Demokratieverständnis

Bundespräsidentenwahl Wenn die Linke mit Zustimmung droht, bricht Panik aus

Eigentlich ist die Sache doch die einfachste der Welt: Jürgen Kolbe, der am 15. Mai im Alter von 67 Jahren verstorben ist, war als Parteiloser von 1976 bis 1988 Kulturreferent der Stadt München, wie die parteilose Christina Weiss von 1991 bis 2001 in Hamburg. Beide, Kolbe wie Weiss, haben Akzente gesetzt, die weit über die Städte ihres Wirkens hinaus Aufsehen erregten. Beide haben sich als Kulturpolitiker in einem Maße profiliert, dem nur wenige Parteipolitiker entsprechen. Man denkt an den Sozialdemokraten Hilmar Hoffmann, den die Frankfurter CDU-Stadtregierung bei ihrem Antritt wegen seiner Fähigkeiten im Amt beließ, an Hermann Glaser, an Olaf Schwencke, aber damit hat sich´s schon. Dass Qualifikation vor Parteizugehörigkeit geht, ist Beweis und Bedingung einer funktionierenden Demokratie

Als die Sonntags-Talkshow der öffentlich-rechtlichen ARD für Sabine Christiansen eine Nachfolge suchte, wurde das in den deutschen Medien heftig diskutiert. Die Namen der Kandidaten waren bekannt, die Vorlieben geteilt. Es gab Argumente für und gegen jede und jeden unter den Nominierten. Die Parteizugehörigkeit gehörte nicht dazu. Sie wurde nicht einmal erwähnt. Muss das den Konsumenten des ORF im benachbarten Österreich nicht wie ein Bericht aus Utopia vorkommen? Es geht auch anders, aber so geht es auch.

Solange in Österreich eine Parteilose oder ein Parteiloser in einer vergleichbaren Position undenkbar ist, gilt: Österreich hat den Status einer Demokratie noch nicht erreicht. Darüber können die schönsten Hochglanzprospekte nicht hinwegtäuschen. So einfach ist das. Und so lächerlich erscheint es unter diesen Bedingungen, wenn Österreich als Mitglied der EU über die Demokratie in neu hinzukommenden Staaten befindet.

Aber auch in Deutschland, wo die Demokratie weitaus fester verankert ist als in der geheimen Monarchie Österreich, tut man sich gelegentlich schwer mit den einfachsten Wahrheiten. Da geraten auf einmal die politischen Tugendwächter in Aufregung bei dem Gedanken, Gesine Schwan könnte mit den Stimmen der Linkspartei zur Bundespräsidentin gewählt werden.

Nun gibt es Manches, was gegen Gesine Schwan spricht. Nur ein Verblendeter kann hoffen, sie würde gegenüber Horst Köhler einen Linksruck einleiten. Schwan oder Köhler - eigentlich ist es gehupft wie gesprungen. Bei Köhler weiß man wenigstens, woran man ist. Aber dass es als politische Katastrophe dargestellt wird, wenn die Stimmen einer demokratisch gewählten Partei mitgezählt werden, dass gar von "Kooperation" gesprochen wird, wo es allenfalls um eine Tolerierung geht, ist doch einigermaßen erschreckend und lässt am Demokratieverständnis derer zweifeln, die solche Überlegungen anstellen, um die SPD zu erpressen. Es ist umso bedenklicher, als diese Neuauflage des plattesten Antikommunismus aus der Zeit des Kalten Krieges in einem Land erfolgt, in dem man niemals Hemmungen hatte, den Bundespräsidenten von alten Nazis wählen zu lassen. Jede Stimme (und genau besehen: fast jeder Kandidat) war willkommen. Nur wenn die Linke mit ihrer Zustimmung droht, bricht Panik aus. Vielleicht muss man doch noch weiter nach Westen schauen, um zu lernen, was Demokratie bedeutet.

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