Den Kopf!

Linksbündig Das Hinrichtungsvideo der Saddam-Wächter war ein Macht-Signal

Seit Saddam Husseins Hinrichtung als Internetfilm zu sehen ist, meinen manche, die digitalen Filme auf Videoportalen hätten nun eine neue Stufe würdelosen Zur-Schaustellens von Intimität erreicht - nun sogar eine Hinrichtung, live und in Farbe. Andere meinen, man solle dem Macher des Videos dankbar sein - diese Bilder seien so barbarisch, dass sie geeignet seien, eine Debatte um die Todesstrafe auszulösen.

Tatsächlich geht von den 2 Minuten 32 Sekunden verwackelter Kamera etwas Bestürzendes aus. Das Herumschubsen des ergrauten Diktators, der versucht, sein Gebet zu sprechen, der von mehreren Vermummten laut beschimpft wird, so dass er von vorn beginnen muss. Der vom Schemel gestürzt wird, noch während er spricht. Es geht schnell, und es ist weniger spektakulär als erwartet. Nur das Gesicht eines alten Mannes, eine düstere Kelleratmosphäre, Geschrei, dann das tote Gesicht eines alten Mannes, unscharf, schwankend. Die Wackelbilder unterstützen ein Gefühl der Verunsicherung.

Dass ein Todesurteil vor den Augen der Öffentlichkeit vollstreckt wird, ist an sich nichts Neues. Hinrichtungen vor den Blicken des Volkes finden statt, seit es politische Macht gibt. Sie sind Demonstrationen, einerseits über Leben und Tod verfügen zu können, andererseits über die Form des Tötungsaktes zu bestimmen. Zelebrierte man im europäischen Mittelalter Hinrichtungen an exponierten Orten mit viel Publikum, bei denen das Volk an vielerlei Martern am Körper des Verurteilen beteiligt wurde, rückte man seit der Neuzeit die Vollstreckung des Urteils ein Stück vom Zuschauer ab. Die perfektionierte, saubere Tötung durch das Fallbeil - vor eigens ausgewählten Zuschauern - demonstrierte einen Akt staatlicher Souveränität. Ein Regelkorsett an Formen zeigen sowohl Kontrolle als auch eine perfide Spielart von Zivilität beim Töten: genau absehbare Zeitabläufe, eine Henkersmalzeit. Zunehmend übten "zivilisierte" Staaten ihre Macht über den Blick auf den Tod des Delinquenten derart aus, dass sie ihn dem Volk in den meisten Fällen vorenthalten. Während die Abläufe weiter mechanisiert und von menschlicher Beteiligung abgekoppelt werden - das Fallbeil etwa wird maschinell ausgelöst - werden die Bilder des Aktes unter Verschluss gehalten. Das gilt für zivile Delinquente wie auch für die seltenen Fälle, in denen besiegte Tyrannen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Hinrichtungen nach den Nürnberger Prozessen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und die Verbreitung von Bildern wurden restriktiv gehandhabt. Als der Stern eine Dokumentation über den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess veröffentlicht, beklagen sich die Leser in Briefen bitterlich, dass die Fotos der Getöteten fehlen.

Bei wilden Hinrichtungen hingegen wird die staatliche Kontrolle über die Form wie über den Bilderverschluss explizit und demonstrativ gebrochen. Wie etwa bei Lynchmorden, bei denen der Mob auf grausame Art deutlich macht, dass er selbst die Gewalt hat, sein Opfer zu töten - bei denen kollektive Demütigen und das Zur-Schaustellen des Gehenkten zum Ritual gehört. Oder wie beim Sturz Mussolinis, bei dem die aufgebrachte Menge selbst den Tyrannen schändet und weithin sichtbar kopfüber hängt. Das Foto des baumelnden Mussolini ist Teil des Siegs. Ob und wie Bilder von Hingerichteten den Blicken dargeboten oder zurückgehalten werden, ist immer eine Frage, wer die kulturelle Macht über das Töten demonstriert.

So ist es auch im Fall Saddam Husseins. Das heimlich aufgenommene Handyvideo ist ein Bilderraub. Hatte der irakische Staat versucht, den Schein der Vollstreckung eines Todesurteils zu wahren, bei dem es zivil und "mit rechten Dingen zugeht", bemächtigten sich die Wächter der Art der Hinrichtung und zugleich der Verbreitung der Bilder. Das Video der Regierung verzichtet auf das Bild der Leiche. Zudem fehlt der Ton - sodass der Zuschauer nicht hört, dass die Maskierten Hussein durch Beschimpfungen am Beten hindern, ihm jeglichen Anspruch auf Wahrung von Form und Würde versagen. Der Film der Wächter hingegen zeigt alles - die Verhöhnungen, und selbst den toten Diktator. Das Video macht auch dem Letzten klar, dass die schiitischen Wächter die Gewalt über das Ritual für sich beanspruchen: Wir hängen unseren Herrscher auf unsere Art - und reichen dem Volk seinen Kopf.


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