Dem Abgrund entgegen

Italien Mit Steuergeschenken und Zweckoptimismus will die Regierung Berlusconi den Staatsbankrott abwenden

Hilft jetzt nur noch Beten, um in Italien die schlimmsten Folgen der Wirtschafts- und Schuldenkrise abzumildern? Papst Benedikt jedenfalls hat beim sonntäglichen Angelus-Gebet am 31. Januar nicht nur um göttliche Hilfe nachgesucht. Er appellierte zugleich an das Verantwortungsbewusstsein der Politik, der Unternehmer wie der Arbeitenden. Seine besondere Anteilnahme gelte den Beschäftigten zweier von Schließung bedrohter Fabriken: der FIAT-Niederlassung in Termini Imerese (Sizilien) und dem Alcoa-Schmelzwerk auf Sardinien, teilte der Pontifex maximus mit. Während die angesprochenen Konzerne auf diese Mahnung nicht reagierten, begrüßten neben Gewerkschaftsvertretern auch Politiker der Berlusconi-Regierung die päpstliche Intervention. Dass die ganz auf der Linie ihrer Wirtschaftspolitik läge, ist indes eine grobe Verzerrung der Realität.

So hat das Kabinett Berlusconi auf Programme gegen die Wirtschaftskrise weitgehend verzichtet. Subventionen für den industriell wenig entwickelten Süden, die in den siebziger Jahren unter anderem die Ansiedlung von FIAT auf Sizilien ermöglicht hatten, wurden längst zurückgefahren – mit den entsprechenden Konsequenzen für die Beschäftigung.

Die horrende Staatsverschuldung wird dadurch kaum aufgehalten. Und da sind die offiziellen Zahlen in der Tat alarmierend. Italien ist nominell größter Staatsschuldner der Eurozone. Die Gesamtsumme der Außenstände beträgt knapp 1,7 Billionen Euro; das entspricht etwa 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für 2009. Im laufenden Jahr könnten sich die Gesamtschulden auf 120 Prozent des BIP erhöhen, was bereits auf eine saftige Neuverschuldung hindeutet – die dürfte bei knapp sechs Prozent des BIP liegen.

Das übliche Schneeballsystem

Die größten Haushaltslöcher werden durch die Emission von Staatsanleihen gestopft; um die zu bedienen, müssen regelmäßig neue Anleihen auf den Markt geworfen werden – nach dem auch anderswo üblichen Schneeballsystem. Damit illegal ins Ausland transferiertes Geld zurück fließt, bietet der Staat eine jetzt von drei auf sechs Monate verlängerte Steueramnestie an: Wer sein Geld heimholt, muss lediglich fünf (ab 2010: sechs) Prozent Steuern zahlen und bleibt straffrei. Ein Geschenk an die Reichen, bei dem auch die Banken gut verdienen. Dem Staat blieben von den zurückgeflossenen 100 Milliarden Euro ganze fünf Milliarden an Mehreinnahmen für die ersten drei Monate der Amnestie.

Massiv gespart werden soll in der Bildung. Doch haben die Proteste, die auch von Teilen der rechten Wählerschaft unterstützt wurden, dazu geführt, dass die von der zuständigen Ministerin Mariastella Gelmini vorangetriebene „Reform“ langsamer vonstatten geht als geplant. Mancher aus dem pädagogischen Personal darf sich dennoch längst zum wachsenden Prekariat zählen.

Auch dagegen weiß Berlusconi Rat: Steigt die Erwerbslosigkeit, muss eben die Statistik geschönt werden. Tatsächlich liegt die Erwerbslosenquote nicht bei 8,3 – wie vom staatlichen Statistikinstitut Istat angegeben –, sondern bei 11,0 Prozent. Die erheblichen regionalen Unterschiede sind auch in dieser Zahl nicht erfasst. Wirtschaftsminister Tremonti räumt denn auch ein, es gebe „Sektoren, Situationen, Familien, Personen mit Schwierigkeiten“, aber „das System als Ganzes“ habe sich bewährt. Nun deute alles auf einen Aufschwung hin.

Zum entscheidenden Hebel dafür soll eine große Steuerreform werden, nach der es nur noch zwei Einkommenssteuersätze geben würde: einen von 23 und einen von 33 Prozent. Damit die Progression zu verabschieden, wäre nicht nur grob unsozial, sondern würde dem Staat auch gigantische Mindereinnahmen bringen. Berlusconi und Tremonti bestreiten das und beteuern, bei niedrigeren Steuersätzen würden auch die Reichen bereitwillig zahlen. Ein ziemlich naiver Glaube: In unregelmäßigen Abständen berichten italienische Zeitungen über dreiste Fälle von Steuerhinterziehung etwa durch Immobilienmakler, die ihr Jahreseinkommen mit 20.000 Euro angeben – ein Betrag, der gerade einmal die Leasingraten für die Segelyacht abdeckt.

Ein Staatsbankrott kommt in der Fantasiewelt der italienischen „Hyperliberalen“ nicht vor. Arbeitsminister Maurizio Sacconi, der immerhin Ende 2008 für möglich hielt, dass der Staat zahlungsunfähig sein könnte, schweigt inzwischen. Und Berlusconi tut das, was er immer noch am besten kann: Optimismus verbreiten. Im Interview mit La Repubblica ließ er gerade wissen, 2010 werde das Jahr, „in dem wir die Krise definitiv hinter uns lassen“.

Jens Renner ist freier Autor und berichtet für den Freitag seit Jahren über Italien

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