Der Balanceakt

Zeitungskrise Wie viele Artikel soll es im Netz umsonst geben? Alle? Keinen? In den USA tun sich die Zeitungen schwer, Print und Online optimal zu vermarkten

Tageszeitungen gelten in den Vereinigten Staaten als eine aussterbende Spezies. Das Internet scheint die Tagesblätter mithilfe brandaktueller und kostenloser Informationen abzulösen. Einnahmen aus Anzeigen schrumpfen weiter, im vergangenen Jahr sanken sie um fast 17%. In Folge kostenloser Inseratwebseiten wie Craigslist und weniger finanziellen Mittel der Werbekunden büßten die Tagesblätter in den letzten fünf Jahren bis zu 80% ihrer Einnahmen ein.

Besonders hart trifft das Zeitungssterben lokale Blätter wie die Eagle Times aus New Hampshire. Ihre Ursprünge reichten über 175 Jahre zurück. Im Juli erschien ihre letzte Ausgabe. Der 1870 gegründete Tucson Citizen aus Arizona wurde bereits zwei Monate früher eingestellt. Selbst renommierte landesweite Veröffentlichungen geraten ins Straucheln, so auch die Washington Post: Obgleich das Qualitätsblatt in den letzten zehn Jahren neunzehn Mal mit der höchsten journalistischen Auszeichnung, dem Pulitzer Preis, honoriert wurde, verlor die Zeitung im selben Zeitraum über 120.000 Leser.

Ist es also Zeit für einen Nachruf der amerikanischen Tageszeitung? Nein. Einen Weg aus der monetären Not sehen die Printmedien in der erfolgreichen Kombination von Print- und Onlineinhalten. Sie hoffen, die Budgetlöchern mit ihren Webauftritten stopfen zu können. Doch wer mit Texten im Internet Geld machen will, riskiert seine Leser an kostenlose Informationsquellen zu verlieren. Darüber hinaus lauern weitere Risiken bei gebührenpflichtigen Artikeln: Weil diese Texte hinter der Paywall gespeichert sind, tauchen sie in Suchmaschinen nicht auf und ihre Verlinkungsrate sinkt. Folge: Weniger Onlineleser werden auf sie aufmerksam. Für Sponsoren bedeutet das weniger potentielle Kundschaft. Auf diese Weise riskieren Zeitungen langfristig den Absprung weiterer Werbekunden.

Für die Blätter wird der Webauftritt daher zum strategischen Balanceakt: Wie viele Artikel sollten Lesern kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen? Für welche Texte soll man sie zur Kasse bitten? Und wie hoch sollte der Preis angesetzt werden?
Das Wall Street Journal bietet Nutzern die meisten Artikel kostenlos an, während es für sein Steckenpferd – die wirtschaftlichen Analysen – Gebühren verlangt. Das Vorgehen der Kollegen von Financial Times ist erfolgreicher, wie die Zahlen der Neuabonnenten belegen. Sie benutzen das Mengensystem: Onlinebesucher können eine bestimmte Anzahl von Texten umsonst abrufen, anschließend werden sie zur Kasse gebeten.

Vorbild Daily News


New York TimesWashington PostTimes

Auch die Washington Post sieht davon ab, Onlineinhalte kostenpflichtig zu machen. Aber auf der Jagd nach Einnahmen bietet sie ihren Usern die Artikelfotos zum Kauf an. Generell mangelt es der amerikanischen Zeitungslandschaft nicht an Ideen, wie sie Leser online ködern könnte. Eine beliebte Idee lautet, User für das Lesen zu belohnen, sei es in Form freier Zugriffe auf weitere Artikel oder der exklusiven Teilnahme an internen Ereignissen in Zeitungsredaktionen.
Die New York Times und andere investieren zusätzlich in den gekonnten Einsatz von Multimedia: Videos und Hörinhalte, Graphen und Diagramme, Podcasts und ergänzende Magazine, die die Leser online durchblättern können.

Vor zuviel elektronischen Schnickschnacks warnt jedoch die Nieman Foundation an der Harvard Universität. Das Institut für Journalismus empfiehlt stattdessen den Ausbau des sozialen Netzwerks: Leser sollten sich mit Journalisten austauschen können, so dass langfristig eine Leser-Community entsteht. Auf diese Weise bleiben die User der Zeitungen treu, so die Nieman-Experten.

Ein Patentrezept für höhere Userquoten gibt es aber bislang nicht. Die Redaktionen erproben ihre Möglichkeiten und während sich die meisten vorsichtig an eine Lösung des Problems herantasten, stampfen einige wenige durch den berühmt-berüchtigten Porzellanladen. So auch das Lokalblatt Newport Daily News. Herausgeber Albert Sherman hat dem Internet Kampf angesagt. Er will seine Leser wieder zurück zur Printversion locken. Dafür hat Sherman diesen Sommer die Gebühren für die Onlineabos auf dreistellige Summen erhöht – mit fragwürdigem Erfolg: Die Onlineleserquote sank um 30%, der Verkauf der Printversion stieg bislang um 8%.



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