Wenn wir Musik hören wollen, gehen wir ins Museum. Geben unsere Mäntel an der Garderobe ab und kaufen für 30 Euro eine Eintrittskarte. Setzen uns vor einer Vitrine dicke Kopfhörer auf und widmen uns ganz dem Kunstgenuss. So sähe der ideale Musikkonsum der Zukunft aus, ginge es nach dem Wu-Tang Clan. Das illustre Hiphop-Kollektiv aus Staten Island, New York, veröffentlicht dieser Tage mit A Better Tomorrow ein handelsübliches neues Album. Darüber hinaus aber hat es mit Once Upon A Time In Shaolin noch eine zweite Platte in die Welt gesetzt, die visionärer kaum sein könnte – was nicht an der Musik liegt, von der man bisher nur 51 Sekunden gehört hat. Sondern an dem Wert, der ihr beigemessen wird.
In den frühen Neunzigern setzte
rühen Neunzigern setzte der Wu-Tang Clan vor allem ästhetisch neue Maßstäbe. Der dezidiert düstere Sound und die entsprechend realistischen Texte des Kollektivs standen quer zum genretypischen Geprotze mit materieller und sexueller Potenz. Hinzu kam eine hybride Privatmythologie, die sich aus der Ikonografie von Kung-Fu-Filmen und fernöstlichen Weisheiten speiste. Fast 20 Jahre kreiste der Zirkel um das kreative Zentralgestirn Robert Diggs alias RZA. Solo hatten Mitglieder wie Ghostface Killah, Raekwon und auch RZA selbst indes mehr zu bieten. Diesen Zentrifugalkräften hält der Clan nicht mehr stand. Die Arbeit am aktuellen Album, hört man, war überschattet von „künstlerischen Differenzen“.GemächlichRaekwon soll der gemächliche Sound von A Better Tomorrow gelangweilt haben, unter RZA zu arbeiten verweigerte er zunächst. Ihren Streit konnten die Kontrahenten im Rap-Duell Crushed Egos fruchtbar machen, ansonsten hat Raekwon recht: A Better Tomorrow bietet weitgehend Hiphop von der Stange, aufgehübscht mit gefälligen Bläsersätzen, Saxofonen und Chören aus den Archiven des Soul. Mit den klirrenden Entwürfen eines Kanye West oder dem schleichenden Irrsinn von Shabazz Palaces kann A Better Tomorrow nicht konkurrieren.Interessanter ist aber ohnehin die zweite Platte Once Upon A Time In Shaolin. Das Doppelalbum wurde unter Bedingungen produziert, wie sie die Geschichte des Pop bisher nicht gesehen hat. In Marokko verbrachte ihr Produzent Tarik „Cilvaringz“ Azzougarh fünf Jahre damit, die auseinanderstrebenden Qualitäten des Wu-Tang Clan ein letztes Mal auf einen Nenner zu bringen. Das Album dauert 138 Minuten und enthält 31 Tracks, auf denen Cher und Fußballer des FC Barcelona zu hören sein sollen. Die Musiker selbst rappten zu baugleichen, aber am Ende nicht verwendeten Beats – damit keiner einen Eindruck vom endgültigen Produkt gewinnen konnte. Niemand, nicht einmal RZA, besitzt ein eigenes Exemplar.Tatsächlich soll nur eine einzige physische Kopie von Once Upon A Time In Shaolin produziert worden sein. Die aber hat es in sich beziehungsweise allerhand um sich herum – einen abschließbaren Schrein aus vernickeltem Silber, darin wartet eine weitere Box, in der das profane Polycarbonat ruht. Aufbewahrt wird das Werk im edlen Royal Mansour Hotel in Marrakesch. Von hier aus soll es auf Welttournee gehen, und zwar durch ausgesuchte Museen und Galerien. Vergangene Woche ließ RZA im Interview mit dem Rolling Stone durchblicken, man wolle anschließend auf einer der großen Kunstmessen in Hongkong, Basel oder Miami bei einer Auktion einen Käufer finden. Angeblich bot ihm jemand bereits im April fünf Millionen Dollar. Montagabend wurde dann plötzlich spekuliert, es sei bereits gekauft, und zwar von dem Dubstep-Star Skrillex, dessen aktuelles Video (Fuck That) in Marokko gedreht wurde und in dem das Artefakt einen glanzvollen Cameo-Auftritt hat. War aber nur ausgeliehen, dementierte der prompt. Zwar läuft derzeit eine Crowdfunding-Initiative zum Aufkauf des Albums mit dem Zweck, es freigiebig zu verbreiten. Gut möglich aber, dass es im CD-Spieler eines russischen Oligarchen oder arabischen Prinzen verschwinden und für immer ein Mysterium bleiben wird. RZA, der zu Hause altägyptische Artefakte sammelt, verglich es mit dem Besitz des „Zepters eines Pharao“.Man könnte es auch schlicht ein Gimmick nennen oder eine besonders aufwendige PR-Aktion. Aber das griffe zu kurz. Seit der Ton sich vom Träger gelöst und digitalisiert hat, geht es der Tonträgerindustrie schlecht und den betroffenen Künstlern noch schlechter. Ein neuer Vertriebsweg ist nicht in Sicht, die Suche danach läuft heiß. Von Streaming-Diensten kann kaum jemand leben, weshalb Größen wie Radiohead bereits ein Werk verschenkt und dessen Kosten mit Tourneen wieder eingefahren haben. Zu beobachten ist auch die Rückkehr zu einem Mäzenatentum, wie es während der Renaissance in voller Blüte stand. U2 produzierten ihr aktuelles Album exklusiv für Apple, das damit iTunes-Nutzer zwangsbeglückte, der Rapper Jay-Z verkaufte 2013 ein Album an Samsung.Solche Kooperationen unterwerfen die Musik endgültig der Logik von Großkonzernen, die sich Kunst als Zweig der Zuliefererindustrie einverleiben. Aber was will man machen? Über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit schrieb Walter Benjamin: „Die Reproduktionstechnik, so ließe sich allgemein formulieren, löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab“, das „Einmalige“ weiche dem „Massenweisen“. Umso trotziger drehen radikale Künstler den Exklusivitätsregler auf Anschlag – mit dem Ziel, ihre Arbeit wieder auratisch aufzuladen. Die Flaming Lips veröffentlichten 2011 einen Song von 24 Stunden auf USB-Sticks, die in menschlichen Totenschädeln steckten. 24 Hour Song Skull war auf 13 Exemplare beschränkt und kostete 5.000 Euro.Respect!Einen ähnlichen Weg geht der Wu-Tang Clan, wenn er in die groß- und bildungsbürgerliche Arena „echter“ Kunstwerke drängt. Mit einer Kampfansage: „Industrielle Produktion und digitale Reproduktion sind gescheitert“, heißt es im offiziellen Statement der Gruppe: „Der immanente Wert von Musik ist auf null reduziert worden, während zeitgenössische Kunst exklusive Millionenpreise erzielt.“ Es gebe keinen Grund, die Arbeit von Künstlern wie RZA, Kanye West oder Dr. Dre geringer zu bewerten als die von Andy Warhol, Damien Hirst oder Jean-Michel Basquiat.Tatsächlich trägt Once Upon A Time In Shaolin bei aller ausgestellten Einmaligkeit die Zeichen der Popkultur, und das mit Stolz. In ihrer auratischen Bundeslade wirkt die profane CD zwar wie ein kultischer Gegenstand, vergleichbar einem heiligen Buch. Auf der Schatulle aber prangt die stilisierte Comic-Fledermaus, das Logo der Gruppe. Der Schrein könnte mit seinen orientalischen Ornamenten auch eine Requisite aus Indiana Jones sein. In diesem Objekt ist die alte Forderung des Hiphop nach respect an ihren Endpunkt gelangt – und transzendiert dort unversehens zu einer Forderung nach Respekt für jedwede Musik als künstlerische Ausdrucksform.