Denk mal: die Einheit!

Einheits- und Freiheitsdenkmal Bundestag beeindruckt durch Tempo

In Berlin soll ein Einheits- und Freiheitsdenkmal errichtet werden. In zwei Jahren schon. So hat es der Bundestag beschlossen. Solches Tempo verblüfft - von der Idee eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas bis zu dessen Realisierung vergingen nicht weniger als 17 Jahre öffentlicher und lebhafter Diskussionen. Es erinnert in der Tat an die Geschwindigkeit, mit der Helmut Kohl seinerzeit die Wiedervereinigung vorantrieb. Und ist in etwa so imponierend wie die neuen Autobahnen - Beton, sechsspurig, die besten Europas - die die wirtschaftlichen Leuchttürme im Osten Deutschlands verbinden. Wer aber zwischen Jena, Leipzig und Dresden nicht nur nach vorn blickt, wird auch Brachen sehen, beleuchtete Wiesen, abgeräumte Industriegebiete, verlassene Kleinstädte, deren Fußballklubs von engagierten Jungen Nationaldemokraten trainiert werden. Die Einheit ist vielgesichtig und in manchen Teilen des Landes keine Garantie für Freiheit.

Es ist freilich gefährlich, die vorbeiziehende Landschaft zu beschauen, wenn man mit dem Tempo des Bundestages auf ein Denkmal zurast und jede Debatte über Sinn, Ort, Zeit und Gestaltung längst abgehängt hat. Es ist zu befürchten, dass dabei nichts entsteht, als das, was bleibt, wenn man zu schnell fährt: Schrott.

Hielte man inne, um nachzudenken, fiele auf, dass Einheits- und Nationaldenkmäler in Deutschland noch nie gelungen sind. Zwischen ihrer Ästhetik und der künstlerischen, gestalterischen und der sozialen Avantgarde ihrer Zeit lagen immer schon Welten.

Man denke an das Niederwalddenkmal am Rhein bei Rüdesheim, dessen Bildprogramm die deutschen Fürsten zeigt, die sich - geführt von Hohenzollernkaiser Wilhelm I. - zum Fuße einer gewaltigen Germania versammeln, die - das Schwert in der Rechten - drohend über den Rhein blickt ... nach Frankreich. Errichtet wurde das Denkmal 1883. In Paris malen derweilen Degas, Renoir und Monet. Während man 1896 das Kyffhäuserdenkmal fertig stellt, gründet sich zeitgleich der Wandervogel - damals Avantgarde -, der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung auch für Minderjährige fordert. Das Kyffhäuserdenkmal derweilen zeigt einen sagenhaften Kaiser Barbarossa, mit neoromanischem Bauwerk verwachsen, über dem, neobarock, Kaiser Wilhelm reitet. Als 1913 in Leipzig das letzte wilhelminische Großdenkmal, das Leipziger Völkerschlachtdenkmal, eingeweiht wird - eine Landmarke in Naturstein - malt Malewitsch das Schwarze Quadrat. Kaum vorstellbar, wie gleichzeitig Ungleichzeitiges sein kann.

Dass jedes dieser Denkmäler so weltfremd erscheint, dass keines mit seiner Zeit mithalten kann, kommt nicht von Ungefähr. Jedes Einheitsdenkmal, das eine deutsche Nation stark und geeint zeigen will, bemüht eine mythologisierte Vergangenheit. Wer Einheit symbolisieren will, muss fast zwangsläufig auf Mythen der Vergangenheit zurückgreifen, denn Einheit will Ungebrochenheit vermitteln. Die gibt es nie in der Gegenwart, die stets strittig ist, sondern immer im Damals, das man mit verengtem Blick aus nur einer Warte liest.

Warum sollte es gerade jetzt gelingen, ein Denkmal zu errichten, das intellektuell und ästhetisch anspruchsvoll nach innen Identifikation und nach außen Ansehen stiftet? Zumal das Sujet in diesem Fall besonders schwierig ist: Zweier genuin unterschiedlicher Ereignisse soll gedacht werden: einem kurzen Augenblick, in dem sich Bürger der DDR emanzipierten, und einem Prozess, der mit der Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 begann. Einem Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist - und bei dem offen ist, ob er je als Erfolgsgeschichte einer deutschen Einheit gelesen werden kann. Ein Blick auf die Brachen an den Seiten der Autobahn lohnte sich. Allein der Plan, den Ereignissen seit 89 schon jetzt ein Denkmal setzen zu wollen, zeigt, dass wiederholt werden soll, was schon immer misslungen ist: Offenes, Widersprüchliches und Heutiges wird zur Unzeit zu einem seltsam eindimensionalen Bild von Geschichte. Späteren Generationen wird es so anachronistisch und der Welt entrückt erscheinen, wie ein Kyffhäuserdenkmal im Harzvorland.

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