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linksbündig Die Herren Müntefering und Wolffsohn erklären die Welt

Das Wörterbuch des Unmenschen gehört gegenwärtig zu den nicht lieferbaren Titeln. Was vermutlich darin stehen könnte, darüber hat zuletzt der Münchner Historiker Michael Wolffsohn in seiner Auseinandersetzung mit dem SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering berichtet. Der hatte gesagt: »Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir.«

So etwas seien, behauptet Wolffsohn, »Vokabeln aus dem Wörterbuch des Unmenschen«. Aus dem Wörterbuch des Unmenschen ist ein 1945 erstmals erschienenes, später erweitertes Werk von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind, das sprachkritisch den Nazismus analysiert. Die von Müntefering beschriebene Heuschreckenplage findet sich darin nicht. Die ist vielmehr im hebräischen Tanach – im Christentum als Altes Testament bekannt – eine Metapher für die Zerstörung durch angreifende Armeen, also ganz so, wie Müntefering sie benutzte. Dennoch fordert Wolffsohn von Müntefering eine Entschuldigung bei all denen, die »eine echte Vergangenheitsbewältigung in Deutschland wollen«.

Nicht die »Heuschreckenplage« findet sich in dem Wörterbuch, dafür aber dieser Wolffsohnsche Begriff des »echten«. »Echt«, so heißt es bei Sternberger und Kollegen, »ist seiner Herkunft nach die genaueste deutsche Entsprechung von ›legitim‹«. Die erst 2005 von Wolffsohn erfundene »echte Vergangenheitsbewältigung« kannten die Autoren natürlich noch nicht, aber sie befürchteten schlimmes, sobald »der Unmensch im Rausch seines Sprach- Umschöpfertums alle Hemmungen des Verstandes von sich abwirft.«

Wo der Verstand ungehemmt abgeworfen wird, sind Wolffsohn und Müntefering nicht weit. Während sich der SPD-Vorsitzende mit der Behauptung, die Politik müsse »Schutzmacht der anständigen Unternehmen und der anständigen Arbeitnehmer« sein, auch um die Aufnahme ins Wörterbuch bewirbt, bemüht sich der Historiker um den Nachweis seiner Thesen, indem er auf eine zwischenzeitlich bekannt gewordene Boykottliste aus den Reihen der SPD und IG Metall Bezug nimmt: Mindestens zwei der dort genannten Unternehmen »sind ›jüdisch‹ beziehungsweise tragen jüdische Namen«, nähert er sich durch Tüttelchen nur schwach verborgen dem an, was er zu kritisieren vorgibt.

Wolffsohn wollte, wo es Müntefering um Kapitalströme ging, unbedingt lebende Menschen erblicken, die der SPD-Vorsitzende angeblich beleidigt und erniedrigt hätte. Und zusätzlich will der jüdische Historiker nun, just in dem, was er für einen jüdischen Namen hält, eine »Kauft nicht beim Juden!«-Kampagne erkennen. Methodisch unterscheidet sich das nicht von der Art, wie Antisemiten Juden ausfindig machen. Genau diesen gesuchten Befund bekommt er aber selbstverständlich nicht belegt und darf sich nicht wundern, wenn er sogar von einer Leuchte wie dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Ludwig Stiegler als »miserabler Historiker« verhöhnt wird.

Wolffsohn will, beziehungsweise kann sich nicht dem nähern, was in kritischer Wissenschaft struktureller Antisemitismus genannt wird und, weil es ohne gezeichnete Krummnasen auskommt, wirkungsvoller, gefährlicher und häufiger anzutreffen ist. Wenn etwa Münteferings Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter erklärt, dass »das Finanzkapital die nationalen Bemühungen um anständige Arbeitsverhältnisse« konterkariere, ist er nur noch kaum merklich von der Unterscheidung zwischen dem guten nationalen Kapital, das schaffe, und dem bösen internationalen Finanzkapital, das raffe, entfernt. Nein, nein, damit hat Benneter nichts über und schon gar nichts gegen Juden gesagt, aber das Stereotyp vom anständigen deutschen Arbeitsmann, der vom heimatlosen, durch die Welt mäandernden Juden ausgesaugt würde, hat er dennoch benutzt.

Hilfreicher wäre es, wenn präintellektuelle Bonzenschelte, die oft verwandt mit völkischem Antisemitismus ist, nicht mit Kapitalismuskritik verwechselt würde.


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