Nach wie vor ist der Migrationsdiskurs nicht so sehr ein Dialog, als ein Monolog, bei dem die Mehrheitsgesellschaft ihre Forderungen formuliert. Das gilt für den politischen wie für den kulturellen Sektor. Nun hat sich in Essen der Deutsch-Türkische Kulturrat NRW konstituiert, der den kulturellen Austausch erheblich verstärken will. In den Kulturrat, als dessen Träger das Essener Zentrum für Türkeistudien fungiert, wurden elf deutsche und neun türkischstämmige Mitglieder berufen; darunter der Essener Kulturdezernent Oliver Scheytt, WDR-Redakteur Erkan Arikan, der Wissenschaftler Sargut Sölcün von der Uni Duisburg-Essen oder Theaterintendant Roberto Ciulli.
FREITAG: Worin besteht die Aufgabe des Kulturrats?
GÜLAY KIZILOCAK: Die türkischen Migranten leben jetzt fast ein halbes Jahrhundert in Deutschland, trotzdem wird ihre Kultur in diesem Land viel zu wenig wahrgenommen. Unser Ziel ist zunächst, im kulturellen Bereich ein Netzwerk zu schaffen, das deutsche und türkische Kultureinrichtungen zusammenbringt. Zweitens wollen wir die originär türkische Kultur sowohl für die Deutschen wie für die türkischen Migranten zugänglich machen.
Welche Zielgruppe wollen Sie ansprechen?
Wenn wir von türkischer Kultur sprechen, also Musik, Theater, Film, dann richten sich solche kulturellen Aktivität fast nur an die türkischstämmige Öffentlichkeit. Die Deutschen nehmen das kaum wahr. Das wollen wir ändern.
Was heißt das konkret?
Wir haben hier in Essen einen Anfang mit einem deutsch-türkischen Filmfest gemacht, das bei der deutschen Öffentlichkeit auf viel Resonanz gestoßen ist. Eine andere Ebene ist das Theater. Denken Sie an Pina Bausch, die mit großem Erfolg mehrere Projekte in Istanbul verwirklicht hat. Warum kann man nicht umgekehrt türkische Theaterstücke in deutscher Übersetzung von deutschen Schauspielern spielen lassen? Die ersten Schritte dazu haben wir unternommen und mit dem Kulturministerium in der Türkei Kontakt aufgenommen. Das gilt auch für die Literatur, wo wir Übersetzungen und Lesungen unterstützen wollen. Schriftsteller wie Orhan Pamuk oder Yasar Kemal gehören sicher zu den bekanntesten türkischen Schriftstellern. Aber es gibt auch sehr viele junge Schriftsteller, die das deutsche Publikum interessieren könnten.
Sie haben von einer originär türkischen Kultur gesprochen. Was ist mit der deutsch-türkischen Migrantenkultur der dritten Generation, die hier entstanden ist?
Deswegen wollen wir zunächst eine Bestandsaufnahme machen. Einerseits gibt es eine aus der Türkei importierte Kultur, wofür sich nur das türkische Publikum interessiert und auch davon nur die erste und zweite Generation. Dann gibt es eine Art von Hochkultur, die nur ein ganz kleiner Teil der Türken wahrnimmt - das bekommt das deutsche Publikum gar nicht mit. Und drittens gibt es viele Initiativen und Projekte der zweiten, zum Teil der dritten Generation, in der sich deutsche und türkische Kultur mischen und die teilweise vom türkischen, teilweise vom deutschen Publikum in Anspruch genommen werden. Dies wollen wir einem breiteren Publikum bekannt machen. Schließlich wollen wir sowohl die Migrationskultur als auch die deutschstämmige Kultur in die Türkei bringen. Diese kooperative Zusammenarbeit soll nicht nur eine Einbahnstraße sein. Denn in der Türkei wird die deutsche Kultur auch kaum wahrgenommen, obwohl es dort seit Jahren ein Goethe-Institut gibt.
Wenn Sie von Kooperation sprechen, heißt das, dass Sie von deutschen Kultureinrichtung eine stärkere Öffnung verlangen?
Auf jeden Fall. Zum Beispiel war im Bochumer Bergbaumuseum bis vor kurzen die Ausstellung Das Schiff von Uluburun - zum Welthandel von 3000 Jahren zu sehen. Das wurde in Kooperation mit einem Museum in der Türkei zusammen gemacht. Damit solche Projekte überhaupt zustande kommen, müssen sich die Museen für solche Ausstellungen öffnen. Und zwar nicht als Highlight für ein türkisches, sondern auch für ein deutsches Publikum.
Und wie steht es mit den Institutionen der Kulturförderung?
Da gibt es zum Beispiel die Kunststiftung NRW, die alljährlich viele Künstlern unterstützt. Bis heute ist allerdings kein türkischstämmiger Künstler gefördert worden. Oder denken Sie an die hiesige Filmstiftung. Natürlich gibt es den Vorzeigeregisseur Fatih Akin. Aber wenn Gegen die Wand bei der Berlinale nicht den Preis bekommen hätte, wäre auch er weiterhin nur eingeweihten Kreisen bekannt. Ich glaube gar nicht, dass hier böse Absicht vorliegt. Man macht in der Förderpolitik nur einfach so weiter wie bisher. Auf der anderen Seite nimmt die deutsche Öffentlichkeit Fatih Akin oder türkische Schauspieler und Moderatoren im Fernsehen immer nur als Ausnahmefälle wahr.
Der Kulturrat etabliert sich zu einem Zeitpunkt, zu dem Themen wie Integration und Migration in aller Munde sind. Wie beurteilen Sie die aktuellen Maßnahmen?
Bis heute herrscht zwischen Deutschen und türkischen Migranten so eine Art Nebeneinanderherleben und das bedeutet, dass man eine gewisse Distanz gegenüber dieser fremden Kultur empfindet. Beide Seiten, die Deutschen, aber auch die Türken selbst haben zunächst gedacht, dass die Migranten irgendwann in ihr Heimatland zurückkehren. Deswegen wurden die Probleme ignoriert. Heute engagiert man sich plötzlich für die Integration, aber für die erste Generation ist es bereits zu spät, teilweise auch für die zweite. Wenn man dann allerdings die Migranten nur als Defizitträger und Sündenböcke sieht, wird es schwierig. Anstatt von Defiziten sollte man davon sprechen, was sie zu dieser Gesellschaft beigetragen haben, was man von der Bikulturalität lernen und wie man sie besser einsetzen kann.
Spielt für die Entstehung des Kulturrats auch die Kür von Essen und Istanbul als Kulturhauptstädte 2010 ein Rolle?
Das wird eine große Rolle spielen. Wir wollen das zum Anlass für einen regen Austausch und eine enge Kooperation zwischen beiden Städten nehmen und bis 2010 zahlreiche Projekte durchführen. Das betrifft nicht nur die kulturelle Ebene, auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel der Infrastruktur können beiden Städte zusammenarbeiten.
Wie werden die ersten Schritte des Kulturrats aussehen?
Wir wollen eine Bestandsaufnahme aller Projekte und Initiativen machen, die es hier in NRW gibt. Sowohl der türkischstämmigen kulturellen Aktivitäten, als auch der in Frage kommenden deutschstämmigen Kooperationspartner. In Gesprächen mit Vertretern dieser Projekte und Institutionen werden wir die Probleme bei der Durchführung, der Förderung oder bei der Erreichung der Zielgruppe erörtern. Diese Bestandsaufnahme soll die Arbeit des Rates erleichtern und zugleich Maßnahmen für zukünftige Projekte entwickeln. Dann wollen wir Seminare und Workshops veranstalten, zu denen wir türkischstämmige und deutschstämmige Vertreter aus Kunst und Kultur einladen und mit ihnen die Problemfelder besprechen. Schließlich planen wir mit der Türkei noch in diesem Jahr ein Symposion zum Thema Türkische Kultur in Europa.
Das Gespräch führte Hans-Christoph Zimmermann
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