David Bowie ist wie die Bibel

Ausstellung Seine berühmte "Berliner Phase" wird jetzt im Martin-Gropius-Bau in Szene gesetzt. Aber wie verhielt es sich wirklich mit Bowie und Berlin? Der Fall ist nicht zu klären
Ausgabe 21/2014
David Bowie ist wie die Bibel

Bild: Sukita / The David Bowie Archive

Am Eingang der gestern im Martin-Gropius-Bau eröffneten Ausstellung prangt ein Motto vom Star persönlich: „All Art is unstable. Its meaning is not necessarily that implied by the author. There is no authoritative voice. There are only multiple readings.“ Bester Beleg für diese pluralen Lesarten ist Bowies eigene Kunst. Der Song Heroes, eine Lovestory im Schatten der Berliner Mauer, diente in den Achtzigern als Soundtrack zum Film Wir Kinder vom Bahnhof Zoo und galt als Junkie-Hymne.

Heute läuft es in der Vodafone-Werbung , und seine Hookline „We can be heroes / Just for one day“ versinnbildlicht plötzlich das fade Spektakel telekommunikativ demokratisierter Dauerselbstdarstellung. Thomas Oberender, Intendant der an der Ausstellung beteiligten Berliner Festspiele, hat seine eigene Deutung des Stücks: „Es geht hier um das Verhältnis von Individuum und Staat.“ Multiple readings rule. Und multipel lesbar ist ja, nach jetzigem Stand der Geisteswissenschaft, nicht nur die Kunst, sondern auch die Wirklichkeit. Was ist denn zum Beispiel wirklich passiert in der berühmten „Berliner Phase“ Bowies – den Jahren zwischen 1977 und 1979 –, als er in Schöneberg wohnte und in den Hansa-Studios drei seiner wichtigsten Platten aufnahm? Hier gibt es zwei konkurrierende Erzählungen:

1. Die nüchterne: Bowie kam nach Berlin, um vor Starrummel und exzessivem Leben in L. A. zu fliehen. Diese Version wird im Groben von der Ausstellung gestützt. Bowie habe „die relative Anonymität“ der „realistischeren“ Stadt geschätzt und aus der Ruhe neue Schaffenskraft geschöpft. Einen großen Raum der Berlin-Abteilung nimmt der Einfluss der expressionistischen Werke des Brücke-Museums ein, das Bowie viel besuchte. Die Gegenüberstellung zweier Heckel-Gemälde mit den Fotostudien zum Heroes-Cover ist, neben dem Briefwechsel mit Marlene Dietrich, Höhepunkt der Ausstellung. Das Berliner Nachtleben spielt eine deutlich untergeordnete Rolle.

2. Die berauschende: Bowie schwamm in der Berliner Subkultur wie ein Fisch im Wasser, war mit seinem zeitweiligen Mitbewohner Iggy Pop Stammbesucher aller einschlägigen Punk- und Schwulenläden und nahm eher noch mehr Drogen als vorher. So singen es die zu den betreffenden Szenen gehörigen Stimmen, unter anderem zu vernehmen im letztjährig erschienenen Bildband Nachtleben Berlin. Die transsexuelle Performerin Romy Haag etwa nennt als Grund von Bowies Übersiedlung sich selbst und gibt über ihren Geliebten zu Protokoll: „abends lag er meistens zugeknallt in meiner Garderobe herum“.

Der Fall ist nicht zu entscheiden. Die Interessen beider Seiten liegen auf der Hand: Die Subkultur will ihre alte Energie und Schönheit in großer Kunst verewigt und mit internationaler Bedeutung aufgeladen wissen. Die Ausstellungsmacher wollen Bowies Faszination für jene Aspekte Berlins,die sich nicht so leicht in investorenfreundliche Worte fassen lassen – das Kaputte, Dekadente, Todessehnsüchtige, Heroinschicke – nicht überstrapazieren. So spricht man in der Pressekonferenz lieber von Bowies Stil als „Avantgarde“, seiner Musik als „Hochkultur“ und von ihm selbst als „Unternehmer“. Und der Witz ist: Auch das ist richtig. Bowie ist eben ein bisschen wie die Bibel. Jeder nimmt sich, was er braucht.

Jens Friebe ist Musikjournalist und Musiker. Zuletzt erschien bei Zickzack das Album Abändern

David Bowie in Berlin Martin-Gropius-Bau Berlin, bis 10. August 2014

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