Der Geist der Freiheit, die Liebe zum Ungezähmten: Jörg-Uwe Albigs „Moralophobia“

Typfragen Jörg-Uwe Albig fragt in „Moralophia“, woher all die Wutbürger kommen. Dabei entdeckt er Gemeinsamkeiten zwischen Götz von Berlichingen, Vielfliegern und SUV-Fahrern
Ausgabe 25/2022
Ungeachtet all der Scham in der Gesellschaft gibt es politische Führungspersönlichkeiten, die sich für gar nichts mehr schämen. Im Bild: Donald Trump
Ungeachtet all der Scham in der Gesellschaft gibt es politische Führungspersönlichkeiten, die sich für gar nichts mehr schämen. Im Bild: Donald Trump

Foto: UPI Photo/IMAGO

Wer Auskunft zum Untertitel erwartet, wird von Jörg-Uwe Albigs Buch Moralophobia enttäuscht sein. Wie die Wut auf das Gute in die Welt kam, erklärt der Autor nicht in Ansätzen. Wer nicht so streng ist, kann sich von acht kurzen, kundigen Erzählungen über Leute unterhalten lassen, die den Schuss nicht gehört und, mehr oder weniger wütend, eine überkommene Moral verteidigt haben – ausnahmslos Männer. Der historisch älteste ist Götz von Berlichingen, der jüngste Donald Trump. In eingeflochtenen spitzen Bemerkungen kommen auch vor: SUV-Fahrer, Vielflieger, Tempolimitgegner, Impfgegner, Greta-Thunberg-Hasser, Querdenker, Wutbürger, namenlose Kommentatoren des Cicero-Magazins.

Götz von Berlichingen (1480 – 1562), hochwohlgeboren aus altem Geschlecht, hatte nicht erkannt, dass die Zeit uneingeschränkter adeliger Privilegien vorbei und das Bürgertum dabei war, auf festem moralischem Grund seine Rechte zu erkämpfen; dies vor allem durch Handel, Handwerk und Fleiß, während der Adel Arbeit als unehrenhaft betrachtete. Der Ritter mit der berühmten eisernen Hand hielt diese Entwicklung entsprechend für unmoralisch, holte sich seine vermeintlichen Rechte auf den Besitz bürgerlicher Kaufleute mit Gewalt. Er endete schließlich im Gefängnis, wurde dann lebenslänglich zu einer Art Hausarrest auf seiner Burg verdonnert, wo er trotzig seine Memoiren schrieb.

Als „Wut auf das Gute“ muss man hier wohl die Wut auf das aufstrebende Bürgertum sehen. Über Goethes gleichnamiges Drama erfährt man, dass dieser den historischen Götz moralisch falsch eingeordnet hat. Goethe thematisiert die Ambivalenz der Entwicklung: Geld verdrängt den Adelstitel als Statuskriterium, die liberale Kernidee der Kapitalanhäufung ist auf dem Siegeszug – einer der Gründe, warum auch der echte Götz durchaus Sympathien, nicht nur bei Leuten seines Standes, genoss.

Sympathie mit dem Outlaw

Beim einzigen noch lebenden Delinquenten, Donald Trump, holt Albig sehr weit aus, beginnt mit Al Capone und der Prohibition, wo er eine breite Flucht ins Unmoralische erkennt: Das Verbotene wird attraktiv, weil es verboten ist. Die Popularität des Verbrechers gründet im Wesentlichen auf einer Furcht vor dem Verlust des kleinen Rests an Freiheit, der einem bei all den heutigen Regeln und Verboten noch bleibt. Dabei spiele, so Albig auch die Mentalität des Wilden Westens eine Rolle, wo Männer noch echte Männer waren und Frauen wussten, wann sie die Klappe zu halten hatten. Dieser Geist der Freiheit und der kaum verhohlenen Sympathie mit dem Outlaw, dem Ungezähmten, Authentischen komme auch Trump zugute, der mit dem Unanständigen kokettiere und eine Wild-West-Amoralität bewahren wolle.

Ähnlich verfährt Albig mit den anderen „Wutbürgern“, etwa Machiavelli, dem sein Bonmot „Wer gut sein will, muss zugrunde gehen“ angelastet wird; oder mit Brecht, bei dem ein Satz aus der Dreigroschenoper die Anklage stützt: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Dass manche der Inkriminierten die Wirklichkeit lediglich beschreiben, aber keineswegs preisen, entgeht Albig schon mal.

Im Schlusskapitel räsoniert Albig vage ironisierend über amoralische Denkarten der Gegenwart. Moralisch, das ist irgendwas mit humanistischen, europäischen Werten, Universalismus, Naturschutz und Klimabewegung. Für Albig ist zu jedem historischen Zeitpunkt die gute Moral jene, die zum heutigen Stand der Zivilisation geführt hat. Sein roter Faden ist eine kontinuierliche Entwicklung der Menschheit zum Guten, das er alternativ auch Zivilisation nennt. Zwischen den Zeilen hat es sich Hegels Weltgeist gemütlich gemacht, ohne Dialektik allerdings.

Dass Moral auch als illegitimes Herrschaftsinstrument missbraucht werden oder Unmoral Gutes bewirken kann – geschenkt. Seine Protagonisten haben eine Wut, weil sie Interessen und Ansichten verteidigen, die vor der neuen, höher entwickelten Moral keine Gnade mehr finden.

Info

Moralophobia. Wie die Wut auf das Gute in die Welt kam Jörg-Uwe Albig Klett-Cotta 2022, 224 S., 22 €

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