Ein guter Film ist ein Kunstwerk und kein Geschichtsbuch. Wer die zahllosen historischen Ungenauigkeiten in dem Film Der junge Karl Marx von Raoul Peck bekritteln will, kann dies nach Herzenslust tun, verfehlt damit aber seinen wirklichen Gehalt – ein großteils sehr gelungenes Sittengemälde frühsozialistischer Bewegungen.
Das beginnt, pardon, messieurs, mit der Frau des Titelhelden, der einfach zauberhaften Jenny (Vicky Krieps), die ihren Karl stets so anlächelt, als ob sie ihm die Zunge durch die Augen herausstreckte, und seinem neuen Freund Engels nach durchzechter Nacht bedeutet, dass ihr Karl nicht so viel wie er vertrüge und nach solchen Touren drei Tage darniederliege. Dazu Mary Burns (Hannah Steele), irische Fabrikarbeiterin und Lebenspartnerin von Frie
und Lebenspartnerin von Friedrich Engels, ebenfalls eine wunderbare Frau, allerdings ganz anderer Art als Jenny, frei und ungebunden, und von dieser (anders als im Film) auch nie akzeptiert. Doch ohne Mary, das zeigt der Film ganz deutlich, wäre der Fabrikantensohn Engels niemals so weit in die Lebenswelt der Arbeiter seiner Zeit vorgedrungen, so wie der Philosoph Marx erst durch ihn zu einem tiefen Verständnis von Arbeiterbewegung und politischer Ökonomie gelangt ist.Für Marx’ politischen Weg charakteristisch war stets die prinzipielle Auseinandersetzung mit dann bald ehemaligen Kampfgefährten. Das beginnt mit seinem Auszug aus der Rheinischen Zeitung (zu der es, als Illustration seiner Artikelserie über das Holzdiebstahlgesetz, eine eindruckvolle Filmsequenz gibt). Der stets vornehm-zurückhaltende Bourgeoissozialist Arnold Ruge, der Begründer des „Handwerkerkommunismus“ Wilhelm Weitling, ein mitreißender Redner, so wie auch der Begründer des französischen Anarchismus, Pierre-Joseph Proudhon, stets begleitet von seinem mickrigen Adlatus Karl Grün – sie alle sind im Film überzeugend dargestellt, also hervorragend besetzt.Vergangene ParteitageDie Szenen, in denen die beiden „jungschen Schnösel“ von den Chefs des damaligen Bunds der Gerechten in London examiniert werden, ob sie denn dem Bund wirklich nützlich sein könnten, sind geradezu köstlich zu nennen. Und dass Marx damals überhaupt dorthin reiste, war wiederum seiner Frau Jenny geschuldet, denn ohne ihr energisches Drängen wäre er wohl an seinem Schreibtisch kleben geblieben, ohne lebendige Verbindung zur sich gerade formierenden ersten internationalen Organisation des Proletariats. Gut auch, dass im Film, den wechselnden Schauplätzen und Akteuren entsprechend, deutsch, französisch und englisch gesprochen wird; die für die Deutschen immer noch ungewohnten Untertitel stören da kaum.Die schwierigste Rolle im Film hatte zweifellos Stefan Konarske zu bewältigen, nämlich das Doppelleben des Friedrich Engels darzustellen, einerseits Angestellter im Büro des Fabrikanten Engels senior und andererseits Revolutionär. Der blondgelockte Jüngling, milchgesichtig und auch etwas schwächlich, gewinnt erst im Verlauf des Films Kontur. Auch wirkt, zwar nicht in Paris und Brüssel, wohl aber in Manchester und London, insbesondere in den Auseinandersetzungen mit dem Vater, gar manches etwas aufgesetzt – Doppelrollen zu spielen ist offenbar auch im Film nicht ganz einfach. Großartig dagegen die Wiedergabe von Engels’ Rede auf dem Kongress des frisch umbenannten Bunds der Kommunisten (auch wenn die Schlussapotheose ein wenig an vergangene SED-Parteitage erinnert), und man fragt sich, warum der Kongress nicht ihn, sondern Marx mit der Abfassung des Kommunistischen Manifests betraut hat.Ja, der junge Marx, das ist der wunde Punkt des Films, der schon im Trailer deutlich wird (dessen Kenntnis aber niemanden vom Kinobesuch abhalten sollte). Dass Marx auch in der Realität ein ziemlich cholerischer Typ gewesen sein muss, ist bekannt, aber sein Konterfei im Film agiert derart hölzern, trocken und humorlos, dass man sich schon fragt, wie er zu dem Kopf der kommunistischen Bewegung avancieren konnte, und auch, wieso „das schönste Mädchen von ganz Trier“ ausgerechnet diesem Kerl verfallen war.Nein, sein Darsteller (August Diehl) präsentiert uns da eine im öffentlichen Leben ziemlich blutleere Gestalt, ohne Witz und ohne Sarkasmus, und die hat offenbar sehr wenig zu tun mit dem von Zeitgenossen überlieferten Bild. Da ist nichts zu spüren von jenem Marx, über den Moses Heß an Berthold Auerbach 1841 schrieb: „Du kannst Dich darauf gefasst machen, den größten, vielleicht den einzigen jetzt lebenden eigentlichen Philosophen kennenzulernen ... er verbindet mit dem tiefsten philosophischen Ernst den schneidendsten Witz; denke Dir Rousseau, Voltaire, Holbach, Lessing, Heine und Hegel in einer Person vereinigt, ich sage vereinigt, nicht zusammengeschmissen – so hast Du Dr. Marx.“Placeholder authorbio-1Placeholder infobox-1
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