwalt Vittorio Teresi in seiner Anklageschrift im Mordfall Grassi. Die Reaktion der Mafia seinerzeit war komplex: An einem widerspenstigen Geschäftsmann wurde ein Exempel statuiert, ein politischer Helfer - der Andreotti-Statthalter Salvo Lima, dem man nicht mehr vertraute, wurde beseitigt, und bei Falcone und Borsellino richtete sich der Schlag gegen die Speerspitzen der Anti-Mafia-Kampagne des Staates. Heute indes, so glaubt Teresi, sei es ungefährlicher für Geschäftsleute, sich der Mafia zu widersetzen. Die sei - wie Ende der achtziger Jahre - erneut geschwächt.Man will kein Held seinAußerdem ist der Staat in seinem Kampf nicht mehr allein. Die Jugend rebelliert. "Eine Kulturrevolution ist das", meint der Sohn von Libero Grassi, der inzwischen das Geschäft seines ermordeten Vaters weiterführt. "Unsere Generation, die heute 40- bis 50-Jährigen, hat von Weltrevolution und Sozialismus geträumt, aber vergessen, was direkt vor der Haustür geschah."Es gibt zirka 5.000 Geschäftsleute in Palermo, die keine Mafia-Steuern zahlen, weil sie als nicht Mafia-kompatibel gelten. Sie werden entweder nicht behelligt, weil ihr Geschäft zu klein ist und auch die Mafia sieht, dass es gerade zum Überleben reicht. Oder sie bleiben ausgespart, weil Verwandte bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft arbeiten. Schließlich gibt es jene, die ihre Erpresser angezeigt haben. Wie Maurizio Vara, der Hotelier des Amarcord. Vor vier Jahren haben dem kleinen ruhigen Mann die Steuereintreiber ständig zugesetzt, sein Büro angezündet, ihn zu entführen versucht, bis er die Carabinieri alarmierte. "Die mich bedroht haben, sind ins Gefängnis gekommen. Und ich war endlich frei", sagt er leise, aber doch bestimmt.40 bis 50 Unternehmer Palermos sollen in den vergangenen fünf bis sechs Jahren Geldeintreiber der Mafia angezeigt haben. Von den wenigsten weiß die Öffentlichkeit. "Wir wollen keine Helden sein. Wir wollen nur gefahrlos leben", meint Maurizio Vara. In mein verdutztes Gesicht hinein sagt er mir: "Wir sind nicht gefährdet. Wir sind viele, und wir werden von der Polizei geschützt. In größter Gefahr befinden sich die, die weiter der Mafia Geld in den Rachen werfen. Sie sind unfrei und in Gefahr." Aus der richtigen Perspektive betrachtet, kann das Leben verblüffend einfach sein.
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