Dasselbe Süppchen gekocht

Koranverbrennung Ein Prediger aus Florida verbrennt den Koran und beinahe hätte keiner Notiz genommen. Bis Hamid Karzai einsteigt. Kersten Knipp über eine fragwürdige Symbiose

Klar war: Die Zeit drängte. Seit Monaten gingen die Bürger der arabischen Welt auf die Straße, forderten ihre Rechte und demokratische Reformen ein. Zwischen Kairo und Oman zeigten Menschen ein ganz anderes Gesicht als jenes, das man im Westen zu kennen glaubte. Keine religionstrunkene Hassfratzen sah man, keine Gotteskrieger im Kampf gegen Juden und „Kreuzzügler“. Eine ausgesprochen zivile Masse ging da auf die Straße, und gerade das wirkte auf manche umso bedrohlicher: Ginge es weiter so, hätten die guten alten Kulturkampfthesen bald ausgedient. Höchste Zeit, noch einmal mit ihnen anzutreten. Also ließ Terry Jones, Prediger einer Sekte in Florida von gerade mal 50 Mitgliedern, vor gut zwei Wochen einen Koran in Flammen aufgehen. Angekündigt hatte er das schon im letzten Herbst, sich aber durch Warnungen und Appelle US- amerikanischer Politiker von seinem Vorhaben noch einmal abbringen lassen.

Ein halbes Jahr später brannte der Koran. Doch leider nahm kaum jemand Notiz davon. Ein paar diplomatische Protestnoten aus islamischen Ländern, das war es aber auch. Die Sache wäre sang- und klanglos untergegangen, wäre Jones nicht im letzten Moment noch jemand zur Seite gesprungen, der auf diesen Flammen offenbar ebenfalls sein Süppchen kochen wollte: der afghanische Präsident Hamid Karzai.

Wie Jones, der nach Auskunft früherer Mitstreiter einen guten Riecher für heikle soziale Themen hat und sie publizistisch auszuschlachten versteht, dürfte auch Karzai in dem brennenden Buch einen willkommenen Anlass für ein erfolgreiches Heimspiel gesehen haben. Das legt jedenfalls seine merkwürdig starke Reaktion nahe: Er verurteilte die Tat nicht nur, sondern forderte gleich auch eine Entschuldigung des amerikanischen Kongresses. Terry Jones und Hamid Karzai: zwei Ränkeschmiede des spätideologischen Zeitalters. 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ost-West-Konflikts ist dieses dabei, nun auch den Glauben an den Kampf der Kulturen abzuschütteln. Noch aber gibt es Menschen, die daran glauben: auf sie setzten Prediger und Präsident gleichermaßen. Das hat am Ende zwölf Menschenleben gekostet, ausgelöscht von einem Mob, der sich durch ein paar wohldosierte Parolen aus dem Wörterbuch des Kulturkämpfers mühelos auf die Straße treiben ließ.

Dass dies ausgerechnet in Afghanistan passiert, ist kein Zufall; die history of violence reicht in diesem Land so lange zurück und ist so verheerend wie in keinem anderen der islamischen Welt. Und nirgendwo anders, Pakistan ausgenommen, ist die bürgerliche Schicht so schwach, die Bildung so desolat und der Blick in die Zukunft so düster. Taliban, Warlords, Drogenbarone bestimmen das politische Geschick, Transparency International listet das Land als eines der korruptesten der Welt. Eine zivil­gesellschaftliche Diskussionkultur kann sich so nicht entfalten. Stattdessen greift der Populismus.

Jones und Karzai werden behaupten, sie hätten die Gewalt nicht gewollt. In Kauf genommen wurde sie sehr wohl. Denn spätestens nach den Erfahrungen mit den Mohammed-Karrikaturen war bekannt, wie leicht sich mit Zynismus ­Politik machen lässt. Vieles spricht dafür, dass der religiöse Zynismus nun ans Ende seiner Möglichkeiten kommt. Für den Prediger und den Präsident war es darum höchste Zeit zum Handeln. Einige wenige werden sie beeindruckt haben. Die anderen wenden sich ab mit Grausen.

Kersten Knipp schreibt im Freitag regelmäßig über west-östliche Fragen

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