ARGENTINIEN Ehemalige Ford-Betriebsräte verklagen den Konzern wegen seiner Kollaboration mit der Militärdiktatur. Sie fordern Entschädigung für die Jahre der Haft
Mitte der siebziger Jahre war eine bewegte Zeit in Argentinien, es herrsch te Aufbruchsstimmung. Eine Diktatur war gerade vorbei, an den Universitäten und in den Betrieben wurde über eine gerechtere Gesellschaft diskutiert. Auch in der Automobilindustrie. Der US-Konzern Ford beschäftigte damals in seiner argentinischen Niederlassung über 7.000 Arbeiter, deren Interessen von 60 Betriebsräten vertreten wurden. Einer von ihnen war Pedro Troiani.
Der heute 58-jährige arbeitete 13 Jahre lang bei Ford - sechs davon im Betriebsrat. Der verstand sich nicht als "linke Kampfgruppe", erinnert sich Troiani, die Mitglieder dieses Gremiums gehörten viel mehr der rechtsperonistischen Gewerkschaft SMATA an. Sie setzten sich für Gesundheitsschutz, bessere Arbeitsbedin
beitsbedingungen und höhere Löhne ein, wollten aber direkte Zusammenstöße mit der Werksleitung vermeiden und grenzten sich offen von linken Aktivisten ab, die versuchten, im Unternehmen Fuß zu fassen. Als ein Manager von Terroristen erschossen wurde, organisierten sie Beileidsbekundungen und forderten ein "hartes Durchgreifen gegen die Subversion". - Kurze Zeit später, man schrieb den 24. März 1976, putschten sich die Militärs an die Macht. Ihr erklärtes Ziel war die Zerstörung der gesamten Arbeiterbewegung. Gewerkschafter verschwanden aus den Betrieben. Wie dies bei Ford geschah, beschreibt der in den achtziger Jahren veröffentlichte Regierungsbericht Nunca Mas ("Nie Wieder"). Danach habe kurz nach dem Staatsstreich der Personalchef von Ford den Betriebsrat zu sich zitiert und ihm mitgeteilt, fortan gebe es im Werk keine derartige Vertretung mehr. Dieses "Gespräch" endete mit der Bemerkung: "Grüßt meinen Freund Camps von mir."Inszenierte Scheinhinrichtung Die Belegschaft wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, um wen es sich handelte - doch das änderte sich bald: Ramón Camps war Polizeichef von Buenos Aires und ein berüchtigter Folterer. Schon 24 Stunden nach dem Putsch hatten bei Ford die Verhaftungen begonnen. Jeden Tag wurden zwei oder drei Gewerkschafter verschleppt. Der frühere Betriebsrat schildert das so: "Der Werkschutz kontrollierte am Werkstor, wer ein- und aus ging, und teilte die Namen den Militärs mit, die daneben standen. Die Soldaten packten die Leute und warfen sie auf Lastwagen. Auf Firmenwagen von Ford. Der Betriebsrat wurde täglich kleiner, Kollegen verschwanden, und niemand wusste, was mit ihnen passiert war." - Die Militärs konnten sich auf dem Werksgelände frei bewegen. Ein Schuppen dort war in ein Internierungslager umfunktioniert worden.Am 13. April 1976 traf es Troiani. Am Morgen tauchte abrupt der Vorarbeiter an seinem Arbeitsplatz auf und sagte: "Troiani, entfernen Sie sich nicht von Ihrem Platz, ich brauche Sie gleich." - Der antwortete: "Wohin sollte ich denn gehen?" Noch am Vormittag führten ihn die Soldaten vor den Augen aller ab. Sie fesselten seine Hände mit Draht und sperrten ihn mit anderen Gefangenen in den besagten Schuppen. Am Abend wurde er auf einen Wagen der Firma geworfen und abtransportiert.Kollegen informierten Troianis Familie von der Festnahme. Die versuchte, seinen Aufenthaltsort herauszufinden, doch ohne Erfolg. Statt einer Nachricht über seinen Verbleib traf einen Tag später ein Telegramm seines Arbeitgebers ein. Es enthielt die Aufforderung von Ford an Troiani, innerhalb von 24 Stunden die Arbeit wieder aufzunehmen. Anderenfalls sei er entlassen. Troianis Frau antwortete umgehend, der Personalabteilung müsse doch bekannt sein, dass ihr Mann von seinem Arbeitsplatz weg verhaftet worden sei. Doch Ford verweigerte die Annahme des Telegramms. Freunde rieten von einem erneuten Versuch ab - man würde Gefahr laufen, selbst in die Mühlen der Militärs zu geraten.In Haft wurde Troiani bedroht, geschlagen und an die Wand gestellt, als ob er standrechtlich erschossen würde. Aber auch den Militärs war klar, dass sie mit ihm und den anderen keine linken Betriebskämpfer, sondern Mitglieder einer rechten Gewerkschaft vor sich hatten. Nach ein paar Wochen wurden sie aus dem Gewahrsam der Armee in ein Gefängnis überführt und nach einem Jahr kommentarlos entlassen. Ihre Arbeit bei Ford hatten sie verloren.Doch Troiani musste für seine Familie sorgen, er brauchte dringend einen Job. In seiner Not rief er den Vorsitzenden seiner Gewerkschaft SMATA an, dem während der Diktatur kein Haar gekrümmt worden war und der in einem Nobelvorort von Buenos Aires residierte. Von ihm bekam Troiani einen Tip, er könne es doch einmal bei der deutschen Niederlassung des Automobilkonzerns Mercedes Benz versuchen, dort seien gerade mehrere Stellen frei geworden. In der Tat, die Betriebsräte von Mercedes - mindestens 14, wahrscheinlich aber über 20 - waren in jenen Tagen "verschwunden" - verschleppt und vermutlich ermordet worden. Mit der Empfehlung seines Gewerkschaftsbosses stellte sich Troiani schließlich bei Mercedes vor. Dort, so erinnert er sich, sei er über seine gewerkschaftlichen Aktivitäten ausgefragt worden, um dann zu hören, Leute wie ihn wolle man nicht.Verjährte Ansprüche Es dauerte noch bis 1983, ehe sich die Militärs in ihre Kasernen zurückzogen und Argentinien mit der Präsidentschaft Raul Alfonsíns (*) wieder zu demokratischen Verhältnissen fand. Erst zu diesem Zeitpunkt konnten die deportierten Ford-Arbeiter an gerichtliche Schritte denken. Sie waren davon überzeugt, dass die Werkleitung den Militärs die Namen der Betriebsräte ausgehändigt und sie damit zum Abschuss freigegeben hatte. "Einen Kollegen verhaftete man in seiner Wohnung. Die Soldaten hatten seinen Werksausweis in der Hand, der beim Verlassen der Fabrik an der Pforte abgegeben wird. Sie konnten ihn nur von der Firma erhalten haben", erinnert sich der Ismael Portillo. Auch er hatte früher bei Ford gearbeitet und war damals verschleppt worden.Von der neuen Regierung forderte Troiani Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft. Sein Ansinnen hatte Erfolg, denn es war schließlich ein Gesetz verabschiedet worden, nach dem allen früheren Gefangenen Wiedergutmachungen zu zahlen waren. Troiani bekam für das in illegaler Haft verbrachte Jahr einen Betrag von umgerechnet 23.000 Mark. Fast alle seine Kollegen beantragten und erhielten diese Entschädigung. Doch von den 24 seinerzeit verhafteten Betriebsräten der Firma Ford wagten nur fünf auch den Gang zum Arbeitsgericht, um auf Zahlung einer Abfindung zu klagen. Immerhin hatte für sie als Betriebsräte ein besonderer Kündigungsschutz gegolten.Doch Ford bestritt jedwede Kollaboration mit den Militärs und erklärte, im Übrigen seien die Ansprüche verjährt. Das Arbeitsrecht räume für solche Forderungen eine Frist von zwei Jahren ein. - Troiani und seine Anwälte konterten und verwiesen auf die internationale Rechtsprechung. Die Generäle waren sieben Jahre an der Macht, in dieser Zeit war der Rechtsweg nicht zu beschreiten. Die Frist laufe erst seit Amtsantritt der zivilen Regierung. Nichtsdestotrotz verlor Troiani in erster und zweiter Instanz - seine Ansprüche seien verjährt, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Er legte Berufung ein, zusammen mit seinem Kollegen Conti. Ein identischer Fall, da auch Conti Betriebsrat war, am selben Tag verhaftet wurde und im selben Gefängnissen saß. Jetzt ließen sich die beiden Betroffenen auch noch vom selben Anwalt vertreten. Doch während Conti vor dem Obersten Gerichtshof gewann, lehnte die gleiche Kammer Troianis Berufung ab. Ob bei diesem Richterspruch Korruption im Spiel war? Troiani zuckt mit den Schultern - Beweise für diese Annahme gibt es nicht.Das Urteil des Obersten Gerichtshofes ist vor 13 Jahren ergangen, doch Troiani wollte sich damit nicht abfinden und zog vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Rica. Dort erging der Spruch, das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Argentinien sei rechtswidrig, der Anspruch keineswegs verjährt - auf eine Revision in Buenos Aires wartet Troiani noch immer.Mit Interesse hat er die jüngsten Verhandlungen über die Entschädigung der während der Nazizeit nach Deutschland deportierten Zwangsarbeiter verfolgt. Dieses Abkommen kommt 55 Jahre nach Kriegsende zustande, eine Verjährung spielt keine Rolle mehr. "Wie können da meine Ansprüche gegen Ford verjährt sein", fragt der frühere Betriebsrat. Ihm ist bekannt, dass sich die US-Regierung für die Sklavenarbeiter des III. Reiches eingesetzt und der deutschen Industrie mit Sanktionen gedroht hat. Aber er weiß auch, dass sich die argentinische Regierung kaum für ihn in Washington verwenden wird. Selbst wenn Diplomaten seines Landes intervenieren sollten - würden die Proteste eines Dritte-Welt-Landes die US-Regierung und den Automobilkonzern in Detroit beeindrucken? Trotzdem gibt Troiani die Hoffnung nicht auf und will, wenn er in Buenos Aires kein Recht bekommt, Ford vor US-Gerichten verklagen, gegebenenfalls auch strafrechtlich gegen das Unternehmen vorgehen.Das juristische Problem, erklärt sein Rechtsanwalt Eugenio Spota, sei die Verjährung. Nur Mord verjährt nicht, und bei Mercedes-Benz sind fast alle Betriebsräte ermordet worden, die Betriebsräte von Ford hingegen haben die Haft überlebt. Spota verfolgt die Ermittungen gegen DaimlerChrysler daher mit größtem Interesse.Die Klage gegen Ford hat durch die Zwangsarbeiter-Entscheidung eine Bekräftigung erfahren. Es hat sich bis an den Rio de la Plata herumgesprochen, dass nicht nur deutsche Firmen ihre Sklavenarbeiter entschädigen werden. Auch Ford dürfte sich auf Zahlungen einstellen. Das Unternehmen hatte 1925 in Berlin eine Tochtergesellschaft gegründet und seit 1931 in Köln Kettenfahrzeuge für die Front produziert. Von 1943 an waren mehr als 40 Prozent der Ford-Beschäftigten Zwangs- und Sklavenarbeiter. Klagen gegen den US-Konzern waren noch bis vor wenigen Jahren erfolglos. Die Gerichte hatten sich für "nicht zuständig" erklärt oder die Ansprüche als "verjährt" abgelehnt. Dieses Argument ist nunmehr endgültig vom Tisch.(*) Raul Alfonsín von der Radikalen Bürgerunion (UCR) gewann im Oktober 1983 die ersten freien Wahlen nach mehr als siebenjähriger Militärdiktatur und trat am 10. Dezember 1983 das Amt des Staatspräsidenten an.
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