Das zweitgrößte Gebäude der Welt nach dem Pentagon liegt - man hätte es nicht unbedingt vermutet - in Bukarest. "Haus des Volkes" nannte der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu seinen 400.000 Quadratmeter großen Palast, mit einem Zynismus, der nur aus Dummheit und Menschenverachtung entstehen kann. Denn dieses Gebäude, das heute das Parlament sowie seit neuestem das Nationale Museum für zeitgenössische Kunst beherbergt, wurde - anders als die sowjetischen Kulturpaläste oder der Ostberliner Palast der Republik, der tatsächlich auch Freizeitvergnügen für die Menschen bot - niemals für das Volk gebaut. Es hat das Volk vertrieben.
Mitte der achtziger Jahre, in einer Zeit, als Hunger und Armut in der rumänischen Gesells
en Gesellschaft allgegenwärtig waren, begannen die Bauarbeiten als Teil eines gigantischen städtebaulichen Projekts: für den monströsen Palast und die umliegenden sozialistischen Wohnblöcke wurde ein ganzes Stadtviertel, der schönste, älteste und historisch wertvollste Teil der Altstadt samt Kirchen und Klöstern niedergewalzt und rund 70.000 Menschen von einem Tag auf den anderen aus ihren Häusern vertrieben. 700 Architekten und 20.000 Arbeiter ließen den kompensatorischen Größenwahn ihres "Conducators" zu Stein werden, mehrere hundert von ihnen haben den Bau mit ihrem Leben bezahlt, manche - so wird berichtet - auf Anordnung des obersten Führers, der sein Wissen über Geheimgänge und - kammern für sich behalten wollte. Dass dieser Palast auf den Köpfen der Menschen errichtet wurde, wie die Rumänen zu sagen pflegen, ist nicht nur eine Metapher.Heute liegt das Gebäude mit seinen 1.000 Räumen - an der Rückseite noch immer nicht fertig, während es vorne schon wieder verfällt - umsäumt von mehrspurigen Stichstraßen, Brachland und halbfertigen Parkanlagen zwar mitten in der Stadt und ist doch völlig isoliert von ihr. Trotz seines klotzigen Zuckerbäckerstils und dekorativer Elemente wie Säulen, Pilastern und Rundbögen hat es in seiner sozialistischen Einförmigkeit einen wehrhaften, unzugänglichen Charakter.Diesem Gebäude, das so ungebrochen und omnipräsent mit der kranken Phantasie seines Schöpfers protzt, den Teufel auszutreiben, wird keine leichte Aufgabe sein. Nichts weniger haben sich allerdings die beiden künstlerischen Leiter des Nationalen Museums für zeitgenössische Kunst Mihai Oroveanu und Ruxandra Balaci vorgenommen. Den Palast durch die Kunst zu exorzieren, ist für sie die höchste Aufgabe ihres Mammutprojektes, der Einrichtung des Museums in einem der hinteren Flügel des Gebäudes. Nicht ganz freiwillig allerdings - denn selbst gewählt haben sie diesen Ort nicht. Nachdem sie mit internationaler Unterstützung mehr als ein Jahrzehnt um Anerkennung gekämpft haben, schlug der rumänische Premierminister Adrian Nastase persönlich nach langen Debatten um eine sinnvolle Nutzung des Palastes vor, das Museum dort unterzubringen. Für einen Neubau reiche das Geld nicht, eine Ecke des Palastes könne man dagegen zur Verfügung stellen. Fünf Prozent des Gebäudes sind jetzt Museum, immerhin 16.000 Quadratmeter.Der Architekt der Museumsräume, Adrian Spirescu, ist geschickt mit der schwierigen Aufgabe der Umgestaltung umgegangen. In die über acht Meter hohen Innenräume hat er Zwischendecken eingezogen, aus den überdimensionierten Sälen schlichte, weitläufige White Cubes gemacht, die einen den Gigantismus des Ortes vergessen lassen. Erst durch die Kunst kehrt der Palast in das Bewusstsein des Besuchers zurück. Der Hauptteil der Eröffnungsausstellung, die auf den ersten Blick durch ihre wenigen Exponate überrascht, widmet sich dem zwischen Frage und Aussage changierenden Motto "Rumänische Künstler (und nicht nur die) lieben den Palast?!" und zeigt Werke rumänischer und internationaler Künstler verschiedener Generationen. Empfangen wird der Besucher von der Propagandamalerei der achtziger Jahre, in der der Diktator und seine Frau wie ein gutmütiges Elternpaar mit den Arbeitern des Palastes sprechen. Dann geht es recht ungeordnet weiter, junge Künstler sind neben Werken aus den siebziger Jahren ausgestellt, wie dem 1978 entstandenen Video Dialog mit dem Kameraden Ceausescu von Ion Grigorescu, das bis 1990 von der Zensur verboten war und auf hintergründige Weise Ceausescus Wunsch nach einem "permanenten Dialog zwischen Volk und Führung" als Aufforderung zur Speichelleckerei entlarvt.Trotz der Unübersichtlichkeit lassen sich in der hier ausgestellten zeitgenössischen Kunst der letzten fünfzehn Jahre zwei Tendenzen erkennen: einmal ein ganz ungeschönter, realistischer Umgang mit der Geschichte und Gegenwart Rumäniens, in dem uns das Land in seiner ganzen Härte und Widersprüchlichkeit entgegentritt sowie eine leichtere, fast spielerische Verarbeitung des Themas. Calin Dan zum Beispiel montiert in seinem Video Sample City Aufnahmen des Palastes und Bilder rumänischer Straßenkinder parallel nebeneinander - beides sind traurige Erbschaften des politischen Terrors. Peter Jacobi zeigt dagegen in seinen verfremdeten Fotografien den Palast aus einer Perspektive, aus der er als integrierter Teil der Stadtlandschaft erscheint, was er in Wirklichkeit noch immer nicht ist - eine fast harmonisierende Darstellung. Suzanna Dan lässt in ihrem ironisch-frechen Ölgemälde den Palast über einem rosa Hintern auf grünen Wolken schweben und in Irinea Botteas Video mutiert er zu einem Geschenk für Gartenzwerge und wird von Kühen auf einer Weide beschnuppert. Die Generation der jungen, um die 30-jährigen Künstler versucht den Palast auf ein menschliches oder überhaupt fassbares Maß herunterholen, ihm den Schrecken nehmen, ohne dabei die Vergangenheit zu ignorieren oder zu verdrängen. Provokativ, subversiv, ironisch oder fast heiter und manchmal mit erstaunlicher Naivität.Auffällig ist die fehlende Präsentation anderer kultureller Zentren des Landes neben der Hauptstadt Bukarest. Städte wie Cluj oder Jassy haben eigene, vitale Kunstszenen, von denen es hier allerdings nichts zu sehen gibt. Auch so bekannte Künstler wie der Zeichner und Karikaturist Dan Perjovschi sind nicht vertreten. Er und seine Frau, die Performance-Künstlerin Lia Perjovschi sind die schärfsten und prominentesten Kritiker des Museumsprojekts. Sie fechten nicht nur die stillschweigende Fraternisierung der Museumsleitung mit der von alten Seilschaften getragenen Regierung an, den Ausschluss bedeutender Künstler des Landes, die weitgehende Monopolstellung des Museums sowie die Tatsache, dass der Palast Jahr für Jahr horrende Summen an öffentlichen Geldern verschlingt, sondern sie kritisieren auch die umstrittene räumliche Nähe der Kunst zur Macht. Dass diese Museumseröffnung, die keineswegs zufällig mit dem Beginn des letzten Wahlkampfes in Rumänien zusammenfiel, für politische Zwecke instrumentalisiert wird, ist aus ihrer Sicht unbestritten. Mit dem Parlament in direkter Nachbarschaft sei die Kunst geradezu prädestiniert, die herrschende politische Klasse rein zu waschen von allen Zweifeln an ihren demokratischen, EU-tauglichen Fähigkeiten, argumentiert Dan Perjovschi. Ein nachvollziehbares Argument, doch ist die Entscheidung für ein Museum an diesem Ort angesichts der Alternativlosigkeit ebenfalls zu verstehen.Ein anderer Zweifel, der einen gegenüber diesem Projekt beschleichen kann, ist ebenso hartnäckig. Der Stolz der Museumsleitung auf ihr mit Kuratoren wie René Block, Nicolas Bourriaud und Catherine Millet hochkarätig und international besetztes Gremium sowie der Fokus auf die internationale Kunstszene mag vor dem Hintergrund der jahrelangen Isolation verständlich und in einem Land wie Rumänien, in dem alles stets nur sehr langsam und unter hohem Druck passiert, unumgänglich sein. Doch dass mit der finanziellen und ideellen Unterstützung des Westens auch dessen Gesetze, Geschmäcker und Trends Einzug halten und damit wichtige innerrumänische Themen und Auseinandersetzungen verdrängt werden, ist keine unbegründete Befürchtung.Von welcher Seite auch immer man es betrachtet: Dieses Museumsprojekt ist von zahlreichen Aporien gekennzeichnet. Es repräsentiert geradezu die komplexe Problematik des Landes. Und ob es tatsächlich gelingt, den Palast durch die Eröffnung des Museums wie angekündigt zu einem "Haus des Volkes" zu machen, bleibt abzuwarten. Denn das Gros der Bevölkerung jenseits von Künstlern, Politikern und Intellektuellen hat sich für die Debatte um die Einrichtung des Museums angesichts ihres alltäglichen Überlebenskampfes kaum interessiert. Ebenso wenig wie für das nächste Mammutprojekt, das Bukarest bevorsteht: den Bau einer der größten Kathedralen der Welt. Eine Stadt, in der Sozialstationen schließen müssen, weil sie die völlig überzogenen Mieten nicht mehr zahlen können, in der mit Drogen voll gepumpte Straßenkinder vertrieben werden, damit sie das Altstadtbild nicht verschandeln und Aids-Kranke aus Geldmangel keine medizinische Betreuung erhalten, leistet sich ein Gotteshaus, das höher als Notre Dame werden und Ceausescus Palast klein aussehen lassen soll. Rumäniens Gigantismus ist noch lange nicht zu Ende.
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