FREITAG: Sie sehen das Internet als nützliche Kommunikationsmöglichkeit, zugleich kritisieren Sie die Euphorie und Vergötterung des Mediums. Warum?
Josef Weizenbaum: Das Internet ist zu einem Massenmedium geworden. Eine Seite davon ist demokratisch. Wie bei allen anderen Massenmedien - Fernsehen, Radio und Zeitung - ist auch im Internet 90 Prozent Schrott. Die anderen 10 Prozent sind sehr wertvoll; ganz besonders für die, die wissen, was sie suchen.
Also braucht man ein Instrumentarium, um damit umzugehen?
Das stimmt, das Medium selbst hat keine Schuld. Machen wir eine Analogie zur Physik. Ein Experiment ist dort eine Frage, die man an die Natur stellt. Die muss man erst einmal entwerfen. Man muss dafür eine bestimmte Kompetenz haben.
Deswegen wollen ja Politik und Wir
z haben.Deswegen wollen ja Politik und Wirtschaft bis Ende 2001 alle Schulen ans Netz bringen. Nur so, glaubt man, seien die Schüler später auf ihre Jobs gut vorbereitet. Was halten Sie von dem Projekt?In fünf oder zehn Jahren werden wir erkennen, dass das ein großer Fehler war. Genauso, wie bei vielen anderen Dingen, die wir eingeführt haben. Ich denke da an "Programmed Learning". Man darf nicht die Illusion haben, dass Computer und das Internet das Lernen revolutionieren werden.Warum?Auch beim Telefonieren gibt es Tausende von Computern, die im Hintergrund wirken. Aber um zu telefonieren, um eine Verbindung mit Japan oder Argentinien herzustellen, brauchen wir uns nicht mit dem technischen System beschäftigen. Wir müssen nur wählen. Genauso ist es mit den Computern. Und deswegen brauchen sich Jugendliche in den Schulen damit nicht allzu früh auseinanderzusetzen.Was bleibt denn auf der Strecke, wenn Kinder stundenlang vor Computern sitzen?Es gibt so viele Dinge, die in der Kindheit eine höhere Priorität haben. Ich meine, emotionell, psychologisch und so weiter. Man muss doch fragen, welchen Zweck Schule hat. Es wird viel geredet über Medienkompetenz. Was wir aber brauchen, ist die Fähigkeit, kritisch zu denken und kritisch zuzuhören. Und das ruht alles auf der Kompetenz der Sprache. Es geht darum, eine Art Skepsis zu lehren.Aber reicht es wirklich, beim Übergang zur Informationsgesellschaft, die eigene Sprache zu perfektionieren?Das Wort Informationsgesellschaft. What the hell does it mean? Was ist denn überhaupt Information. Was Sie in der Zeitung lesen, was auf dem Computer so herumflackert, das sind Signale. Nur der Mensch kann Information herstellen. Er interpretiert diese Signale. Die Kunst zu interpretieren ist die Kunst kritisch zu denken.Könnte der Computer helfen, dass Kinder wieder Spaß am Lernen haben ?Ich glaube, es ist eine fatale Illusion, dass Lernen Spaß machen muss. In Amerika haben wir das Wort Edutainment. Alles muss Edutainment sein, und wenn es keinen Spaß macht, dann ist es zuviel für die Kinder. Das ist doch Unsinn. Lernen kann schwer sein. Und in manchen Dingen muss es so sein. Weil eben das Material so ist. In den USA gibt es Educaiter, die glauben, der Computer könne viel im Curriculum leisten, etwa in der Geschichte. Geschichte als eine Reihe von Fakten: 1492 - Kolumbus hat Amerika entdeckt und so weiter. Ja, wenn man so denkt, dass nur diese Fakten Geschichte sind, dann ist die Schule verloren.Aber man könnte sich ja vorstellen, dass der Computer fürs Kognitive zuständig ist und der Lehrer mehr Zeit hat fürs Pädagogische.Das erinnert mich an das Argument: Der Computer übernimmt die Routinesachen und lässt dem, der an ihm sitzt, die Zeit, tiefere Sachen zu denken. Gegenbeispiel: Die Kasse bei McDonalds ist ganz einfach, da gibt es nur noch Bilder. Aber glauben Sie, die Mädchen hinter der Kasse denken deshalb an Mozart und Hölderlin?Sie verdammen also den Computer?Natürlich kann der Computer bei der Bewältigung von großen gesellschaftlichen Problemen helfen. Aber viele denken, der Computer sei wertfrei. Es komme darauf an, was man mit ihm mache. Ich aber sage, der Computer erbt die Werte der Gesellschaft, in der er eingebettet ist. Manchmal werde ich gefragt, wann wir vernünftige Schulen und Software für Computer haben werden. Und da ist meine Antwort immer: Wenn wir eine vernünftige Gesellschaft haben.Welche Rolle wird der Computer in 20 Jahren spielen?Natürlich hängt das davon ab, ob die Gesellschaft immer noch existiert. Ich glaube, dass der Computer aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden sein wird. Da habe ich eine Analogie mit einer Erfindung, die es vor 100 Jahren nicht gab. Sie hat die ganze Welt revolutioniert. Heute gibt es davon mehr als Menschen. Sollte dieses Gerät einmal ausfallen, wird in zwei Wochen in den Großstädten Blut fließen: Es ist der elektrische Motor. Genauso selbstverständlich wie dieser wird in zwanzig Jahren der Computer sein.Das Gespräch führten Hanno Heidrich und Matthias BauerJosef Weizenbaum wurde 1923 in Berlin geboren. 1936 emigrierte er mit seinen Eltern nach Detroit in die USA. Dort studierte er Mathematik. Von 1970 bis 1988 war er Professor für Computerwissenschaft am Massachusetts Institut of Technology (MIT). Weltberühmt wurde er mit seinem Computerprogramm Eliza, das einen Psychoanalytiker simulierte. Hierzulande wurde er mit dem Buch Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft bekannt. Seit 1996 wohnt Weizenbaum wieder in Berlin.