Der Ausputzer

PDS / ROLAND CLAUS Roland Claus, designierter Nachfolger Gregor Gysis an der Spitze der PDS-Bundestagsfraktion, über Krisen, kalte Füße und Koalitionsoppositionen

FREITAG: Gab es nach dem Parteitag in Münster irgendwann Momente, in denen Sie gesagt haben: Ich sollte vielleicht doch nicht für den Fraktionsvorsitz kandidieren - der Schatten von Gregor Gysi ist zu lang?

ROLAND CLAUS: Die Entscheidung ist mir wesentlich schwerer gefallen, als es in der Presse dargestellt wird. Mir war natürlich nicht Unrecht, dass die Frage des Fraktionsvorsitzes nicht als so strittig galt wie die des Parteivorsitzes. Und ich lege Wert darauf, meine Entscheidung nicht an anderer Stelle vorher mitgeteilt zu haben, sondern zuerst gegenüber der Fraktion.

Aber es war doch alles andere als eine spontane Entscheidung ...

Natürlich habe ich versucht, mich geistig darauf vorzubereiten, aber dieser Abwägungsprozess musste irgendwann zu Ende gebracht werden. Der Ausgang aller

Überlegungen ist ja nach wie vor offen, möglicherweise gibt es noch andere Kandidaturen. Ein Vorgang, mit dem ich gut leben kann und bei dem ich mit einem inhaltlichen Anspruch antrete, nicht mit einem Übermaß an Ehrgeiz.

Mit Bedarf an Krisenmanagement?

Ja sicher, ich habe ja zur Kenntnis nehmen müssen, dass in der interessierten Öffentlichkeit Münster als Rückschritt für die PDS angesehen wurde. Nun können wir selbst uns das anders erklären ...

Sie sehen das nicht als Rückschritt?

Doch, ich sehe das schon als eine sehr schwierige Situation, aber dieser Umbruch birgt auch Chancen. Wenn die Öffentlichkeit die Situation mehr als Krise denn als Chance sieht, liegt meine Verantwortung in der Wahrnehmung der Chance, um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die PDS auch künftig einen Gebrauchswert hat.

Verlangt das nicht nach politischer Führung? Angesichts der allseits beklagten Kommunikationsdefizite in der PDS werden Sie jedoch mehr als Kommunikator und Moderator gebraucht.

Ich halte diese Einteilung in Integrations- und Polarisierungsfiguren für ziemlich müßig.

Die Frage bleibt, ob Sie führen oder moderieren wollen.

Das wird immer als Gegensatz verstanden - man muss aber tatsächlich beides beherrschen. In den acht Jahren als Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt bin ich als jemand gesehen worden, der vorwiegend polarisiert, Führungsansprüche formuliert und energisch in die Partei hineinwirkt. Von allem trifft etwas zu. Wenn man acht Jahre Landesvorsitzender war, beherrscht man das Integrieren nicht nur, man hat es verinnerlicht.

Was die Kommunikationsdefizite angeht, die sind so alt wie die PDS. Trotzdem sollte Münster uns allen auch eine Lehre sein, für Reformalternativen nicht nur öffentlich, sondern auch in der Partei selbst besser zu werben.

Mit einer designierten Parteivorsitzenden Zimmer können Sie leben?

Wir sollten nicht über spekulative Annahmen reden, solange niemand gewählt ist. Wir haben auch keinerlei Absprachen getroffen, andererseits können wir auf ein Reservoir gemeinsamer Erfahrungen zurückgreifen. Wir gehören ja zu denen, die jetzt manchmal liebevoll als zweite Reihe bezeichnet werden, sind aber fast alle länger im politischen Geschäft als die beiden dominanten Personen, deren Nachfolge wir antreten sollen. Wir müssen uns nicht erst die Karten legen, um zu wissen, wer gehört wohin.

Was ist, wenn Gysi vom Rücktritt zurücktritt?

Helfen Sie mir doch mal, dass er sich dazu entschließt - ich bin daran gescheitert. Meine Vorstellung ist, dass Gregor Gysi als der Politiker, der am überzeugendsten PDS-Politik vermitteln kann, dies auch künftig tun wird - ohne durch ein Amt belastet zu sein.

Gysi hat in seiner Abschiedsrede davon gesprochen, seine historische Aufgabe sei abgeschlossen. Was ist die historische Aufgabe von Roland Claus?

Es ist jetzt sicherlich die Phase beendet, in der die PDS einen Beitrag leisten konnte, dass die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger aus der DDR einen selbstbewussten Platz in der Gesellschaft der Bundesrepublik finden. Jetzt geht es darum, dass die PDS präziser, klarer, öffentlich deutlicher wahrnehmbar ihren künftigen Platz in der bundesdeutschen Gesellschaft beschreibt und einnimmt. Dazu gehört auch, dafür einzutreten, dass sich zwischen SPD und PDS nicht noch etwas anderes findet. Und dann gilt es eben auch, mehr auf die Alltagsbedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern in den alten Bundesländern einzugehen.

Petra Pau hat erklärt, die PDS brauche jetzt eine zweite Erneuerung ...

Ich teile ihren Ansatz insofern, als wir jetzt in eine Entwicklung treten, die durchaus eine qualitative Zäsur bedeuten kann. Eine Phase geht zu Ende, in der die PDS maßgeblich durch äußere Einflüsse geprägt wurde. Der Übergang von der SED zur PDS hat sich ja nicht selbstbewusst vollzogen. Die SED war zu einer geistigen Selbstbefreiung von sich aus, ohne Druck von außen, nicht in der Lage. - Deshalb hat die energische Ausgrenzung der PDS auch den inneren Zustand der Partei geprägt. Jetzt lassen die anderen ein bisschen nach, und wir stehen vor der Herausforderung, die notwendigen Entwicklungspotenziale, die es in der PDS zweifellos gibt, auch freizusetzen.

Lassen die anderen nicht eher nach, weil die PDS nicht mehr die Konkurrentin ist, wie sie das mit Gysi und Bisky war?

Der Prozess, den ich meine, setzt viel früher ein und hängt damit zusammen, dass die anderen Parteien für sich inzwischen den Schluss ziehen, dass sie durch eine bloße Ausgrenzung der PDS diese vielleicht mehr stärken als schwächen. Eine gewisse Zäsur war die Aufgabe der Blockade im Bundestag, als der Gesetzentwurf zur Zwangsarbeiterentschädigung von allen Fraktionen gemeinsam eingebracht wurde.

Was unsere Möglichkeiten angeht, so hat uns ja die SPD durch den Kurs Schröders das Thema soziale Gerechtigkeit ziemlich kampflos überlassen - und die CDU das Thema Ostinteressen. Soziale Gerechtigkeit, Ostinteressen und Friedenspolitik, das sind für uns Imagefelder. Mehr gibt es nicht, wodurch wir auch öffentlich wahrgenommen werden. Auf diesen Feldern kommt es jetzt zu einer Konkurrenz der Ideen, wie wir sie uns immer gewünscht haben und bei der wir jetzt keine kalte Füße bekommen dürfen.

Wären Ihre Vorstellungen mit dem Satz zutreffend beschrieben - Sie orientieren die PDS auf Wettbewerb mit der SPD durch Kooperation mit derselben?

Ich beklage vor allem, dass Kooperationspotenziale überhaupt nicht ausgeschöpft werden. Seit ich im Bundestag sitze, quält mich die Frage: Wie können die Genossen in der SPD derart verdrängen, dass sie mit der PDS in Schwerin regieren und in Magdeburg eine Tolerierungspartner haben. Die Antwort ist einfach: Es ist für sie ein "Sündenfall im Ausland". Der Osten ist nicht angenommen. Man hat es an Schröder gesehen, als er vergangene Woche im Bundestag erklärte, die Wirtschaftsstrukturen seien "im Osten halt noch nicht so entwickelt wie bei uns". Auf das "bei uns" kommt es an.

... und das werfen Sie der SPD vor?

Ich werfe der SPD besonders vor, dass sie sich das Maß einer Kooperation mit uns nach wie vor von der CDU vorschreiben lässt. Jüngstes Beispiel war ein möglicher Antrag aller Fraktionen zur Bildung einer Enquetekommission Bioethik. Die CDU sagt, sie macht nicht mit, wenn die PDS dabei ist. Daraufhin sagt die SPD: Dann darf die PDS eben nicht dabei sein ...

Was wird mit Ihrem oppositionellen Anspruch, falls es doch zu einer solchen Zusammenarbeit kommt?

Natürlich bietet die von uns erwogene Kooperation Chancen und Risiken, nehmen Sie das Beispiel Rentenpolitik. Die SPD hat das Riester-Modell vorgelegt, wir haben ein alternatives Modell. Das ist für meine Begriffe ziemlich radikal, aber eines von dieser Welt. Jetzt hat die SPD zwei Möglichkeiten. Sie sagt weiter: Man lässt die PDS konsequent draußen. Dann wird das öffentlich so empfunden - und ich finde zu Recht -, dass der Osten ein Stück draußen bleibt. Oder man sagt zur PDS: Sehen wir uns eure neun Punkt doch einmal an. Wir könnten ja drei davon aufnehmen. Dann würden wir sagen: Wir hätten schon gern, dass ihr drei Punkte von uns nehmt, aber wir stimmen trotzdem dagegen. Die SPD könnte kontern: Entweder ihr stimmt dafür oder ihr kriegt die drei Punkte nicht. Und dann wird's Politik, und man wird sich überlegen, was ist es wert, einen Gestaltungsanspruch auszufüllen, auch unter der Maßgabe, dass eigener oppositioneller Anteil nicht mehr wie gewohnt sichtbar wird. Das stelle ich mir unter Opposition mit gestalterischem Anspruch vor.

Was geschieht, wenn 2002 nach den nächsten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Ministerpräsident Höppner seine Ankündigung wahr macht, eine Koalition mit der PDS einzugehen - allerdings nur unter der Bedingung, dass Roland Claus mit von der Partie ist?

Wir haben im Landesverband einen geräuscharmen Personalwechsel zustande gebracht, als ich 1998 zunächst nach Bonn ging. Es wäre doch merkwürdig, wenn die PDS meinen Weggang verkraftet, die SPD aber nicht. Spannender finde ich schon, dass Höppner gerade in der Nach-Münster-Phase, als es in der SPD mehr Mode war, sich die Schuhe an der PDS abzutreten, gesagt hat, lasst uns doch realistisch bleiben, die PDS ist nicht so kaputt wie sie geredet wird. Natürlich wird die Tolerierung 2002 vermutlich ausgereizt sein, aber man sollte sie deshalb gerade auch mit einem gewissen historischen Verständnis betrachten: Ohne das Tolerierungsmodell wäre in der Bundespolitik vieles - auch Schwerin - nicht möglich gewesen. Ich persönlich verbinde für 2002 zunächst keine Ambitionen mit der anhaltinischen Landespolitik, aber natürlich sollte man nie nie sagen.

Wie stellen Sie sich also darauf ein?

Ich habe verschiedene Papiere an meine Partei gerichtet, in denen es darum geht, dass die PDS sich von einem Denken in den Kategorien eines Juniorpartners befreien muss. Das ist nicht mit Blick auf Koalitionen gesagt, sondern bezogen auf programmatische Denkfreiheit. Es scheint mir durchaus angebracht, dass sich die PDS selbstbewusst damit befasst, was denn passiert, wenn wir einmal mit einigen Prozenten im Osten vor der SPD liegen. Das wird sicher wieder als Denken für die Schublade gedeutet, aber ich schätze nun einmal vorausschauendes Denken ...

Nicht ganz unten in dieser Schublade liegen Überlegungen zur Gestaltung einer Koalition mit der SPD in Sachsen-Anhalt ...

Nun sollte man Höppners Aussage nicht gleich überbewerten. Er hat eine Koalition mit der PDS nicht angekündigt, sondern nicht ausgeschlossen - und dabei wird es bleiben. Schließlich muss sich die PDS in dieser Frage auch entscheiden. Ich habe beispielsweise von Koalitionsvereinbarungen eine etwas andere Vorstellung als die tradierte. Ich wünschte mir, dass Koalitionsverträge ehrlicher werden, dass man sagt: Wir haben uns in 54 Punkten geeinigt und bei vier nicht. Nun versuchen wir bei diesen Fragen nicht irgendeine künstliche Brücke zu schlagen, sondern schreiben diese Differenz fest und eine Regel, wie man damit umgeht. Diese kann darin bestehen, dass man sich in diesem und jenem Punkt andere parlamentarische Mehrheiten sucht. Man sollte eben nicht bei den Gepflogenheiten bleiben, wie es sie in 40 Jahren Bundesrepublik gab, sondern auch Formen entwickeln, die für die ganze Republik von Nutzen sein können. Und dass da aus dem Osten Neues kommen kann, diesen Ehrgeiz habe ich schon.

Aber es gibt offenbar einen Teil in Ihrer Fraktion, der ein anderes Politikverständnis hat.

Es ist klar, dass wir als Fraktion die verschiedenen Ansätze, die in der PDS existieren, widerspiegeln. Das kulminiert immer auch in einer Wahlentscheidung, etwa über den Fraktionsvorsitz, weil alle Beteiligten stärker gezwungen sind, sich zu positionieren, als das im normalen parlamentarischen Gang der Fall ist. Da nehme ich schon wahr, dass der Ansatz, Politik in einer solchen Vielfalt zu gestalten, von einer Mehrheit in der PDS getragen wird.

Verbindet sich für Sie der Fraktionsvorsitz auch mit der Wortführerschaft in allen politischen Grundsatzfragen?

Ich kann mir unabhängig von meiner Person vorstellen, dass die politische Wortführerschaft von mehreren Personen getragen wird, wenn der Amtswechsel vollzogen ist. Solch dominante öffentliche Wahrnehmung wie sie Gregor Gysi inne hat, wird es nicht mehr geben.

Haben Sie aus anderen Fraktionen schon Reaktionen auf ihre Designierung erfahren?

Ich habe von Anfang an eine ziemlich freundliche Aufnahme gefunden und nun den Eindruck, dass sich dies in den Grenzen der politischen Konkurrenzsituation fortsetzt. Allenfalls ist noch ein bisschen freundlicher gegrüßt worden.

Wenn Sie Ihr Charisma als Politiker beschreiben wollten, wie sähe das aus?

Eine Verbindung von gesicherten strategischen Fähigkeiten und dem Vermögen, diese Fähigkeiten zur Gestaltung zu bringen. Und ich fühle mich frei von überzogenen Karriereansprüchen. Was mich von vielen Kollegen vielleicht am meisten unterscheidet, ist aber vermutlich, dass ich in der Lage bin, mein politisches Engagement mit einem Maß an Distanz auszuüben.

Das Gespräch führten Jörn Kabisch und Lutz Herden

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