Den Geist in die Flasche

Literatur Sollen Wissenschaftler Hitlers "Mein Kampf" in einer kritischen Edition herausgeben?

Wie hängen Adolf Hitler und die Atombombe zusammen? Der Diktator suchte sie, bekam sie aber nicht. Dafür die USA. Roosevelt hörte auf die Warnungen der aus Europa emigrierten Wissenschaftler vor Hitlers Geheimwaffe und ließ sie selbst entwickeln. Beide - Hitler wie die Bombe - zogen den bislang größten zivilisatorischen GAU nach sich. Bis heute ähneln Faschismus und Nuklearphysik dem Dschinn aus dem orientalischen Märchen. Ist der Geist erst einmal aus der Flasche, bekommt man ihn kaum wieder hinein.

Dies ewige Dilemma vor Augen, dürfte man sich die Augen reiben bei dem jüngsten Vorschlag zum Umgang mit dem nazistischen "Erbe". Rechter Sympathien unverdächtige Institutionen wie das Kuratorium des Nürnberger Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände fordern, Koryphäen wie Hans-Ulrich Wehler oder Norbert Frei befürworten, Hitlers Buch Mein Kampf in einer kritischen Edition aufzulegen. Der Vorschlag ist gewöhnungsbedürftig. Denn alles, was hierzulande mit dem Nazismus in Verbindung gebracht wird, unterliegt dem Geist rigider Ächtung. Die Parteien überbieten sich regelmäßig mit der Idee, die NPD zu verbieten. Die leiseste Andeutung eines Hitlergrußes ruft den Staatsanwalt auf den Plan. Da soll nun ausgerechnet Hitlers legendäres Bekennerschreiben neu aufgelegt werden? Ganz offiziell? Womöglich mit Vorsatzpapier und Lesebändchen? Was wird das Ausland dazu sagen?

Die Frage ist heikel. Ausweichen lässt sich ihr nicht. Denn spätestens 2015 - 70 Jahre nach dem Tod des Diktators - laufen die Verwertungsrechte an dem Schmöker aus. Die Alliierten hatten sie 1945 auf den bayerischen Staat übertragen. Die Frage, ob man das Machwerk nicht besser ein für alle mal verbieten soll, ist längst obsolet. Denn jeder, der es will, kann Mein Kampf seit langem im Internet kostenlos herunterladen. Eine wissenschaftlich aufbereitete Edition hätte den Vorteil, die unzähligen Raubdrucke zu konterkarieren, die international im Umlauf sind und in denen ahnungslose Leser Auslassungen und Kürzungen nicht nachvollziehen können.

Mit Anmerkungen wären auch die Quellen kenntlich zu machen, aus denen Hitler sich bediente, als er das Werk 1924 im Gefängnis schrieb, man könnte die offiziöse Editionsgeschichte bis 1945 besser nachvollziehen. So wäre eine Referenzgröße im Raum, die verhindert, dass das Werk endgültig zur Reliquie der Bewegung mutiert. Winston Churchill ärgerte sich nach dem Krieg, dass niemand es seinerzeit richtig gelesen hatte. Er nannte es einen "neuen Koran des Glaubens und des Krieges: schwülstig, langatmig, formlos, aber schwanger mit seiner Botschaft". Eine kritische Ausgabe könnte womöglich auch den Blick schärfen für die Genese erst antidemokratischen, dann mörderischen Denkens.

Wie notwendig das ist, hat die Entscheidung des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus gezeigt, ausgerechnet einen ehemaligen Mitarbeiter der Postille Junge Freiheit zum Kultusminister seines Landes zu berufen. Die raffinierte Legitimationsstrategie der weichgespülten Neurechten trägt Früchte. Die Grenze nach rechts außen wird unscharf. Vom ironischen bis zum moralischen Antifaschismus haben sich die Versuche als wenig wirkungslos erwiesen, diesen Sumpf in allen Schattierungen von altbraun bis zu neuocker trocken zu legen.

Eine kritische Werkausgabe von Mein Kampf, betreut von anerkannten Zeithistorikern und Faschismusforschern, kann kein Allheilmittel gegen die Renaissance nationalsozialistischen Denkens sein. Auf Dauer helfen dagegen nur demokratisches Bewusstsein, Erinnern und Zivilcourage. Der Vergleich hinkt zwar. Hitler ist nicht Mohammed. Doch so wie die kritische Edition der Texte der Weltreligionen, die der Suhrkamp-Verlag neuerdings herausgibt, ein Stück Säkularisierung des Heils bedeutet, könnte eine wissenschaftliche Ausgabe von Mein Kampf einem Stoff ein Teil der Sprengkraft nehmen, die sich aus Mythos und Tabu speist. Der Geist des Bösen wird nicht wieder in die Flasche zu zwingen sein. Aber auch ungewöhnliche Mittel sollten recht sein, ihn möglichst klein zu halten.

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