Der Bock als Gärtner

AUFARBEITUNG DER NS-JUSTIZ Niedersachsen beschäftigt damit einen Rechtskonservativen

Die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung ist zurückgezogen, erst einmal. Leute, die in der folgenden Geschichte eine Rolle spielen, werden triumphieren.

Bundes- oder Landeszentralen für politische Bildung haben die Aufgabe, demokratische Ziele und Wertvorstellungen auf der Basis des Grundgesetzes zu festigen und zu verbreiten. Wie sie dieser Aufgabe nachkommen, geht die Öffentlichkeit in hohem Maße an. Aber ausgerechnet diese Bildungsinstitutionen betreiben ihr Geschäft im Windschatten von Kritik und demokratischer Kontrolle. Wichtige Vorgänge, personelle Besetzung der Bildungszentralen, innere Strukturen oder das merkwürdige Beziehungsgeflecht zwischen Referenten und Autoren bleiben im Dunkeln. Um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen, muss ein Skandal schon handfest daherkommen - wie in der Niedersächsischen Landeszentrale (NLzP): Es begann mit der Änderung einer Geschäftsverteilung. Das Land Niedersachsen ist führend im Bildungsbereich über NS-Justiz und juristische Zeitgeschichte. Das Ansehen der Tagungen der Deutschen Richterakademie ist hoch und in den letzten Jahren noch gestiegen. Bis Anfang 1996 ließ sich das auch von den Paralleltagungen auf Landesebene sagen. Aus haushaltstechnischen Gründen wurden die nicht vom Justizministerium, sondern von der NLzP und ihrem langjährigen Direktor Dr. Wolfgang Scheel durchgeführt.

Um sein auf Vergangenheitsentsorgung gerichtetes geschichtspolitisches Vorverständnis durchzusetzen, zerschlug er 1996 im Wege einer Geschäftsverteilungsmanipula tion die einheitliche Zuständigkeit für die Gedenkstätte zur NS-Justiz in Wolfenbüttel und die Tagungen zur NS-Justiz und übertrug die Tagungszuständigkeit auf den Leitenden Regierungsdirektor Dr. Uwe Dempwolff.

Wer diesen sensiblen Bereich nun betreute, konnten aufmerksame Leser - erst andeutungsweise, dann sehr konkret - der niedersächsischen und überregionalen Presse entnehmen: Die Neue Rechte - zu der sich Dr. Dempwolff zumindest in internen Gesprächen bekannte - lässt sich zwar mit dem Rechtsradikalismus nicht gleichsetzen. Was beide miteinander verbindet, sind die Relativierung der NS-Verbrechen und die Bestrebungen, über eine Verdrängung deutscher Schuld die deutsche Nation zu einer im Kern unbefleckten Größe zu machen. Eine von Lernprozessen begleitete Vergangenheitsaufarbeitung insbesondere mit Blick auf die beschämende Art, in der die bundesdeutsche Justiz mit den NS-Gewaltverbrechen und mit dem Versagen der Juristen im Dritten Reich umgegangen ist, hat nach Ansicht der Protagonisten zu einem "durch Umerziehung und Selbstzweifel geschwächten Deutschland" geführt und muss deshalb durch einen "Rückruf in die Geschichte" ersetzt werden. Einer der Lieblingsreferenten des Dr. Dempwolff zählt die berühmte Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes zu den "widerwärtigen Begleiterscheinungen des Jahres 1985".

Tatsächlich hat die Bundesrepublik ihr demokratisches Selbstverständnis aber erst in der Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht gewonnen. Weit über geschichtstheoretische Auseinandersetzungen hinaus geht es der Neuen Rechten darum, die Analyse der NS-Zeit aus einem kritischen und selbstreflektorischen Bezugsrahmen herauszulösen und damit den Boden für ein autoritäres, repressives Staatsverständnis zu bereiten. Umgekehrt fällt die kritische Wahrnehmung der NS-Justiz und ihrer Aufarbeitung nach 1945 mit dem Kampf für die Demokratie und eine plurale Justiz zusammen. Es war deshalb konsequent, dass Wissenschaftler, die zum Verschweigen oder Verklären der wenig ruhmreichen Nachgeschichte der NS-Justiz in der Frühzeit der Bundesrepublik nicht bereit waren, unter dem neuen Referatsleiter eine Vortragssperre erhielten. Mehrere Tagungen fielen wegen organisatorischer Mängel ganz aus.

Allerdings war damit der Spielraum eines zur politischen Ausgewogenheit verpflichteten Beamten nicht verlassen. Anlass einer ersten, noch vorsichtigen Reaktion des Kultusministeriums gab eine von Dr. D. für die NLzP, also mit öffentlichen Haushaltsmitteln veranstaltete Tagung, auf der er nationalistische Ideologen ohne Korreferenten für die Neue Rechte werben ließ. Pflichtwidrig verheimlichte er die Tagung gegenüber Kollegen, sogar vor dem Leiter der NLzP und lud handverlesene Teilnehmer dazu ein.

Ermutigt durch die laxe Dienstaufsicht des damaligen Leiters der NLzP, sah Dr. D. die Gelegenheit, seine Vorstellungen nationalen Selbstbewusstseins noch wirksamer umzusetzen, als die Ausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht nach Hannover kam. Auf zwei Fachtagungen suchte er je ungefähr 120 Bundeswehroffiziere - überwiegend Ausbilder - mit Aufrechnungsmentalität und verteilte eine Materialsammlung über die von russischen Soldaten an deutschen Gefangenen verübten Verbrechen, begangen, wie es hieß, "in einer selbst für russische Verhältnisse besonders bestialischen Art". Das in Wortwahl und Denkmuster rechtsextreme rassen ideologische Zitat und andere Texte und Fotos hatte Dr. D. mit der falschen Quellenangabe "Bundesarchiv/ Militärarchiv" versehen, tatsächlich aber einer im seriösen Buchhandel nicht geführten Schrift Franz W. Seidlers entnommen.

Diesmal reagierte das Kultusministerium entschiedener. Das rechtslastige Informationsmaterial musste bei der NLzP eingezogen werden. Gegen den Beamten, der seine Kompetenzen zum Zwecke der Meinungsmanipulation missbraucht hatte, wurde ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet, dessen Entscheidung noch aussteht. Dr. D. muss allerdings seit kurzem damit leben, dass er aufgrund eines von ihm selbst angestrebten Zivilprozesses mit dem Attribut "bekennender Vertreter der Neuen Rechten" leben muss.

Ein rechtskonservativer Ideologe mag in mancherlei Funktionen hinnehmbar sein; für die politische Bildung mit ihrer Aufgabe, dem Rechtsradikalismus entschieden entgegen zu treten, ist er nicht tragbar. Das weiß man auch im Kultusministerium. Nur, was soll man anfangen mit einem Bock, den man zum Gärtner verbeamtet hat? Bei der Besoldungsstufe A 16 wäre die nicht minder unerfreuliche Alternative die Leitung einer Referatsgruppe im Kultusministerium oder eine Schulleiterstelle. Also wird Dr. D. wohl auch künftig politische Bildung im Sinne der Neuen Rechten betreiben.

Immerhin wird es Dr. D. künftig wohl versagt bleiben, seine einseitigen Vorstellungen auch in die Tagungen zur juristischen Zeitgeschichte einzubringen. Die sachwidrige Zerschlagung der einheitlichen Zuständigkeit für die Gedenkstätte Wolfenbüttel und für die Tagungen zur NS-Justiz wird wieder rückgängig gemacht werden müssen. Nach mehr als drei Jahren wird die Leitung der Tagungen bei der NLzP wieder in sachkundige Hände gelangen. Nachdenklich stimmen muss allerdings, dass die längst informierten Aufsichtsgremien - das Kultusministerium und das Kuratorium für die NLzP - dem rechtslastigen Treiben jahrelang untätig zugesehen haben. So entsteht der Eindruck, dass diejenigen, die das Wächteramt über die politische Bildung ausüben, selbst des Nachhilfeunterrichts in politischer Bildung bedürfen.

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