Der ANC verliert sein Volk

Südafrika Der Tod von 34 Bergleuten in Marikana hat die Regierungspartei in eine Legitimitätskrise gestürzt. Sie hat sich weit von denen entfernt, die sie einmal befreien wollte
Nicht sehr gefragt: ANC-Medaille als Souvenir
Nicht sehr gefragt: ANC-Medaille als Souvenir

Foto: Alexander Joe/AFP/Getty Images

Es gärt im Land, analysiert Jay Naidoo, von 1985 bis 1993 Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes COSATU, die jüngsten Vorfälle rings um die Platinmine von Marikana. 15 Millionen Südafrikaner könnten nur überleben, weil sie Sozialhilfe beziehen. 50 Prozent aller Arbeiter verdienten gerade einmal 3.000 Rand (300 Euro) im Monat. „Die Menschen in den Squatter-Siedlungen sind verbittert, weil die Demokratie keine Früchte trägt, während eine kleine Elite diese verzehrt.“

Seit 34 Minenarbeiter von der Polizei erschossen wurden, erlebt der regierende ANC eine Zerreißprobe. Er muss der Tatsache ins Auge sehen, versagt zu haben. Und das gründlich. 18 Jahre nach der Apartheid leben Millionen von Schwarzen in Armut und Rechtlosigkeit. Sie haben keinerlei wirtschaftliche Freiheit. Es fehlt ihnen an Kraft und Ermutigung, die einst so unbändig gefeierten politischen Freiheiten zu gebrauchen, geschweige denn zu genießen. Erniedrigt und beleidigt erfahren sie durch das Massaker von Marikana: Gewalt kann die einzige Antwort sein, die ihnen ihre Führer noch geben. Aber wem nützt es, wenn sie sich wehren und alles, was den Staat repräsentiert – Schulen, Bibliotheken oder andere öffentliche Gebäude –, niederbrennen?

Elitäre Marotten der Funktionäre

1999 hielt der damalige Präsident Thabo Mbeki eine Rede vor dem Black Management Forum. „Wir müssen sicherstellen, dass eine schwarze Bourgeoisie entsteht, deren Existenz in Wirtschaft und Gesellschaft Teil der Auflösung der Rassenschranken in Wirtschaft und Gesellschaft sein wird.“ Der Ruf wurde gehört. Mitte der neunziger Jahre waren die Mitgliederzahlen des regierenden ANC sprunghaft gestiegen. Es gab bei den Neumitgliedern Opportunisten, Karrieristen und Geschäftemacher. Unter führenden ANC-Mitgliedern wurde unter Freiheit nun vor allem die Chance verstanden, an die zuvor Weißen vorbehaltenen Schaltstellen von Einfluss und Macht zu gelangen. Ende 2011 wurden von den an der Johannesburger Börse gelisteten Unternehmen 770 von schwarzen Direktoren geführt – noch 1992 waren es gerade zwölf. Von den 35 Ministern des ANC vertraten zuletzt drei Viertel finanzielle Interessen jenseits ihres Amtes.

Thabo Mbeki gestand 1999 ein, dass „die Bedeutung von Freiheit nicht mehr definiert wird durch das scheinbar verklärte und deshalb ungreifbare Geschenk der Befreiung, sondern durch die Design-Etiketten der Kleider, die wir tragen. Durch die Autos, die wir fahren. Durch die Geräumigkeit unserer Häuser und ihre Lage. Durch die Gesellschaft, in der wir uns bewegen. Und das, was wir in dieser treiben.“

Selbstverständlich ist nicht die gesamte ANC-Führung auf den Pfad hemmungsloser Bereicherung geraten, ebenso wenig gilt das für die mit der Regierungspartei verbündeten Gewerkschaften. Aber die elitären Marotten zahlreicher Spitzenfunktionäre bieten Demagogen wie dem aus dem ANC verstoßenen früheren Jugendliga-Chef Julius Malema immer wieder Vorlagen, um die Wut der vom Aufstieg Ausgeschlossenen zu entfachen. Dass er mit seinen Kampfansagen die Minenarbeiter von Marikana aufpeitschte, bevor er in seinen SUV stieg und ins vornehme Sandton fuhr, lässt für die bohrenden Konflikte im sozial tief zerklüfteten Südafrika nichts Gutes hoffen. Es wird mit den Toten und der Eskalation von Marikana nicht vorbei sein.

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