Davidsterne für die Hisbollah

INTERNET-KRIEG Blockierte Websites und gelöschte Daten - der Kampf ums Heilige Land hat den Cyberspace erreicht

Ali Ayoub, Webmaster der Hisbollah, hat in diesen Wochen alle Hände voll zu tun. An Schlaf ist kaum zu denken. Tagsüber wuselt er durch die Räume des schiitischen Cyber-Büros in Beirut, seit 14 Tagen übernachtet er dort auch regelmäßig. Schuld an seinem unfreiwilligen Arbeitseifer sind israelische Computerhacker. Die versuchen seit Wochen, die Websites der Hisbollah zu zerstören - zum Teil mit Erfolg. Der Cyber-Krieg begann am 7. Oktober, nachdem die schiitische Miliz drei israelische Soldaten gekidnappt hatte. »Unglaublich viele Internet-User klickten unsere Webpage an, es war verrückt. Einen Tag später brach unser Server zusammen«, erinnert sich Ali.

Normalerweise wählen 100.000 bis 300.000 Interessenten pro Tag die Internetseite an, je nach politischer Lage. Das kann der Server gut verkraften. Doch in nur zwölf Tagen schwollen die computergesteuerten Anfragen auf über neun Millionen an - und ließen die Hisbollah-Website kollabieren. 41 Prozent der Klicks kamen aus Israel. Die israelischen Hacker hatten dafür eigens eine Homepage eingerichtet. Internet-Nutzer mussten nur www.wizel.com eintippen, danach erschien auf dem Monitor ein Bild, das einem Computer-Kriegsspiel ähnelte: »Attack and Destroy Hizbollah« (Attackiere und zerstöre Hisbollah), stand da, auf flammendem Hintergrund . Am Ende der Seite dann auf englisch und hebräisch die Anweisung »enter«. Danach ging alles automatisch weiter.

»Sobald jemand auf dieser Seite ist, wird die Attacke automatisch an uns weitergeleitet. Wenn ein Nutzer einen der neun aufgelisteten Ordner anklickt, werden jede Sekunde Massen von Dateien aktiviert. Die lösen dann eine unglaublich große Datenflut aus und blockieren unsere Webpages völlig« Nach dem ersten Crash beschwerte sich Ali beim israelischen Provider per e-mail. Schließlich sind solche Aktionen illegal. »Danach wartete ich drei Tage, doch als keine Antwort kam, wurde mir klar, dass dies eine Kampfansage war. Anfangs wollten wir nur unsere Internetseiten retten. Aber die Israelis sollen nicht glauben, dass wir nicht mit gleicher Münze heimzahlen können. Also ließen wir unsere Sympathisanten und Freunde wissen: Wer israelische Websites attackieren will, darf das gerne tun!«

Und so kam es dann auch. Einige Tage später konnten Internetbenutzer über www.members.tripod.com/irsa2000 drei israelische Webpages »angreifen«: Ein Klick auf den Titel »Verteidigt den Widerstand« genügte, um eine Internetseite der israelischen Regierung, der Armee und die angreifenden wizel-Website mit feindlichen Daten erfolgreich zu attackieren. Tage später waren mindestens zwei offizielle Seiten der israelischen Regierung für mehrere Stunden blockiert. Verantwortlich dafür zeichneten auch Hunderte von arabischen Computerhackern weltweit. In Chatrooms, die hauptsächlich von arabischen Internetnutzern besucht werden, zirkulierten Anleitungen zur Zerstörung israelischer Webseiten. Auch in elektronischen Kettenbriefen wurde diese neue Art der Kriegführung international verbreitet.

»Wenn wir so weitermachen, können wir jede Stunde eine israelische Website blockieren« meint ein Programmierer in Beirut. »Das ist eine neue Art der Kriegsführung,«. Libanesische Hacker hatten eine Sicherheitslücke bei den Israelis entdeckt. »Wir bekamen Zugriff auf sämtliche Dateien und haben die dann komplett gelöscht«, berichtet ein weiterer Computerfreak. Der Cyber-War eskalierte. »Unsere Angriffe hätten beinahe den Internet Service Provider der Israelis außer Gefecht gesetzt. Das haben sie dann sogar in den Nachrichten gebracht!«

Israel, bislang als der Multimedia-Gigant des Nahen Ostens bekannt, ließ diese Schmach nicht lange auf sich sitzen. Einen Tag später wunderten sich Hisbollah-Sympathisanten über das neue Design der islamistischen Website: Beim Klick auf www.hizballa.org erschien jetzt nicht die gelbe Fahne mit der Kalaschnikow darauf, sondern vier Davidsterne auf blau-weißem Hintergrund, mit dem Text: »Diese Seite wurde geladen, um gegen die arabischen Angriffe der vergangenen Tage zu protestieren«. Dazu wurde die Hatikva, die israelische Nationalhymne, gespielt. Eine Erniedrigung ohnegleichen für die Gotteskrieger. Auch auf anderen Netzseiten tauschten Israelis und Araber wütende e-mails aus. Die Internetbenutzer beider Lager schickten sich obszöne Fotografien und Schimpftiraden per Glasfaser hin und her. Arabische Hacker wollten es dabei aber nicht belassen: »Demnächst will ich versuchen, in den Server des Knesset zu gelangen und die Daten dort zu löschen. Ich bin schon dabei, einen Virus zu programmieren,« erzählt einer. »Das ist zwar illegal, aber es herrscht Krieg und da sind alle Mittel recht.«

Die aggressiven Hisbollah-Webseiten sind inzwischen nach Protesten aus Israel beim britischen Internet Anbieter und einer angedrohten Sperre vom Netz genommen. Auch der Hisbollah gelang es schließlich, den Davidstern von ihrer Homepage zu entfernen. Jetzt erscheint auf dem Monitor eine Weltkugel mit libanesischer Flagge: »Wir werden nie aufgeben! Vielen Dank für eure Unterstützung!« Ganz intakt ist die islamistische Website aber noch nicht. »Doch vielleicht ist der Cyber-Krieg ja vorerst zu Ende«, grübelt Ali und hofft, bald wieder zu Hause schlafen zu können.

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