Dazugehören

Weltoffen Adolf Muschg ist neuer Akademie-Präsident in Berlin

Die Berlin-Brandenburger Akademie der Künste, eine Institution von alter Würde und Behäbigkeit, hat sich ausgerechnet einen Schweizer zum neuen Präsidenten erkoren. Adolf Muschg soll den Umzug in den Neubau am Pariser Platz vollziehen und bei dieser Gelegenheit versuchen, dem etwas verschlafenen Betrieb neue Vitalität einzuhauchen. Kann das gut gehen?

Es kann. Der 69-jährige Muschg bringt nämlich einige Erfahrung mit, die der Akademie der Künste zu Gute kommen werden. Zum Ersten hat er zusammen mit Helga Nowotny an der ETH Zürich das "Collegium Helveticum" initiiert: ein Institut, das Forschung und Dialog über die disziplinären wie disziplinierenden Wissenschaftsgrenzen hinweg anregen soll.

Zum Zweiten und ebenso maßgeblich hat er es in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft, den trägen helvetischen Holzboden in Rührung zu versetzen. Im Geiste des Republikaners Gottfried Keller hat auch der Keller-Biograph Muschg die Verhältnisse in seinem Land stets kritisch hinterfragt. Dabei ist er nicht vor politischen Interventionen zurückgeschreckt. Mitte der siebziger Jahre kandidierte er sogar auf einer Liste der Sozialdemokratischen Partei fürs Parlament.

Kellers Spuren sind in Muschgs engagiertem Nachdenken stets präsent, wie der Sammelband Die Schweiz am Ende - Am Ende die Schweiz (1990) bezeugt. Insbesondere dessen bitteren Altersroman Martin Salander hat Muschg zu neuer Aktualität erweckt, indem er die wortgewaltige Enttäuschung des alten Keller gegen die fortdauernde Trägheit und Mutlosigkeit im Schweizer Staatswesen wendet.

Kultur ist für Muschg nicht nur schöngeistiges Beiwerk. Dezidiert fordert er, dass Kultur als Lebensganzes betrachtet und als solche politisch wirksam zu machen sei. Kultur stellt gegenüber der Politik gerade jene unbequemen Fragen, die lieber vermieden und verschwiegen werden. Kultur generell, und Kunst im besonderen, "ist das Unverlangte, das sich als lebensnotwendig erweist". Wider die Ängstlichkeit, die Politik zur Zeit im Klammergriff zu halten scheint, beschwört Muschg den Mut zur kreativen Veränderung. So hat er sich über die Jahre hinweg, nebst einem umfangreichen literarischen Schaffen, ein essayistisches Werk erschrieben, das ihn als den kritischen Vorbildintellektuellen und -literaten der Schweiz erscheinen lässt. Aktiv und beredt weiß er sich in öffentliche Debatten einzumischen.

Dabei hat er stets die Rolle und die Bedeutung betont, die die Schweiz innerhalb der größeren europäischen Gemeinschaft spielt, spielen sollte. "Europäisierung der Schweiz" und "Verschweizerung Europas" sind für Muschg zwei Gedanken, die zusammen gehen. So ist dieser Befürworter der Öffnung weit herum zum Repräsentanten einer weltoffenen Schweiz geworden. Besonders in den 80er Jahren hatten sich die Wortmeldungen Muschgs allerdings derart gehäuft, dass er zeitweise auch als Intellektueller für alle Gelegenheiten erschien. Auf allen Kanälen in allen Medien zu allen Fragen des gesellschaftspolitischen Lebens schien er um keine Antwort verlegen. Glücklicherweise lässt es Muschg diesbezüglich heute etwas ruhiger angehen.

So signalisiert der Ruf nach Berlin und der damit verbundene Perspektivwechsel für Muschg auch eine Chance, die ihn zu neuen Initiativen ermuntern wird. Er geht dahin, wo Gottfried Keller einst seinen Grünen Heinrich schrieb und darüber am Hungertuch nagte. Letzteres wird Muschg nicht widerfahren, auch wenn sich die finanzielle Ausstattung der Akademie nicht üppig ausnimmt.

Mit dieser Wahl wird dem Sohn eines Volksschullehrers die Krönung seiner Karriere zuteil. Als Jugendlicher litt er in seinem Heimatort Zollikon an der Zürcher Goldküste unter der Kränkung, nicht zum herrschenden Establishment zu gehören. "Dazugehören" wurde zum Bubentraum, der bei den Pfadfindern nur unzureichend erfüllt wurde, wie er in O mein Heimatland (1998) schrieb. Nun gehört er in Berlin dazu, nun erfüllt sich sein europäischer Traum. Muschg wird sich in der neuen, ehrenvollen Rolle gefallen. Allein er wird auch die damit verbundenen Erwartungen nicht enttäuschen. Eine Revolution steht der Akademie der Künste unter seiner Leitung nicht bevor, aber ohne Scheu vor Öffentlichkeit, argumentativ gut beschlagen und vor allem engagiert wird er tun, was möglich ist. Als Akademie-Präsident beschreitet Adolf Muschg den entgegen gesetzten Weg von Gottfried Keller, der am Ende seines Lebens resigniert und zornig in seiner Zürcher Klause sitzen geblieben war.

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Geschrieben von

Beat Mazenauer

Autor, Literaturkritiker und Netzwerker.

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