Die Tinte auf den Fingern der Wahlfälscher war noch nicht trocken, als der deutsche Kanzler schon dem Hauptprofiteur der Farce seine Aufwartung machte: Am Montag reiste Gerhard Schröder nach Kabul zum herzlichen tête à tête mit dem bisherigen afghanischen Staatschef Karzai und erklärte ihn kurzerhand zum Sieger. Bis zu diesem Zeitpunkt war noch keine einzige Stimme ausgezählt und allgemein bekannt, dass frühestens bis Ende des Monats mit einem vorläufigen Endergebnis zu rechnen sei - doch all das ficht einen Sozialdemokraten nicht an. Zwar kennt auch SPD-Verteidigungsexperte Reinhold Robbe "die Ergebnisse noch nicht, aber angesichts der Wahlbeteiligung und sicher auch des absehbaren Wahlsieges von Präsident Karzai werden die Kritiker wohl eines Besseren belehrt werden". Robbe weiter: "Das ist für das Fundament des neuen Afghanistan von unschätzbarer Bedeutung."
Dass das Fundament von Freedom Democracy am Hindukusch schon recht stabil ist, hat der Urnengang jedenfalls gezeigt. Zwar wurden für 200 Millionen Dollar eigens Wahlkabinen und High-Tech-Equipment aus Europa eingeflogen, doch raffinierter Weise hatte man ausgerechnet am Wichtigsten gespart: Es waren nicht genug wasserfeste Marker vorhanden, um die Hände der Wähler zu kennzeichnen und ein mehrfaches Abstimmen auszuschließen. Noch am Wahltag verlangten alle Gegenkandidaten Karzais daraufhin eine Annullierung dieses Wahlgangs und konnten nur durch erheblichen Druck der USA sowie der Vereinten Nationen davon abgebracht werden. Schließlich forderten sie nur noch die Prüfung der Ergebnisse durch eine unabhängige Kommission, aber nicht einmal darin wurden sie von Kanzler Schröder unterstützt.
Schon im Vorfeld war massiv geschoben worden. Noch im Frühjahr ging die UNO von 10,5 Millionen Wahlberechtigten aus, dann aber senkte man die Zahl stillschweigend auf 9,5 Millionen, denn besonders im Süden des Landes gab es erkennbar Probleme. Dort hatte sich bis Anfang August in 18 von 44 Distrikten keine einzige der geschätzten 134.000 wahlberechtigten Frauen in die Wahllisten eintragen lassen. Am Schluss aber wurde nicht nur im Süden, sondern in ganz Afghanistan das Plansoll mehr als erfüllt: 10,5 Millionen Bürger ließen sich bis Ende September in die Wahlkataster aufnehmen, also über 110 Prozent der ursprünglich angenommenen erwachsenen Bevölkerung.
Davon kann selbst George W. Bush noch etwas lernen. "In Amerika rückt die Wahl immer näher, und heute ist etwas Großartiges in Afghanistan passiert", kommentierte er den vermeintlichen Sieg Hamid Karzais. Das werden Leute wie sein Bruder Jeb schon richtig verstehen: Was mit Geisterwählern und abwaschbarer Tinte am Hindukusch möglich war, müsste sich doch mit der Microsoft-Software und gelochten Stimmkarten auch in Florida bewerkstelligen lassen. Vollendet sich die Demokratisierung Afghanistans in einer Afghanisierung der Demokratie?
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.