Demut als Überlebensstrategie

Im Gespräch Die iranisch-libanesische Kuratorin Rose Issa über Zensur und Solidarität von Künstlern in ihrer Heimat und die Frage, warum Originalität am wirkungsvollsten Widerstand gegen Globalisierung leistet

Die Kuratorin Rose Issa hat sich in den vergangenen 20 Jahren als Spezialistin für bildende Kunst und Film aus dem Nahen Osten und Nordafrika einen Namen gemacht. Zuletzt zeichnete die in London lebende Issa für das Kunst- und Filmprogramm der Veranstaltungsreihe Entfernte Nähe - Neue Positionen iranischer Künstler verantwortlich, die im Frühjahr im Berliner "Haus der Kulturen der Welt" stattfand. Rose Issa wurde 1949 in Iran geboren, zog in den sechziger Jahren mit ihrem aus dem Libanon stammenden Vater nach Beirut und wanderte 1975, drei Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs, nach Frankreich aus.

FREITAG: Frau Issa, Sie beobachten die Film- und Kunstszene in Iran seit mehr als 30 Jahren. Gibt es so etwas wie eine iranische Mentalität, die in der Kunst zum Ausdruck kommt?
ROSE ISSA: Es gibt eine iranische Redensart, "In niz bogzarad", was soviel heißt wie: "Auch das wird vorübergehen, nichts ist für immer". Sie wurzelt in der Überzeugung, dass alles, was wir haben, zeitlich begrenzt ist, sei es Macht, Jugend, Reichtum, Schönheit, Liebe, Trauer, Armut oder Verzweiflung. Diese Haltung findet sich seit dem Mittelalter in der iranischen Dichtung wieder, etwa bei den Klassikern Ferdowsi, Hafez, Saadi, Rumi oder Khayyam. Wer sich die Einstellung zu Eigen macht, dass nichts für ewig ist, kann daraus eine positive Lebensauffassung gewinnen. Sie hilft, die eigenen Sorgen und Nöte zu relativieren und sich mit dem zu bescheiden, was möglich ist. Demut als Überlebensstrategie.

Wie spiegelt sich diese Strategie in der Kunst wider?
Einige der Künstler verlassen ihre Heimat, wie die meisten Filmemacher und Fotografen. Manche verlassen die Heimat und kehren zurück, um Inspiration zu finden, wie die Regisseure Bahman Farmanara und Dariush Mehrjui oder der Bildende Künstler Farhad Moshiri. Andere, wie Shirin Neshat oder Farkhondeh Shahroudi, leben außerhalb von Iran, nehmen in ihrer Arbeit jedoch auf Ereignisse im Land Bezug. Wieder andere leben im Ausland und stellen westliche Konzepte in Frage, was zum Beispiel der Architekt und Skulpturist Siah Armajani oder der Regisseur Parviz Shahbazi tun. Oder sie bewegen sich zwischen Iran und ihrer Wahlheimat wie der Fotograf Abbas Attar.

Ist denn eine kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart überhaupt möglich, wenn man in einem Land lebt, in dem die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse alles andere als demokratisch sind?
Die iranischen Künstler haben trotz strenger Restriktionen vor und nach der Islamischen Revolution 1979 stets versucht, die Grenzen des Sag- und Darstellbaren zu vermessen und die Lücken im System zu finden. Obwohl sie mit Zensur und Festnahmen, finanziellen Einschränkungen und Isolation, einer schwachen Infrastruktur, einem bescheidenen Kommunikationsapparat und mangelndem Zugang zu Informationen zu kämpfen hatten und haben, haben sie durch mutiges Verhandeln und Experimentieren neue Wege gefunden, sich künstlerisch auszudrücken.

Gibt es Unterschiede in den Ausdrucksformen zwischen den Künstlern, die in Iran leben, und denen, die in den Westen gegangen sind?
Künstler, die außerhalb Irans arbeiten, orientieren sich an der Konzeptkunst - etwa Siah Armajani, Ali Mahdavi oder Mitra Tabrizian -, während die Künstler, die in Iran leben, sich eher metaphorisch ausdrücken. Sie haben eine neue Sprache geschaffen, durch die sie ihre Gedanken in Parabeln und Poesie vermitteln können, ohne sich von den Behörden einschüchtern oder von ihrem Publikum beeinflussen zu lassen. Hinzu kommt, dass die Künstler in Iran mit begrenzten Mitteln arbeiten. Es gibt kaum professionelle Galerien oder sonstige Institutionen. Damit fehlt die elementare Voraussetzung dafür, als Künstler auf sich aufmerksam zu machen. Und doch ist es etwa den iranischen Filmemachern gelungen, allen finanziellen und politischen Einschränkungen zum Trotz eine Reihe von herausragenden Werken zu schaffen. Die Restriktionen bewirken zugleich eine Atmosphäre der Solidarität. Jeder hilft dem anderen, wo er kann, stellt zur Verfügung, was er hat: Equipment, Zeit, Erfahrung oder Kontakte. Es entwickeln sich auch ständig neue Kommunikationsforen, etwa im Internet.

Der Kulturwissenschaftler Tirdad Zolghadr kritisiert einige der im Exil lebenden iranischen Künstler wie Shirin Neshat als selbst ernannte "geopolitische Sprachrohre ihres angeblich verstummten Heimatlandes". Hat er Recht?
Soweit ich weiß, hat Neshat nie behauptet, dass sie das "Sprachrohr" Irans sei. Wer glaubt, dass sie diese Funktion hat, kennt weder sie noch ihre Heimat. Seit Neshat die Werke der Dichterin Forough Farokhzad und der Schriftstellerin Shahrnoosh Parsipour als Grundlage für ihre Arbeit benutzt* - beides Iranerinnen, die ihre Bücher in Iran geschrieben haben -, hat sie nie gesagt, dass es keine Freiheit in Iran gibt. Neshats Werke können problemlos in Iran gezeigt werden, wenn auch nur für einige wenige Zuschauer. Aber das ist weniger ein Problem der Zensur in Iran, sondern eines, das die ganze Welt kennt: Kunst außerhalb des Mainstreams erreicht in der Regel kein großes Publikum.

In Zeiten weltweit zunehmender ökonomischer und kultureller Verflechtung haben Sie als Kuratorin entscheidend dazu beigetragen, die bildende Kunst und den Film aus Nahost und Nordafrika bekannt zu machen. Wirkt sich die Globalisierung positiv oder negativ auf Ihre Arbeit aus?
Die Globalisierung ist ein zu komplexes und widersprüchliches Phänomen, als dass sie pauschal als "Chance" oder "Risiko" gewertet werden könnte. Kulturelle Globalisierung kann die Isolierung der Intellektuellen untereinander und von der Außenwelt abbauen und eine größere Offenheit schaffen. Die Nutzung des Internets etwa fördert die Kommunikation auf allen Ebenen, auf wissenschaftlicher wie kultureller. Nicht nur die Wissenschaftler können davon profitieren, sondern auch die Künstler. Für iranische Kulturschaffende etwa ergeben sich neue Möglichkeiten, trotz des Verbots einer Ausstellung oder einer Vorführung in Iran mit ihren Werken ein internationales Publikum zu erreichen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass aufgrund der vereinfachten Kommunikationsmöglichkeiten die Innovationsfreude nachlässt. Denn dadurch steigt der Anreiz, die erfolgreichen Werke westlicher Künstler nachzuahmen. So wird Innovation durch Imitation ersetzt.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber vertritt in seinen Werken wie "Jihad vs. McWorld" die Ansicht, dass Fragmentarisierung und Homogenisierung zwei Pole einer Entwicklung seien, die einander wechselseitig bedingen. "Jihad", von Barber nicht nur für den islamischen "Heiligen Krieg", sondern als Begriff für jeglichen lokalen Partikularismus verwendet, wird dabei als Reaktion auf die weltweite Gleichmacherei durch einen westlich dominierten Markt definiert. Im Prozess der Kulturschmelze entstehe eine "amerikanische Monokultur", die die Vielfalt gewachsener nationaler Kulturen auf einen homogenen globalen Themenpark à la Disneyland reduziere.
Ich bin da nicht so pessimistisch. Kulturelle Globalisierung bedeutet ja auch, Gesellschaften durch Vernetzung ein Ausbrechen aus lokaler Beschränktheit zu ermöglichen und das Bewusstsein etwa für Menschenrechte und Umweltschutz zu stärken. In Kunst und Film ist es die Originalität, die gegen die Kulturschmelze aufbegehren kann. Die Filme von Regisseuren wie Abbas Kiarostami, Mohsen Makhmalbaf und Jafar Panahi wurden weltweit gefeiert, weil sie originell waren.

Manche Kritiker stellen das Prinzip der Authentizität nicht zuletzt deshalb in Frage, weil es den westlichen Kriterien folgen muss. Originalität werde solange in Kunst und Kultur geschätzt, wie sie westliche Vorstellungen von Tradition nicht herausfordere. "Afrikanische Kunst" etwa müsse ein stereotypes Afrikabild bestätigen. Fruchtbarkeit, Sexualität und Magie, diese "typischen" afrikanischen Eigenschaften, sollten sich auch in den Kunstgegenständen wiederfinden lassen. Spielen auch deshalb ethnisch-kulturelle Elemente wie die persische Kalligrafie, der Tschador oder volkstümliche Klänge in den Arbeiten der iranischen Künstler eine Rolle?
Nein. Ein Künstler hat entweder etwas zu sagen oder nicht. Wenn er etwas zu vermitteln hat, wenn er über sein Werk mit den Rezepienten in einen Dialog tritt und sich seine Originalität bewahrt, dann verdient er Anerkennung. Nehmen wir einmal das iranische Kino: Der iranische Film schöpft seine Energie aus dem alltäglichen Leben. Seine Sprache ist einfach und nachvollziehbar, und diese Einfachheit spricht ein breites Publikum an. Auf der anderen Seite werden in Iran jährlich rund 70 Filme gedreht, und natürlich sind viele dieser Filme Imitationen europäischer Filme, ohne Qualität und ästhetischen Wert. Künstler schaffen sich ihre eigene Plattform. Wie sie sich orientieren und mit welchen Motiven sie arbeiten, bleibt ihnen überlassen.

Einige Stimmen in Iran, wie der Teheraner Filmkritiker Mehdi Abdollahzadeh, kritisieren iranische Regisseure wie Mohsen Makhmalbaf, Abolfazl Jalili und Madjid Madjidi als "Festival-Regisseure", die ein exotisches und falsches Bild von Iran vermittelten. Ist das eine berechtigte Kritik?
Ich kenne diesen Vorwurf. Nun, Makhmalbaf und Madjidi haben am Anfang ihrer Karriere sehr stark die Politik der iranischen Regierung vertreten. Dann haben sie ihren Stil geändert und einige Verleihe in Europa und den Vereinigten Staaten gefunden, die ihre Filme in die Kinos brachten. Da haben die Festivals keinen Einfluss. Der arme Jalili hingegen hat weder in Iran noch im Ausland einen kommerziellen Verleih gefunden. Es ist wahr, dass seine Filme nur auf Festivals gezeigt wurden: weil sie experimentell sind und mit ihren unglaublich realen Lebensgeschichten Filmemacher, Kritiker, Kuratoren und ein Festival-Publikum faszinieren. Aber: Was ist so schlimm an einem Festivalfilm? Oft, wenn nicht immer, zeigen Festivals Filme, die in den Kinos keine Chance haben, weil dort der Hollywood-Mainstream läuft. Festivals bieten die Möglichkeit, mit dem Rest der Welt in Kontakt zu treten, mit anderen Denkweisen und Methoden in Berührung zu kommen. Deshalb sage ich "ja" zu Filmfestivals und wünsche den Regisseuren gutes Gelingen. Diejenigen, die keine Festivalfilme mögen, können ja gerne in Mainstream-Kinos gehen.

Das Gespräch führte und übersetzte aus dem Persischen und Englischen: Fahimeh Farsaie

*Neshat bezog sich auf Shahrnoosh Parsipours Erzählung Frauen ohne Männer, deren Neuauflage nach der Revolution von 1979 verboten wurde. Parsipour, die daraufhin einige Jahre im Gefängnis saß, lebt im amerikanischen Exil.


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