Den Marktspieß umgedreht

SCHMIERSTOFF DER GLOBALISIERUNG Der Ölpreis entlässt die Industriestaaten in einen fairen Wettbewerb

Kaum werden die Autofahrer an den Zapfsäulen wieder stärker zur Kasse gebeten, da zeigt die Zivilgesellschaft ihre Zähne - klassenübergreifend gehen Spediteure, Kraft- und Taxifahrer, Reiseunternehmer und Landwirte auf die Straße und lamentieren über OPEC und Ökosteuer. Was keiner sagt: Die vermeintliche Öl-Verschwörung basiert ganz schlicht auf den Preisbildungsmechanismen des sonst so gern beschworenen gerechten Weltmarkts. Die wachsende Wirtschaft will geschmiert sein, die Öllager aber sind leer, der Energie-Rohstoff ist knapp, und nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage steigen die Preise. Den derart erhöhten Weltmarktpreis wälzen die Öl-Konzerne, die in den vergangenen Jahren Rekordgewinne eingefahren haben, auf die Verbraucher ab. Dazu addieren sich staatliche Steuerwünsche, der niedrige Euro und Spekulationen auf den Terminmärkten - alles ganz normal.

Auch in den Förderstaaten wehren sich derweil Zigtausende gegen die Ölwirtschaft. In Nigeria, im Tschad oder in Ekuador gehen die Anwohner allerdings gegen die rücksichtslose Ausbeutung der Ölvorräte vor, die ganze Landstriche verseucht, ohne dass die Bevölkerung daraus Nutzen zöge. Mit Blokkaden von Raffinerien sollen Ölkonzerne und mit ihnen kooperierende Staatsführungen gezwungen werden, für etwas erträglichere Arbeitsbedingungen und etwas mehr Umweltschutz zu sorgen. Auch diese Proteste richten sich gegen ganz normales Marktverhalten. Schließlich versuchen die Ölkonzerne lediglich, ihre Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Lohnanhebungen und mehr Umweltschutz an den Produktionsstandorten würden den Preis noch weiter in die Höhe und in Europa wohl noch mehr Kraftfahrer in den Wahnsinn treiben.

Die Bewegungen im Süden haben keine Lobby - und die Verbraucher in den Industriestaaten interessieren sich weder für die Lebensbedingungen in Ölförderstaaten, noch kümmern sie sich um globale Preisbildungen. Warum sollten sie auch - sind sie es doch, die in der Regel vom Weltmarkt profitieren. Dafür sorgen ihre politischen und ökonomischen Interessenvertretungen: multinationale Konzerne, Vertragswerke und Institutionen (WTO, IWF) oder Staatenbündnisse (EU). Die predigen den freien Markt und haben gleichzeitig die Macht, ihr Klientel vor dessen negativen Folgen weitreichend abzuschirmen. Mit diesen leben müssen andere: Weil zum Beispiel der Fisch in der EU billig bleiben und spanische Fischer ihre Arbeitsplätze behalten sollen, kauft Brüssel hochverschuldeten westafrikanischen Staaten Fischereirechte ab und subventioniert spanische Reeder. Mit ihren High-Tech-Trawlern fischen diese das Meer ab, das die Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung ist. Weil zum Beispiel lateinamerikanische Kaffeepflücker nur den Bruchteil einer halbwegs angemessenen Entlohnung für ihre Arbeit erhalten, und die Röstereien ihren Sitz nicht in Kolumbien oder Honduras haben, sondern in Deutschland oder Holland, ist bei uns der Costa-Rica-Kenia-Blend so überaus günstig. Und: Nur ein kleiner Teil des Ladenpreises gelangt überhaupt in die Anbauländer.

Trotzdem machen die Erlöse aus dem Export von Bodenschätzen und weitgehend unverarbeiteten Nahrungsmitteln immer noch einen Großteil der Einnahmen vieler Staaten im Süden aus. So sind sie von den Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt und ihren Schwankungen ungleich stärker abhängig als die Industriestaaten. Und die Preise sind bereits seit langem im Keller, für die Rohstoffexporteure sind die Terms of Trade nach wie vor ungünstig. Das ermöglicht Tiefstpreise in hiesigen Supermarktregalen - und in der Autoproduktion.

Nur an den Tankstellen will das System, in dem die Marktmacht der nördlichen Abnehmer und Verarbeiter größer ist als die der südlichen Anbieter, nicht recht funktionieren. Und diese kleine Ausnahme hat einen kurzen Namen: OPEC. Als einer Interessenvertretung von Staaten des Südens ist es allein ihr gelungen, den Marktspieß einmal herumzudrehen und die eigenen Standortvorteile sowie die Abhängigkeit der Welt vom Rohstoff Erdöl hoch profitabel auszunutzen. Die OPEC ist keine entwicklungspolitische Agentur. Ihr ist recht, was sonst den Industriestaaten und deren Institutionen billig ist. Quasi als Kartell der bedeutendsten Förderländer des noch immer wichtigsten aller Rohstoffe hat sie zuletzt effizient verhindert, dass die Nachfrager die verschiedenen Anbieter gegeneinander ausspielen und den Preis drücken können. In den Golfstaaten, in denen noch immer die weltweit größten Ölreserven lagern, sind überdies die ausländischen Ölkonzerne schon lange durch eigene ersetzt worden.

Vor diesem Hintergrund sind die jetzt erfolgten Preiserhöhungen langfristig betrachtet sogar eher mäßig ausgefallen. Das Jammern an den Zapfsäulen über die "Preistreiber" ist jedenfalls armselig und geprägt von plumpem Wohlstandschauvinismus. Tatsächlich bringt der ganz normale Weltmarktalltag mit seinen Dumping-Rohstoffpreisen den Kraftfahrern ihre paar Benzinpfennige tagtäglich doppelt und dreifach wieder herein. Müssten die Fahrzeugbauer für Kupfer, Aluminium oder Eisen hingegen Preise auf hiesigem Produktionsniveau zahlen, erübrigte sich der Spritstreit - kaum jemand könnte sich ein Auto leisten.

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