Dem Dorf eine Chance

Geflüchtete Das strittige neue Integrationsgesetz will Asylbewerber an einen Wohnort binden. Nur wo?
Ausgabe 24/2016
Die Provinz leidet an einem Coolnessdefizit. Doch es gibt Wichtigeres im Leben
Die Provinz leidet an einem Coolnessdefizit. Doch es gibt Wichtigeres im Leben

Foto: Imago

Als der Bundestag neulich über das Integrationsgesetz debattierte, war in den TV-Nachrichten eine freundlich wirkende Frau aus Barth in Mecklenburg zu sehen. Sie sagte, dass sie es gut verstehen könne, wenn Geflüchtete aus ihrem Städtchen schnellstens wieder weg wollten. Was sollten Syrer und Afghanen dort auch mit ihrer Zeit anfangen? Mit wem sollten sie arabisch essen? Armes Barth! Die Geflüchteten, meinte die Anwohnerin, „kommen an, sehen die Stadt und stellen fest, hier ist nichts“. Immerhin 8.800 Menschen sehen das offenbar anders – denn sie leben längst in Barth, als angestammte Einwohner, wie die Interviewte selbst. Interessant, dass die unter Großstädtern beliebte Provinzverachtung neuerdings also auch von den Provinzlern selbst geäußert wird. Bloß: Was soll das?

Eine Menge Menschen lebt „da draußen“, und das keineswegs aus Verzweiflung. Im Gegenteil. Dort lebt man gut. Die dreijährige Wohnortbindung, die jetzt in der ersten Lesung des neuen Gesetzes in Berlin diskutiert wurde, berührt ja nicht nur die Frage, wo anerkannte Asylbewerber, sondern wo der Mensch ganz generell am besten leben kann. Klar: am besten da, wo er nette Leute um sich hat, ein paar Läden, eine Kneipe vielleicht und einen Job. In Hamburg, Berlin und Köln landen die Neuankömmlinge eher selten in einem gemütlichen Kiez, sondern öfter in einem Elfgeschosser am Stadtrand.

Das Dorf und das Städtchen leiden an einem unerklärlichen Coolnessdefizit. Dabei wären Menschen, die neu ins Land kommen, gut dort aufgehoben! Dörfer bieten Platz, Entfaltungsraum und soziale Einbindung. Das haben die vergangenen Monate gezeigt: Da haben sich etwa Inselbewohner in Ostfriesland zusammengetan, um einen Ghanaer durchs Asylverfahren zu bringen. Da sammelt ein Dorf in Thüringen für die einzige afghanische Familie am Ort. So etwas funktioniert, weil sich die Menschen in der Provinz einfach näher sind als in den Metropolen. Ein Job findet sich letztlich auch leichter, wenn der Werkstattmeister oder die Pflegedienstleiterin die Bewerber kennt.

Das wissen auch die Länderchefs, die das Integrationsgesetz demnächst im Bundesrat auf dem Tisch haben werden. Gerade die Chefs der Ostländer, die sonst mancherorts nur Schrumpfung zu verwalten haben. Jetzt ließen sich mit einem Schwung junge Menschen mit neuer Energie ins Land holen. Die Strukturen sind da: Es gibt gute Schulen, Kitas ohne Warteschlangen, Sportvereine mit offenen Türen. Und wären mehr Menschen zugegen, würde auch der Bus eines Tages öfter fahren. Das alles dürfte die Integration der neuen Bürger leichter machen, als eine Staatsoper oder ein Uni-Institut in Fahrradnähe es könnte.

Das Dorf gilt als Problemzone, die vernünftigen Leute seien längst weg, heißt es oft. Die Republik schaute geschockt auf Tröglitz in Sachsen-Anhalt, wo der Bürgermeister wegen eines Flüchtlingsheims zurücktrat, schaute beschämt nach Clausnitz in Sachsen, wo Rassisten einen Flüchtlingsbus blockierten. Solche Fälle bestätigen das Bild von der scheinbar idyllischen Provinz, hinter deren Jägerzäunen das Grauen lauert. Dabei gibt es eine Menge Engagement da draußen. Von denen, die schon dort sind – und künftig hoffentlich auch von Geflüchteten. An einem Ort wie Barth könnte man viel aufziehen. Ein arabisches Restaurant, zum Beispiel.

Christine Keilholz arbeitet als Sachsen-Korrespondentin der Lausitzer Rundschau

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