Debatte 2.0

Netzgeschichten Manipulation der öffentlichen Meinung durch den Staat? Der Kampf um die Stammtischhoheit könnte schon bald mit einer neuen Software geführt werden

Viele Beobachter sehen im Internet eine moderne Version des Stammtischs. In Blogs, Foren und Kommentarbereichen tauschen sich Leser und Autoren aus und bilden sich dort auch oft interaktiv ihre Meinung. Vor allem bei abstrakten und komplexen Themen kann die Hoheit über den virtuellen Stammtisch meinungsbildend sein. Wen mag es da verwundern, dass PR-Agenturen an einer Meinungsmanipulation im Web 2.0 interessiert sind?

Eine einzelne Person kann jedoch nur schwer die Mehrheitsmeinung drehen. PR-Profis müssten somit eine Softwarelösung haben, mit der sie zentral ein Heer von virtuellen Identitäten, mit glaubwürdigem Hintergrund in den sozialen Netzwerken, technisch sauber steuern könnten. Bei komplexeren Themen könnte man dann mit dieser kleinen Armee virtueller Diskussionsteilnehmer eine Meinungshoheit simulieren, die es so nicht gibt – und so neutrale oder uninformierte Leser auf seine Seite ziehen.

Eine solche High-Tech-Lösung ist offenbar in Arbeit, wie der US-Blog Daily Kos kürzlich berichtete. Den Autoren von Daily Kos sind E-Mails und Dokumente zugespielt worden, die aus einem Hackerangriff auf den CEO des IT-Sicherheitsdienstleisters HB Gary Federal stammen. In den geleakten Dokumenten geht es um die Feinheiten einer „Persona-Management-Lösung“, die es erlaubt, eine technisch ausgefeilte Verwaltung von virtuellen Persönlichkeiten zu betreiben, die einzig und allein der Meinungsmanipulation in sozialen Netzwerken dient.


Besonders pikant an diesem Leak ist, dass HB Gary Federal und der vermeintliche Kunde Mantech hochspezialisierte Unternehmen sind, die nahezu ausschließlich direkt oder indirekt für das US-Militär, die Geheimdienste und verschiedene Ministerien arbeiten. Wenn man eins und eins zusammenzählt, geht es bei diesem Projekt also nicht um die Manipulation von Nutzerbewertungen für Unternehmen, sondern um die Manipulation der öffentlichen Meinung durch den Staat. Der Einsatz einer solchen Software ist rechtlich umstritten und wäre moralisch eine Bankrotterklärung. Was soll man von einem Staat halten, der seine Bürger mit solchen Methoden manipuliert?

Dennoch wird dem „Persona-Management“ zweifelsohne die Zukunft gehören. Schließlich ist das Netz den Mächtigen schon lange ein Dorn im Auge – da unterscheiden sich Iran, Deutschland und die USA nicht großartig. Der Angriff auf die Meinungs­freiheit im Netz läuft, und die Möglichkeiten, sich gegen eine solche Manipulation 2.0 zu schützen, sind noch nicht in Sicht.

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