Deal

Linksbündig Fehlstart Rot-Grün aus Feigheit vor der Gerechtigkeit

Was hatte sich der Kanzler bei seiner Empörung gedacht? Sollen neben nebulösen "Interessengruppen" wieder die fiesen "Medien" schuld am Fehlstart von Rot-Grün sein? Soll der Misserfolg einer Politik darin gründen, dass die lange bekannten Gegner dieser Politik so rücksichtslos und gemein sind? Soll das der Höhepunkt der Schröderschen "Epoche" sein?

Koalitionsvertrag und Regierungserklärung der rot-grünen Regierung atmen keinen Epochengeist. Sie muten eher wie eine technische Gebrauchsanleitung an. Trotzdem berichten die meisten Medien von einem angeblichen Proteststurm. Nicht nur Betroffene von dieser oder jener Subventionskürzung melden sich zu Wort. Fast die gesamte "Wirtschaft" stellt sich dem "Genossen der Bosse" entgegen, der darüber den persönlich Beleidigten gibt. Doch diese Rolle steht ihm nicht. Es ist nämlich eine Verliererrolle.

Nun rächt sich, dass Rote und Grüne sich schon lange nicht mehr trauen, die Gerechtigkeitsfrage in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Dieses Land hat zwar schwache Wachstumsraten. Aber auf welchem Niveau? Tatsächlich ist Deutschland nach den USA das reichste und ökonomisch mächtigste Land.

In diesem reichen Land gibt es schon seit vielen Jahren über vier Millionen Erwerbslose. Kinderarmut wächst. Kommunen verarmen, weil Steuerquellen (Gewerbesteuer) versiegen und Belastungen (Sozialhilfe) steigen. Fast alle Städte leiden unter Abwanderung, aber gegen Zuwanderung werden Unterschriften gesammelt. Nicht nur die Zahl der Armen nimmt zu, die der Reichen auch. Was hätte also näher gelegen als ein Diskurs darüber, dass die Leistungsfähigen auch mehr leisten müssen?

Die Leistungsfähigen waren jedoch der Götze der "Neuen Mitte"-Ideologie. Als die Wachstumsraten noch hoch waren, da glaubten Schröder und Freunde in alter sozialdemokratischer Manier Verteilungskämpfe umgehen und Zuwächse verteilen zu können. Die Medienhäuser machten gerne mit, weil sie auf dieser Suppe die Fettaugen waren, immer ganz oben. Die Blase ist geplatzt, die Suppe kalt, die Fettaugen sind hart geworden. Der Verteilungskampf ist wieder in vollem Gang.

Zu sehr haben sich Rote und Grüne darauf konzentriert, den auf Sozialpartnerschaft beruhenden "rheinischen Kapitalismus" - angeblich wegen der Sachzwänge der Globalisierung - in Richtung einer vorgeblich modernen angelsächsischen Richtung abzuwickeln. Das Schröder-Blair-Papier war der einzige Versuch, darüber einen Diskurs zu organisieren. Er war im Hombachschen Intrigengestrüpp jedoch so gründlich daneben gegangen, dass seitdem gänzlich auf Diskursentwicklung verzichtet wurde. Es hätte Alternativen gegeben.

Vor gut zehn Jahren hatten die damals noch kräftigeren Linken in den Grünen sich das Konzept eines "Ökologischen New Deal" ausgedacht. Der Grundgedanke war, dass der arbeitenden Mehrheit der Gesellschaft der notwendige ökologische Wandel nur nahe zu bringen sei, wenn er in einem sozialen Bündnis mit ihr vorangetrieben werde. Davon ist in der Praxis wenig übrig geblieben. Wirtschafts- und SozialpolitikerInnen der Grünen konzentrierten sich statt dessen darauf, die "Lücke" zu füllen, die in ihren Augen die FDP hinterlässt. Sozialdemokraten und Gewerkschaften verkämpfen sich in Besitzstandswahrung (Stein- und Braunkohlesubventionen) und Prestigeprojekten (Metrorapid). Arbeitszeitverkürzung ist kein Thema mehr, weil Papi froh ist, wenn er arbeiten darf, statt zuhause Windeln wickeln und Fieber messen zu müssen.

Diskussionen in den Parteien finden kaum noch statt. Parteitage ähneln immer mehr Krönungsmessen und Feldgottesdiensten. Das ist nur scheinbar mediengerecht. Die höchsten Einschaltquoten hatte der Sender Phoenix, als bei den Grünen noch über Krieg und Frieden gestritten wurde (Bielefeld 1999). Heute gibt es dort nur noch langweilige Abstimmungs-"pannen" über noch langweiligere Themen ("Amt und Mandat").

Die von einem Grünen geführte Gewerkschaft ver.di wagt sich in dieser Lage mit einer Forderung in ihre aktuelle Tarifrunde, die nur halb so hoch ist wie bei den Industriegewerkschaften. Es soll ein Versuch sein, "ehrlicher" und "näher am Ergebnis". Welcher rote, grüne oder rot-rote öffentliche Arbeitgeber wird es ihr wohl danken?

Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker fasste dieses Land der Ich-AGs so zusammen: "Wenn jeder nur an sich denkt, dann ist ja an alle gedacht."

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