Der andalusische Hund

Ausbeutung Unter Planen wächst in Südspanien Gemüse für ganz Europa. Wer dort arbeitet, verdient fast nichts. Ein Besuch
Ausgabe 05/2019

Es ist aus dem Weltraum zu sehen, das „Plastikmeer“ an der Südküste Spaniens: 36.000 Hektar groß ist es und besteht aus grauen Gewächshäusern, aus primitiv zusammengeflochtenen Folien, Planen und Netzen. Im Unterschied zur hochtechnisierten holländischen Glashauszone Westland verschwindet das andalusische „mar del plástico“ bei Nacht, es ist unbeleuchtet. Auch das schönste mediterrane Abendrot wirft keinen Abglanz auf seine schmutzig grauen Wellen.

Es war dies einst eine unfruchtbare, steinige Halbinsel. Dank eines verzweigten Systems bodennaher unterirdischer Flüsse und dank der Beimischung von Meeressand wurde daraus Europas Wintergarten. Elende andalusische Dörfler wurden wohlhabende Kleinstädter, die Arbeit wird von Marokkanern, Schwarzafrikanern und Rumänen erledigt.

Die Hauptstadt ist El Ejido, 88.000 Einwohner, 128 der 227 Quadratkilometer Gemeindefläche liegen unter Plastik. Als kürzlich die rechtsradikale Partei VOX ins andalusische Parlament einzog, wurde sie allein in El Ejido stärkste Kraft, mit 29,5 Prozent. Auch im Februar 2000 war da schon was, ein regelrechtes Pogrom gegen Autos und Läden von Marokkanern.

Sie erzählen von ihrem Zorn

El Ejido ist gesichts- und geschichtslos. Der erste Eindruck: statische Existenzen von Afrikanern und Maghrebinern am Busbahnhof. Der zweite: „broken society“, feindselig lauernder Tribalismus in den Straßen. VOX redet nicht mit mir, und die Rumäninnen sind weniger geworden, haben eingeheiratet und sind nun ähnlich misstrauische Besitzbürger.

Anderntags suche ich die Moschee, die der spanische Mob vor 19 Jahren angezündet hat. Ein alter, safrangelb beschuhter Halbberber zeigt mir die falsche Moschee, das Straßenlokal in der Brasilienstraße wurde erst vor Kurzem versiegelt. Er führt mich durch die Venezuelastraße zu einer nüchternen Kebab-Kantine. Das „Döner“ am Schild ist eingeschlagen. Kein Anschlag, beteuert man, Jungs hätten Fußball gespielt. Daneben, hinter einem garagengroßen Rollladen, war die Moschee. Keiner der herbeiströmenden Marokkaner hat damals schon hier gelebt. Einer behauptet, viele der marokkanischen Erntehelfer, die nach dem Pogrom in Streik traten, seien abgeschoben worden.

Ich sitze dann drei Stunden vor dem Dönerladen, ein Marokkaner nach dem anderen tritt vor mich hin und erzählt mir seinen Zorn. Die Chefs zwingen ihnen Scheinverträge auf, für einen bis fünf Tage im Monat, in der Saison arbeiten sie aber fast jeden Tag. 34 bis 35 Euro Tageslohn, Kleidung und Anfahrt auf eigene Kosten. Eine Kontrolle von der Arbeitsinspektion hat noch keiner erlebt. Jamal, der mir als Einziger seinen richtigen Namen nennt, will über die Ausbeutung reden: „Ich mache das nicht mehr, ich schuftete wie ein Tier.“ Mit den Zahlen scheint mir Jamal manchmal zu übertreiben. Er behauptet, sein früherer Chef habe mit drei Gewächshäusern und vier marokkanischen Arbeitern einen Jahresgewinn von 240.000 Euro gemacht. Jetzt im Winter sei es angenehm, 23 bis 24 Grad, „aber im März, April, Mai heizt es auf 60 Grad auf. Ich arbeitete in Shorts, meine gläubige Frau verschleiert.“ Er habe dieselbe Arbeit bei Avignon gemacht, mit allen Rechten und für acht Euro die Stunde. Sein Sohnemann, ein Ausnahmefußballer, soll später mal nicht in Spanien mit dessen „stillem Rassismus“ spielen, sondern, „in einem Land mit einer sozialen Politik“. Er meint Frankreich.

Abdul malocht zwölf Jahre unter der Folie, „in langen Hosen, wegen einer Allergie gegen den Staub und die Spritzmittel“. Sobald er den spanischen Pass bekommt, frühestens nach 15 Jahren Aufenthalt, ist er weg, „Belgien oder Frankreich“. Sein Kind wächst bei der Oma in Marokko auf. Er beklagt Rassismus am Wohnungsmarkt, selbst Rumänen würden leichter eine Wohnung bekommen als Marokkaner: „Ich zahle 350 Euro für 26 Quadratmeter, das ist ein Käfig!“ Ein Älterer sagt, dass er nach zwölf Jahren im Treibhaus nicht einmal Stütze bekomme, null. „Warum gehen Sie nicht nach Marokko zurück?“ Er auf Französisch: „Double zéro.“ Der einzige Studierte, ein Handelsreisender mit russischer Frau in Wolgograd, verteidigt Spanien manchmal: „Schule und Gesundheitssystem sind gratis, und in marokkanischen Gewächshäusern würden sie zehn Euro am Tag kriegen.“

Es dauert, bis sich Zeugen des 2000er-Pogroms finden, zwei Alte mit bodenlangem Gewand und Käppi. Der eine erzählt: „Alle Spanier brandschatzten, Junge, Alte, Frauen, auch die Polizei.“ Letzteres hält der Studierte für Blödsinn. „Schuld war ein Marokkaner“, fährt der Alte fort, „der wollte einer Spanierin in Santa Maria, als sie aus der Bank kam, die Handtasche entreißen. Die 18-Jährige wehrte sich, da stach sie der Irre ab.“ Der andere Alte erzählt dies: „Ein Marokkaner löste das aus. Er erhob einen Stein gegen den Hund eines Chefs, worauf ihn der Chef beleidigte, wer bist du, dass du einen Stein auf meinen Hund werfen willst. Da erschlug er den Chef.“ Abdul sagt, der Streik sei eigentlich eine Flucht der marokkanischen Familien gewesen, zu Fuß in die Berge hinauf. Dieser Berg ist vom Dönerladen zu sehen, ein vollkommen kahler Berg.

Nach dem Abschied gehe ich ans Ende der Straße. Eine schmale Brache zum Ausführen der Hunde, dann beginnt schon das Plastikmeer, in dem drei Millionen Tonnen Wintergemüse für uns produziert werden. Ich luge hinein. Alles sehr einfach, am Boden verlaufen schwarze Planen. Afrikaner ernten soeben Paprika, gelbe, rote und grüne Paprika.

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