Der Abwesende

Literatur Katie Kitamura lässt in ihrem feinen Roman „Trennung“ für einmal den Mann abhanden kommen
Ausgabe 18/2017

Vielleicht“, schreibt Katie Kitamura am Ende ihres bezaubernden Romans Trennung, „sind Mann und Frau und Ehe nur Wörter, hinter denen sich eine viel fragilere, turbulentere Realität verbirgt, als eine Handvoll Silben oder ein noch so langer Text sie erfassen können.“ Wer den dritten Roman von Kitamura gelesen hat, findet das nicht mehr banal. Er blickt genau auf diese fragile, turbulente Realität.

Wenn sich eine Beziehung auflöst, ist der eine schon weg, während der andere erst ahnt, es gibt starke Emotionen, aber vieles bliebt vage oder unausgesprochen, vielleicht unaussprechbar. Wo das Unausgesprochene immer mehr Raum einnimmt, bleibt im besten Fall Beobachtung. Das sind die Elemente, die in Kitamuras Roman eine Rolle spielen. Viel dreht sich um das Wort „vielleicht“. Eine namenlose Ich-Erzählerin ist in einen gesteigert vagen Zustand geraten, fast in eine Art Vakuum, aus ihren Beobachtungen und Vermutungen wachsen Indizien, greifen ineinander, verdichten sich zu Bildern und Teilen einer Geschichte, mit der sie umgehen muss.

Katie Kitamura ist eine genaue Erzählerin, ihre zentrale Figur im Roman beobachtet feinsinnig die Szenerie, die sich ihr darstellt. Sie ist aus London ins krisengeschüttelte Griechenland gereist, auf die Mani, eine gerade abgebrannte Halbinsel, mitten in die trostlose Nachsaison-Leere. Gekommen war sie, um ihren Mann Christopher zu suchen, will die längst vollzogene Trennung aussprechen und besiegeln. Will die Scheidung. Zwar sind ihre Schritte unsicher und der Zeitpunkt halbgar, aber die Gründe eindeutig: Christopher hatte sie immer wieder betrogen. „Irgendwann würden Furcht und Missbehagen schwinden und durch eine beständige Gleichgültigkeit ersetzt werden, ich würde ihn zufällig auf der Straße sehen und nichts anderes empfinden, als wenn man ein altes Foto von sich selbst betrachtet. Man erkennt das Bild, kann sich aber nicht mehr so recht daran erinnern, wie es war, diese Person zu sein.“

Nur hat sie die Rechnung ohne Christopher gemacht, der ist nämlich verschwunden. Sein Hotelzimmer belegt Christopher noch mit Dingen, die ihm bei der Recherche für ein Buch wichtig waren, seine Tage im Hotel sind noch fühlbar, sie spiegeln sich in einer verliebten jungen Concierge und einem eifersüchtigen Fahrer. Es gibt Gerüchte, er sei in der Nähe mit einer weiteren Frau gesehen worden.

In der Regel kommen in Filmen und Romanen die Frauen abhanden. Regalkilometer Popsongs jammern darüber. Das ein Mann verschwindet, ist seltener. Die Blicke, die die Erzählerin streifen, verraten die Unsicherheit, wie man nun damit umzugehen habe, die Erzählerin ist irgendwie übrig in der leeren Landschaft.

Und die Distanz zu Christopher wächst, in der Ödnis des Tourismusgeschäfts erkennt die Erzählerin noch deutlicher als zuvor seine Selbstinszenierung als Autor, sein Spiel als Charmeur. Als Concierge und Fahrer sich heftig streiten – sie hat noch am Gerücht und dem verschwundenen Christopher zu kauen, er will bei ihr vorankommen –, enthält das Schauspiel für die Erzählerin alle Facetten ihrer peinlichen Rolle: Während sie unmittelbar Zeugin und Teil der Szene ist, nicht weglaufen kann, macht ihr Badeanzug auch noch den Foyer-Sessel nass.

Kuriose Situation

Dabei ist Trennung kein grübelschwerer Roman, sondern leichtfüßige Literatur über das Gespinst aus Gefühlen, Wendungen und inneren Monologen angesichts der Verworrenheit der Welt. Kitamura zieht uns hinein in die kuriose Situation, in der die Erzählerin sich nicht mehr nur von Christopher, sondern bald auch von Christopher als Leerstelle trennen muss. „Eine Gestalt aus einem früheren Leben, die einen zu sich winkt – insbesondere wenn dieses Leben unwiderruflich vorbei ist, wenn tatsächlich keine Option mehr offensteht, wenn keine Ehe gekittet, kein gemeinsames Leben wiederhergestellt werden kann, es kein Rechts oder Links, Ja oder Nein gibt –, kann eine geradezu unheimliche Überzeugungskraft haben.“

Info

Trennung Katie Kitamura Hanser Verlag 2017, 253 S., 22 €

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