Der andere Lebensstil

ROT-GRÜN / UMWELTPOLITIK Angelika Zahrnt, Vorsitzende des BUND, über ein Jahr rot-grüner Umweltpolitik

FREITAG: Nach einem Jahr rot-grüner Umweltpolitik hat sich Jürgen Trittin selbst sehr gelobt und auch den Umweltgipfel positiv bewertet, können sie ihm folgen?

Angelika Zahrnt: Es gab viele Ankündigungen, aber kaum konkrete Änderungen. Lediglich die Ökosteuerreform ist verankert, wir haben allerdings Kritik an der konkreten Ausgestaltung. Positiv ist die Unterzeichnung der Ahaus-Konvention, die den Zugang zu Umweltinformationen regelt. Dagegen ist der Kompromiss zur Altautoverordnung kein Erfolg, auch wenn er so verkauft wird. Und nach der Klimakonferenz sieht der BUND auch keinen Anlass zu Euphorie. Zwar ist die Festlegung auf die nächste Runde in Den Haag und die Tatsache, dass bis 2002 fünfzig Staaten das Klimaprotokoll unterschreiben sollen positiv, aber zum Einsatz der flexiblen Mittel besteht weiter Dissens und einen Durchbruch kann ich auch nicht erkennen.

Hatten Sie von der Bundesregierung unter einem Kanzler Gerhard Schröder (seine Verbundenheit mit der Autoindustrie ist ja nicht neu) eine andere Umweltpolitik erwartet?

Ich war der Meinung, dass die Politik nicht allein vom Bundeskanzler gemacht, sondern auch von den Fraktionen bestimmt wird und etwas mit den Wahlprogrammen zu tun hat. Politik besteht nicht nur darin, dass ein Kanzler den lautstärksten Lobbygruppen am meisten nachgibt und so zu einem Druckausgleich kommt. Politik ist auch Gestaltungsaufgabe für Ziele, hinter denen eigene Überzeugungen stehen. Die Art, wie die Bundesregierung ihr Sparpaket verteidigt hat, erwarte ich auch, wenn es um die Verpflichtungen zur CO2-Reduzierung oder notwendige, wenn auch unpopuläre Maßnahmen wie die Benzinpreisanhebung geht.

Wird Umweltschutz nur noch dort gemacht, wo er sich rechnet?

Die leeren Kassen werden uns bei vielen unökologischen Großprojekten zu Hilfe kommen. Wenn der Transrapid stirbt, dann deshalb, weil die finanziellen Mittel dafür nicht mehr da sind. Auch in einer Marktwirtschaft wird aber nicht nur das gemacht, was sich rechnet. Zu Recht wird im kulturellen Bereich nicht danach gefragt. Wenn sich jeder Handschlag und jedes Lächeln rechnen muss, kommen wir zu einer sehr unmenschlichen Gesellschaft.

Wie mächtig sind die Verbraucher und nutzen sie ihre Macht auch aus?

Wie groß ihre Macht ist, hat sich unter anderem in der Kampagne gegen gentechnisch veränderte Lebensmitteln gezeigt. Die Bundesregierung musste ein Gesetz zur Positivkennzeichnung erlassen. Auch die großen Konzerne machen bereits die ersten Rückzieher. Die Deutsche Bank hat in einem Rundschreiben sogar davon abgeraten, in Monsanto und ähnliche Firmen zu investieren.

Ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit nicht ein viel drängenderes Problem als Umweltschutz?

Arbeitsplätze und Ökologie stehen sich gar nicht diametral gegenüber. Mit Ökologisierung von Landwirtschaft, Wohnungsbau und Verkehrspolitik wären sogar viele Arbeitsplätze zu gewinnen.

Ist bei vielen die Angst vor Veränderungen nicht doch größer als der Wunsch nach ökologischen Reformen?

Es gibt natürlich eine große Tendenz zum Beharren. Wenn Veränderungen in Gang gesetzt werden, muss deshalb das positive Ziel vermittelt werden und nicht nur das schmerzhafte Mittel. Eine Wende in der Verkehrspolitik hieße: weniger Schadstoffe, weniger erkrankte Kinder, weniger Verkehrsopfer...

Glauben Sie, dass Menschen für den ökologischen Wandel die Senkung des Lebensstandards in Kauf nehmen würden?

Es ist doch keine Senkung der Lebensqualität, wenn es zum Beispiel mehr langlebige Produkte gäbe, die repariert werden könnten. Dadurch sinkt zwar das Bruttosozialprodukt, aber das Wohlbefinden der Menschen leidet nicht.

Heiß umstritten ist die Frage nach den Methoden ökologischer Politik.

So umstritten ist der Mix aus Ordnungsrecht, fiskalischen Instrumenten wie Ökosteuer und Kooperation eigentlich nicht mehr. Bei akuten Gefahren ist das Ordnungsrecht nach wie vor nötig. Andere Dinge wie Energieverschwendung können schlecht per Gesetz verboten werden. Deshalb gewinnen da steuerliche und preisliche Anreize immer mehr an Gewicht. Es kann nicht sein, dass die Konzerne mit ihren Konzerneigeninteressen bestimmen, wie die Gesamtpolitik aussieht. Nicht Herr Piech darf die Altautoverordnung festlegen, sondern die Regierung sollte dies im Interesse des Gemeinwohls tun.

Wie sollte Ihrer Meinung nach mit der Problematik Ausstieg aus der Atomenergie umgegangen werden?

Der BUND hat die ganz eindeutige Position: Sofortiger Ausstieg wegen der prinzipiellen Unbeherrschbarkeit dieser Technologie. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, einen Ausstieg im Konsens hinzukriegen. Ich sehe überhaupt nicht, wie dieser Konsens zu erreichen ist. 40 Jahre Laufzeit als Position der Energiekonzerne sind einfach ein schlechter Witz. Deshalb sollte die Regierung diese Frage schnell über ein Gesetz regeln. Aber auch da hat die Politik mit der Wahl des Münchner Juraprofessors Udo Di Fabio zum Verfassungsrichter, der seine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Atomausstiegs in aller Öffentlichkeit bekundet hat, vorgebaut. Wenn nach einem wahrscheinlichen Scheitern der Konsensgespräche zum Atomausstieg ein Ausstiegsgesetz verabschiedet wird, haben die Atomkonzerne schon Verfassungsklage angekündigt, und mit der neuen Besetzung des BVG die Weichen gegen das Gesetz gestellt.

Wird Rot-Grün ohne Ausstiegsszenario einen Castor-Transport losschicken? Die Totalblockade für den nächsten Atomtransport ist ja schon angekündigt.

Das ist das Problem dieser Regierung. Der BUND wird alles dafür tun, dass ihr das auch bewusst bleibt. Wir haben beschlossen, wir beteiligen uns an legalen, gewaltfreien Blockaden. Ein Ansägen von Masten oder Gleisen ist für uns allerdings keine vertretbare Form des Widerstands.

Kann sich regenerative Energie überhaupt durchsetzen, solange es billigen Atomstrom gibt?

Wenn durch die Liberalisierung billiger Atomstrom aus ganz Europa, Osteuropa mit seinen maroden Reaktoren eingeschlossen, völlig ungehindert nach Deutschland kommt und es keine Maßnahmen zur Förderung regenerativer Energien gibt, wird ein Umstieg kaum möglich sein.

Gibt es eine globale Perspektive für Ökologie?

Ja, im Rahmen einer Politik nachhaltiger Entwicklung, wie sie in Rio 1992 vereinbart wurde. In Länder wie Mexiko ist klar, dass etwas gegen die Luftverschmutzung getan werden muss. Die Umweltprobleme sind gerade in den südlichen Ländern viel drängender und sogar existenzbedrohend. Die Afrikaner sagen jetzt schon: Wir brauchen keine Diskussion über die Klimaveränderung mehr, wir erleben sie schon mit der Ausdehnung der Wüsten.

Das Gespräch führte Niels Floreck

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