FREITAG: Der Ostermarsch hatte in diesem Jahr deutlich mehr Zulauf als in den Jahren zuvor. Ist das ein Signal dafür, daß die fast unisono von der rot-grünen Regierung geforderte Kriegsbeflissenheit von der Bevölkerung nicht widerspruchslos geliefert wird? Und wenn, wie kriegsbeflissen sind die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei?
BENJAMIN MIKFELD: Ich begrüße sehr, daß die Beteiligung an den Ostermärschen deutlich angewachsen ist. Es zeigt, das Thema Frieden ist der Bevölkerung nach wie vor wichtig. Die Leute reagieren sehr wohl sensibel darauf, daß sich die Situation nicht nur im ehemaligen Jugoslawien, sondern überall in Europa verändert hat. Ich denke, die Skepsis in der Bevölkerung ist wesentlich größer,
größer, als die Zahlen der Ostermärsche deutlich machen. Und auch in der SPD überwiegt nach meiner Einschätzung die Zahl derer, die den gegenwärtigen Kriegseinsatz mit deutlicher Skepsis beobachten.Hat sich diese Skepsis unter dem Eindruck der Kriegsereignisse verstärkt?Man merkt, daß die Auseinandersetzung mit der Problemlage im ehemaligen Jugoslawien in der Vergangenheit kaum stattgefunden hat, sowohl in der Bevölkerung wie in den Parteien. Mit Zunahme des Konfliktes dort und der Verstärkung des NATO-Einsatzes hat erstmals wieder eine breite öffentliche Auseinandersetzung über Ursachen, Hintergründe und Probleme stattgefunden. Damit ist die Stimmung dann auch gekippt.Eigentlich ist dieser Krieg schon jetzt gescheitert. Das erklärte Ziel war, die Vertreibung zu verhindern, die Flüchtlingszahlen so zu minimieren, daß Europa niemanden aufnehmen muß, die Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Produziert wurde das genaue Gegenteil: riesige Flüchtlingsströme, die im Elend versinken, einzige Hoffnung für sie, in andere europäische Länder ausgeflogen zu werden, eine Verschärfung der Gewalt und der Menschenrechtsverletzung; von erhofften massenhaft desertierenden serbischen Soldaten ist weit und breit nichts zu sehen. Womit also kann der Kriegseinsatz, der noch einmal durch Bodentruppen eskaliert werden soll, überhaupt gerechtfertigt werden?Kurzfristig war in der Tat das Ziel, Mord und Vertreibung im Kosovo zu stoppen, beziehungsweise einzudämmen. Dieses Ziel ist nicht erreicht worden. Das mittelfristige Ziel mußte außerdem darin liegen, die demokratischen Kräfte in Serbien zu stärken und auch da ist das genaue Gegenteil erreicht worden. Milosevic´ sitzt fester im Sattel als je zuvor. Das heißt, eine Intervention, zumal unter der Vorherrschaft der NATO ist das eindeutig falsche Instrument, um den Konflikt in den Griff zu bekommen. Wenn es eine Form der Konfliktbeilegung geben kann, dann nur in Kooperation mit Rußland, das heißt im Rahmen der UNO oder der OSZE.Welche Möglichkeit haben kritische Köpfe in der SPD, ihre Meinung wirksam werden zu lassen?Wir haben einen aktuellen Aufruf gegen die NATO-Kampfeinsätze im Kosovo gestartet, er wird gerade verbreitet und wir werden selbstverständlich den am 12. April bevorstehenden Bundesparteitag dazu nutzen, eine kritische Debatte über die Außenpolitik der Regierung zu führen.Was erwarten Sie in dieser Frage vom Parteitag? Die Regierung wird ihn zweifellos nutzen, um ihre Sicht der Dinge darzulegen ...Sicher, aber ich erwarte eine faire Diskus sion. Befürworter und Gegner sollten auf jegliche Polemik verzichten. Des weiteren erwarte ich, daß der Parteitag mindestens ein klares Nein ausspricht zur Frage der Bodentruppen im Rahmen von Kampfeinsätzen. Und ein klares Ja in Fragen der humanitären Hilfe und der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Kosovo. Alles weitere wird man der Diskussion überlassen müssen.Ihr Appell versucht, die kritischen Kräfte zu bündeln. Wie erfolgreich wird das sein?Die außenpolitische Debatte in der Bundesrepublik und der SPD spiegelt die Gesamtlage: eine künftige Weltfriedens- und Wirtschaftsordnung muß wieder neu diskutiert werden. Dies hat von der Parteispitze bislang nur Lafontaine auf die Agenda gesetzt, nun wird die Partei in ihrer Breite darüber diskutieren müssen. Die Erfolge sehe ich deshalb eher mittelfristig. Wir müssen aber jetzt beginnen, weil die Bereitschaft zur Diskussion in der Regel in einer Eskalationssituation wie jetzt entsteht.Auf welche Kräfte innerhalb der Partei stützen Sie sich?Ich setze nicht auf Einzelpersonen, sondern auf die nach wie vor in der Mitgliedschaft verankerte antimilitaristische Haltung. Wir müssen also Überzeugungsarbeit für politische Alternativen leisten und die setzt eine breite außen- und friedenspolitische Debatte in der ganzen Breite der Partei voraus.Ist die Regierung überhaupt noch willens, auf Parteiforderungen zu reagieren? Ist sie nicht längst dabei, sich von ihrer Basis abzukoppeln und sich - gefördert durch die Einbindung in den Krieg - als europäisch machtbewußte Kraft zu etablieren, die sich bestenfalls gegenüber den Verbündeten in der Rechenschaftspflicht sieht?Man merkt schon sehr deutlich, daß die Regierung versucht, international keinen Fehler zu machen und sich deshalb an die Initiativen der Amerikaner anzuhängen. Man merkt aber gleichzeitig, daß sie auf gesellschaftlichen Druck reagiert. Und den darf man nicht der CDU mit ihren ausländerfeindlichen Kampagnen oder den Wirtschaftsverbänden überlassen. Gesellschaftlicher Druck von links muß entfaltet werden. Er ist das einzig mögliche Instrument, um die Regierung auf einen anderen Kurs zu bringen.Eindeutig ist, daß die NATO nach diesem Einsatz keine reine Verteidigungskraft mehr sein wird, sondern Angriffsfunktionen wahrnimmt. Welche längerfristigen Wirkungen wird das haben?Ich sehe die Entwicklung in der NATO mit großer Sorge. Meiner Einschätzung nach soll mit dem Kosovo-Einsatz auch ein Präzedenzfall geschaffen werden, der die UNO zum Sandkasten degradiert. Den kann man nur beantworten mit einer offensiven Forderung nach Stärkung der Rolle der UNO und der OSZE. Welche Rolle UNO, OSZE oder auch NATO letztlich übernehmen, entscheidet sich nicht im luftleeren Raum, das wird durch gesellschaftliche Formierungsprozesse beeinflußt. Wenn der Unmut gegenüber der Haltung der NATO, der Völkerrechtsverletzungen und der Installierung einer neuen politischen Weltordnung sehr groß ist, kommt es darauf an, ob man den Unmut auf einer moralischen Ebene beläßt oder in der Lage ist, ihn politisch zu kanalisieren. Es wird die Aufgabe der nächsten Wochen und Monate sein, den vorhandenen Unmut über die veränderte Rolle der NATO in politisch konstruktive, vorwärtsgewandte Forderungen münden zu lassen.Im Osten zeigt sich stärker als im Westen, daß der Krieg die Umfrageergebnisse zu Ungunsten der SPD verändert hat. Glauben Sie, daß der Krieg auch die Würfel in kommenden Wahlen anders fallen läßt?Das glaube ich nicht. Ich begrüße aber, daß die Leute im Osten deutlich skeptischer diesem Krieg gegenüber sind, was sicherlich mit der traditionell skeptischeren Bewertung der NATO zusammenhängt. Auf der anderen Seite werden Wahlen nicht allein durch außenpolitisches Agieren entschieden. Da gilt immer noch, ob die Regierung in der Lage ist, eine deutliche Veränderung auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen. Nur, da bin ich inzwischen auch sehr skeptisch.Das Interview führte Regina General
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