Der andere Hombre

Robinson Bärtige Männer mit Hüten, die durch unser kleines Indianerdorf ritten, waren nicht ungewöhnlich, denn es lag auf dem Weg einer beliebten Abkürzung. ...

Bärtige Männer mit Hüten, die durch unser kleines Indianerdorf ritten, waren nicht ungewöhnlich, denn es lag auf dem Weg einer beliebten Abkürzung. Anfangs war die Neugier unserer einheimischen Dauercamper so beengend, dass die Reiter von ihren scheuenden Pferden absteigen mussten, damit niemand zu Schaden kam. Dann wurde prüfend und kichernd am Kinnhaar des Reisenden gezogen, das Gebiss des Pferdes in Augenschein genommen und der Gepäckträger inspiziert. Auf einmal tauchten Dinge in unserer schlichten Gemeinschaft auf, die noch kein Leisetreter, Windschattenleser, Bibermelker, Tomahawkschleifer und Trendskalpeur jemals in seinem Leben gesehen hatte. Rumkugel, Weinbrandbohnen, Taschentücher, Wackeldackel und Lippenstifte. Mit leeren Satteltaschen, aber stets guter Laune, verließen uns die Durchzügler. Vom Ortsausgangsschild bis zum nächsten Horizont waren es dann noch zwei Stunden. Wir standen am Zaun und winkten solange. Unsere willkommene Empfängnis sprach sich herum.

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Bald trugen die Transiter das immer gleiche Sortiment in unseren Ort. Diese Zuverlässigkeit führte zu unbesorgter Abhängigkeit. In kurzer Zeit war der ganze Verein konditioniert. Jeder Wanderer wurde zum Lieferanten, freiwillig oder überredet. Schweizermesser oder Blechheringe ergänzten die Haushalte. Einer unserer hellhörigen Außenposten, der die Legefrequenz einer acht Kilometer entfernten Hennenkaserne noch in Echtzeit wahrnehmen konnte, kündigte auf Grund eines zaghaften tektonischen Signals die baldige Erscheinung eines neuen Gabenbringers an. Zwischen den Sombrerosilhouetten der Kakteen erschien dann auch bald der ersehnte Hut. Dann der Hals des Lastentiers und endlich im Gegenlicht auch die Fransenpracht verwegener Gesichtsbehaarung. Unser Volk sammelte sich in der vorverheißenen Richtung und wob einen roten Teppich aus gierigen Zungen. Doch der Herbeigetrabte enttäuschte alle. Alle, die sich auf die liebgewonnenen Mitbringsel nicht mehr freuten, sondern diese süchtig erwarteten. Die Schnapskonfektabhängigen kollabierten als erste. Dann stürzten die renovierungsgewohnten Gesichtsfassaden der eitlen Weiber ungeschminkt in die Kopfkissen. Nur wir Kinder verstanden die Agonie unserer Eltern nicht. Endlich konnten wir im Spalier vorne stehen, während sich der erwachsene Rest in seinen Entzugserscheinungen aufbäumte. Der neue Hombre sah aus wie alle anderen zuvor. Nur hatte er bloß Buntstifte dabei.

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