Bilder von Kohle-Tagebauen sind allseits bekannt, spätestens seit den spektakulären Protestaktionen von „Ende Gelände“: Riesige Krater in der Erde, zerstörte Mondlandschaften bis zum Horizont. „Es ist wie Mordor“, flüsterte Greta Thunberg, als sie vergangenes Jahr an der Kante eines Tagebaus im Rheinland stand. Wälder, Ökosysteme, ganze Dörfer – alles wird von den riesigen Schaufelbaggern gefressen, die Braunkohle in 400 Meter Tiefe ausgraben und in den benachbarten Kraftwerken verfeuert. Nicht nur die CO2-Bilanz ist katastrophal, sondern auch die Umweltbelastungen durch den Tagebau, für Mensch und Natur. Kohle abbaggern in Deutschland, dafür gibt es keine gesellschaftliche Mehrheit mehr.
Die Kohlekraftwerke aber laufen weiter – bis 2038, wenn es nach der Bundesregierung geht. Steinkohle, die in Kraftwerken wie dem neuen in Datteln 4 verbrannt wird, wird dafür von von weit her importiert. Die Bilder und Geschichten der Zerstörung, die der Abbau von Steinkohle in Regionen wie Nordkolumbien und Sibirien anrichten: Weder hören wir von ihnen, noch kümmern sie Politik und Öffentlichkeit.
Datteln 4 verfeuert Blutkohle
Das ist fatal, denn der Kohleabbau geht einher mit massiven Menschenrechtsverletzungen in den Abbauregionen. Die Bevölkerung vor Ort verliert ihr Land, ihre Lebensgrundlagen und wird dazu gezwungen umzusiedeln. Anwohnende, die versuchen zu protestieren, aber auch Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen leben in ständiger Angst. Angst davor, abends nicht mehr nach Hause zu kommen, verhaftet und für Jahre weggesperrt zu werden – oder erschossen am Dorfeingang. Die Kohle, die der Konzern Uniper in seinem neuen Kraftwerk Datteln 4 verfeuern will, nennen wir deshalb Blutkohle.
Die südsibirische Kuzbass-Region ist einer der Steinkohlelieferanten Unipers. Auf einer Fläche, die in etwa zwei Dritteln der Niederlande entspricht, werden dort lebende indigene Gruppen aus ihren Dörfern vertrieben. Wer Widerstand leistet, wird mit Zivilklagen überzogen und bekommt es mit der russischen Polizei zu tun. Alexandra Koroleva, die sich in ihrer Rolle als Vorsitzende der Umweltorganisation „Ecodefense“ gegen die lokale Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen engagierte, wurde so massive bedroht, dass sie nach Deutschland fliehen musste. Hier erhielt sie politisches Asyl. Anfang Februar stand sie das erste Mal vor dem Kraftwerk Datteln und sagte: „Russische Kohle zu kaufen ist unmoralisch, denn die dortige Kohleförderung zerstört die Gesundheit von Menschen und die Umwelt.“
Koloniale Kontinuitäten
Eine weitere Region der Steinkohletagebaue ist Nordkolumbien. Dort ist das größte Kohletagebaugebiet Lateinamerikas, eines der größten der Welt. Die Region hingegen ist eine der ärmsten des Landes. Die Profiteure des Kohleabbaus sind hauptsächlich einige wenige internationale Konzerne. Die Bevölkerung erhält keinen Anteil an dem Erlös des zu 90% exportierten Rohstoffes, im Gegenteil: Der Kohleabbau hat massive Auswirkungen auf die Umwelt, und damit auch auf die Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung. Ein großes Problem ist der massive Wasserverbrauch der Kohleminen und die Verunreinigung von Gewässern mit Schwermetallen. Durch die Klimakrise kommt es in der Region bereits zu immer stärkeren und länger andauernden Dürren. Dies und die Tagebaue führen zu Verlusten von Nahrungsquellen in der Landwirtschaft und beim Fischfang.
Auch hier ist es vor allem die indigene Bevölkerung, die betroffen ist. Ihre Länder werden ihnen für die Tagebau geraubt, Gemeinden gezwungen umzusiedeln. Jene die protestieren und sich für eine Besserung der Lebensbedingungen engagieren, werden schnell mit Morddrohungen konfrontiert, unter anderem von paramilitärischen Einheiten, die man mehr als ernst nehmen muss: Hunderte wurden bereits in den letzten Jahren in Nordkolumbien ermordet. Die Angst sitzt bei vielen tief, auch mit den Aktivist*innen, mit denen wir Kontakt halten. Viele wagen es nicht länger, öffentlich zu sprechen.
In einer Fortsetzung kolonialer Ausbeutung wird Kohle als Rohstoff aus den ärmsten Regionen dieser Welt exportiert, in einem reichen Land wie Deutschland verfeuert, damit wir hier unbegrenzt Strom verbrauchen und ein Konzern wie Uniper fette Gewinne machen kann. Die Folgen dieser Umweltzerstörung und die der Klimakrise treffen dann wiederum die Ärmsten dieser Welt am härtesten. Ungerechtigkeiten, die seit der Kolonialzeit bestehen, schreibt ein Konzern wie Uniper so immer weiter fort – mit großzügiger Unterstützung der deutschen Bundesregierung. Heute findet die Aktionärsversammlung von Uniper statt, auf der das vergangene Geschäftsjahr gefeiert wird: Das Geschäftsjahr, in dem Datteln 4 endlich fertig gestellt wurde – trotz einer Serie von Pannen beim Bau und gegen Proteste von Anwohnern. Der neue Kraftwerksblock steht bereit, um mit noch mehr Blutkohle unser Klima noch weiter anzuheizen. Das können und wollen wir nicht hinnehmen!
Dem Konzern Uniper sind Menschenrechte egal, uns aber nicht
Kurzfristige Profitinteressen großer Konzerne und unser Energiehunger hier im globalen Norden dürfen nicht länger wichtiger sein als das Leben und die Landrechte der indigenen Bevölkerungen. Sie dürfen nicht länger wichtiger sein als das Recht aller Menschen weltweit auf eine gute Zukunft ohne Klimakrise, verseuchtes Trinkwasser und Morddrohungen. Als priviligierte Bürger*innen des globalen Nordens müssen wir endlich Verantwortung übernehmen: Wir dürfen nicht länger zulassen, dass unsere Art zu leben und zu wirtschaften in anderen Teilen der Erde so großes, tödliches Leid verursacht.
Das Steinkohlekraftwerk Datteln 4, das heute von Uniper gefeiert wird und noch diesen Sommer dauerhaft ans Netz gehen soll, ist ein Symbol für die grundlegend falsche Energiepolitik in diesem Land. Im Jahr 2020, nachdem Millionen Menschen für Klimaschutz demonstriert haben, ein zusätzliches Kohlekraftwerk neu ans Netz gehen zu lassen, ist undemokratisch, unwirtschaftlich und klimawissenschaftlicher Wahnsinn. Ungebremst rasen wir so in die Klimakatastrophe.
Zu Beginn des Jahres waren wir uns als Klimabewegung sicher: Datteln 4 werden wir verhinden! Fridays for Future hatte Millionen Menschen mobilisiert, Ende Gelände hatte immer wieder mit Massenaktionen des zivilen Ungehorsams den Kohle-Betrieb gestört. Auch auf dem Gelände des neuen Kraftwerks Datteln 4 gab es zu Beginn des Jahres bereits eine Besetzung. Die Pläne waren schon geschmiedet, um Datteln 4 mit zehntausenden Menschen zu umzingeln und zu blockieren – noch bevor es ans Netz gehen kann.
Aber Großdemos in Zeiten von Corona zu organisieren ist unverantwortlich. So bitter es auch ist: Wir müssen Abstand halten und alles tun, um die Pandemie aufzuhalten – während Uniper weiter Business as usual macht. Stattdessen haben verschiedene Gruppen aus der großen Bewegung für Klimagerechtigkeit heute unter strengen Sicherheitsmaßnahmen dezentrale Proteste organisiert: vor der Konzernzentrale von Uniper in Düsseldorf, vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin – und natürlich vor dem Kraftwerk Datteln 4.
Genauso wie wir die Corona-Pandemie sehr ernst nehmen, nehmen wir auch die Klimakrise ernst – und fordern von der Politik, dies ebenfalls zu tun und dem zerstörerischen Geschäftsmodell der Kohle-Konzerne Einhalt zu gebieten. Als Rheinländerinnen macht es uns besonders wütend, dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen im Fall von Datteln 4 klimapolitisch versagt. Ministerpräsident Armin Laschet hätte dieses Kohlekraftwerk verhindern können – doch stattdessen stellt er sich auf die Seite von Uniper und preist Datteln 4 als „klimafreundlich“ an. Wenn er so seine Ambitionen aufs Kanzleramt geltend machen will, dann zeigt sich hier schon sehr deutlich, dass er diese Kanzlerschaft auf Klüngel mit Kohlekonzernen aufbauen möchte – statt auf nachhaltige Wirtschaft und demokratische Energieversorgung. Laschet lässt dabei auch die Anwohner*innen von Datteln 4 im Stich, die seit jeher gegen das Kraftwerk protestieren – so, wie er auch junge Menschen und zukünftige Generationen im Stich lässt, denen eine Klimakatastrophe droht.
Die Proteste der Klimabewegung der letzten Jahre – rund um den Hambacher Forst, für die von Abbaggerung bedrohten Dörfer im Rheinland und bundesweit – haben deutlich gemacht: Die zerstörerische Kohleindustrie hat keine Zukunft mehr. Und auch in schweren Zeiten wie den aktuellen geht der Protest weiter – gegen das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 im Ruhrgebiet genauso wie gegen die zerstörerischen Tagebaue im Rheinland. Für den Kohleausstieg genauso wie für Klima- und soziale Gerechtigkeit. Damit alle Dörfer bleiben – und zwar weltweit.
Lara Eckstein kommt aus NRW, lebt jetzt in Berlin und engagiert sich in der Bewegung für Klimagerechtigkeit
Kathrin Henneberger ist eine Klimaaktivistin aus dem Rheinland und Initiatorin der Weact Petition Datteln 4 darf nicht ans Netz!
Carla Reemtsma ist Klimaaktivistin und hat „Fridays for Future“ in Deutschland mitbegründet
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