Was wäre wenn" ist ein ebenso beliebtes wie nutzloses Gedankenspiel bei der Beschäftigung mit Geschichte und Biografien. Lassen wir uns trotzdem mal zu den Fragen verführen: Wie hätte der am 7. März 1982 mit erst 56 Jahren viel zu früh verstorbene Konrad Wolf die "Wende" erlebt? Welche Filme hätte er danach noch gemacht, wenn er überhaupt noch welche hätte machen können? Zwar war er der international bekannteste DEFA-Regisseur, aber anders als zwei andere bedeutende "Babelsberger", Frank Beyer und Egon Günther, für die das Jahr 1990 keinen Karriereknick bedeutete, hatte er keine Beziehungen zum westdeutschen Fernsehen und wäre sicher nach der Vereinigung im Klima allgemeiner Diffamierung von DDR-Intellektuellen erst einmal al
als überzeugter Kommunist und Präsident der Ostberliner Akademie der Künste in der Kategorie "systemnah" devaluiert worden. Immerhin: Am Vorabend seines Todestages sendet der SFB Der geteilte Himmel, die seinerzeit in der DDR, weil politisch differenziert und formal "innovativ", nicht unumstrittene Verfilmung der Erzählung von Christa Wolf, einer in "Wende"-Zeiten selbst diffamierten Autorin. Am 7. März folgt der NDR mit der Ausstrahlung von Konrad Wolfs persönlichstem, stark autobiografischen Film Ich war 19. In einem fast dokumentarischen Stil rekapituliert er die Erlebnisse des im Moskauer Exil aufgewachsenen jungen Leutnants der Roten Armee bei der ersten Begegnung mit seinen von Hitler verführten Landsleuten. Was hätte der damals für einen Tag als Stadtkommandant von Bernau eingesetzte Konrad Wolf heute zu einer Diskussion gesagt, wie sie am 19. Februar im Privatsender TV Berlin über die Frage geführt wurde, ob der erste Stadtkommandant von Berlin, Bersarin, eine Ehrenbürgerwürde verdiente. Was ihm Uwe Lehmann-Brauns von der CDU mit der Begründung, er sei Stalinist gewesen, ebenso absprach, wie der aus Protest gegen Rot-Rot aus der SPD ausgetretene Hermann Kreutzer, der von "Mord und Raub der sowjetischen Soldateska" redete, assistiert vom moderierenden TVB-Chefredakteur Georg Gafron, der sich als Berliner Mini-Berlusconi auch sonst wacker um die Bewahrung antikommunistischen Frontstadt-(Un)Geistes bemüht. Antisowjetismus hatte auch der junge Konrad Wolf 1945 als Kulturoffizier in Halle erfahren, wo man ihn auf einer Tafel in der dortigen Universitätsaula als "Vaterlandsverräter" beschimpfte und gleich einen Galgen dazu malte. Der Sohn des von den Nazis als Jude und Kommunist in die Emigration gezwungenen Dramatikers Friedrich Wolf hat seine russischen Bindungen nie verleugnet oder vergessen. In Moskau erhielt er als Zehnjähriger eine kleine Rolle in dem 1935 von Gustav von Wangenheim mit exilierten deutschen Schauspielern gedrehten Film Kämpfer (den jetzt der Berliner Verleih Neue Visionen in seinem Angebot hat), und seine dortige Jugend sollte auch zuletzt den Stoff für einen Film liefern, der durch den Tod des Regisseurs unrealisiert blieb, aber wenigstens von Bruder Markus als Die Troika in Buchform überliefert wurde. Erzählen wollte "Koni" von drei Freunden, die vor dem Krieg in Moskau aufwuchsen und sich 1945 im zerstörten Berlin wiedertrafen: außer ihm selbst der Sohn eines US-amerikanischen Korrespondenten und der Sohn eines deutschen Kommunisten, der, nachdem sein Vater Opfer der Stalinschen Säuberungen geworden war, mit seiner Mutter nach Deutschland zurückkehrte und Pilot in Görings Luftwaffe wurde. Konrad Wolf habe eigentlich immer ein und denselben Film gemacht, meinte einmal Angel Wagenstein, sein bulgarischer Freund und Studienkollege an der Moskauer Filmhochschule, Drehbuchautor von Sterne, wofür der Regisseur 1959 in Cannes einen Sonderpreis der Jury erhielt. Ausgenommen sein Babelsberger Debut Einmal ist keinmal, ein Heimat-Musical, das man ihm wohl nur anvertraut hatte, weil der sowjetische Spezialist für dieses Genre, Alexandrow, am WGIK sein Lehrer war, sind alle Filme Konrad Wolfs Auseinandersetzungen mit deutscher NS-Vergangenheit und Nachkriegsgegenwart, stellen Fragen nach der Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Geschichte und der Gesellschaft. Nach Genesung erforschen vor allem Lissy und Professor Mamlock die Ursachen des deutschen Verhängnisses und die Motive des Versagens so vieler Menschen angesichts faschistischer Barbarei. In Sonnensucher - 1957/58 entstanden, aber erst 14 Jahre später aufgeführt - geht es zum ersten Mal um die Beziehungen zwischen Deutschen und Russen, thematisch wieder aufgenommen in Ich war 19 und Mama ich lebe, wo sich vier junge deutsche Kriegsgefangene entschließen, an der Seite derer, die ihre russische Heimat verteidigen, den Verderbern des eigenen Volkes entgegenzutreten. Die damals so nicht mögliche aufkeimende Liebesbeziehung zwischen einem von ihnen und einem weiblichen Offizier der Roten Armee wollte Wolf als ein Motiv der Hoffnung auf Zukünftiges verstanden wissen, dachte dabei vielleicht aber auch an eigene Erfahrungen: als noch sowjetischer Offizier hatte er ein deutsches Mädchen, dann als Student mit DDR-Pass eine Russin geliebt. Nie vergaß der eher zurückhaltende Mann die Mahnung seines Vaters aus dem Kriegsjahr 1944 zu "Zivilcourage, in allen wichtigen Dingen seine Überzeugung zu vertreten". Wie schon in Sonnensucher kritisierte er im Geteilten Himmel die Dogmatiker in den Reihen der eigenen Partei, reflektierte in so unterschiedlichen Arbeiten wie dem opulenten historischen Kostümdrama Goya und dem still-poetischen DDR-Gegenwartsfilm Der nackte Mann auf dem Sportplatz das widersprüchliche Verhältnis zwischen Künstler und Macht, wie er es oft genug auch als Akademiepräsident selbst erfuhr. Vielen Gefährdeten hat er in dieser Funktion Schutz und Hilfe gewährt. (Mir selbst bot sie der große Schweiger, der auch die Kunst des Zuhörens beherrschte, am Ende eines langen unvergesslichen Gesprächs an, falls ich einmal als Westberliner Beobachter der DDR-Kulturszene Schwierigkeiten bekommen sollte.) Wolfs letzter, wohl bekanntester Spielfilm Solo Sunny war ein Plädoyer für die Durchsetzung individueller Glücksvorstellungen gegen Anpassung. Hinterlassen hat er danach noch eine mehrteilige Fernsehdokumentation über Ernst Busch, Sänger und Freund: Bilanz eines Jahrhunderts, mit dem auch der Traum von möglicher Verwirklichung einer Utopie endete. Konrad Wolf, ein realistischer Idealist, hat ihn mitgeträumt. Was wäre ihm noch an filmischen Möglichkeiten geblieben? Viele Filmemacher seiner Generation im Osten sind verstummt, haben resigniert, Geldgeber zu finden für Projekte, die mehr wollen als unterhalten. Konrad Wolf liebte Nachdenklichkeit: "Denken - als Lebensbedürfnis, Denken - als Freude am Spaß". Das haben seine Filme befördert. Was wäre, wenn es davon auch heute etwas in unseren Kinos gäbe ...
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