Der Boss von Netflix lobt die Angst

Silicon Valley Der Streaminganbieter gehört zu den großen Gewinnern der Krise. CEO Hastings erklärt nun in einem Buch, welcher „Führungsstil“ dazu geführt hat
Ausgabe 44/2020
Kann von unserem Medienkonsum gut leben: Netflix-Chef und -Gründer Reed Hastings
Kann von unserem Medienkonsum gut leben: Netflix-Chef und -Gründer Reed Hastings

Foto: UPI Photo/Imago Images

Alles ist schlecht in Zeiten der Pandemie? Da würde Netflix-Co-Gründer und CEO Reed Hastings wahrscheinlich widersprechen, denn sein Unternehmen gehört zu den Gewinnern der Coronakrise: Netflix hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres weltweit 25 Millionen neue Abonnenten eingesammelt sowie 70 Milliarden US-Dollar an Börsenwert dazugewonnen. Damit ist Netflix nun wertvoller als die Konkurrenten Walt Disney, AT&T (wozu zum Beispiel HBO gehört) und Comcast (wozu NBC and Universal Studios gehören).

Viele Start-up-Gründer fragen sich aktuell wohl, wie auch sie so erfolgreich werden können. Für die gibt es gute Nachrichten, denn Hastings hat, gemeinsam mit Erin Meyer (The Culture Map: Durchbrechen der unsichtbaren Grenzen des globalen Geschäfts), die Unternehmensgeschichte als Businessratgeber aufgeschrieben. Mit dem vielsagenden Titel No Rules Rules.

Das Buch unterscheidet sich einerseits in vielen Aspekten nicht besonders von anderen nervigen Ratgebern aus der Silicon-Valley-Sparte. Das Scheitern seines ersten Start-ups wird von Hastings als superwichtige Lernerfahrung beschrieben. Ob das seine damaligen Angestellten, die ihre Jobs verloren haben, auch so sehen? Jedenfalls kam laut Hastings dann der Erfolg. Und der habe nichts damit zu tun, dass Hastings mit seiner Streamingidee zur richtigen Zeit (Internet für alle) am richtigen Ort (Silicon Valley) gewesen ist, sondern nur mit seinem Führungsstil, den Hastings selbst als brillant klassifiziert.

Faktisch kommt dieser „Stil“ vor allem darin zum Ausdruck, möglichst viele Mitarbeiter zu feuern, damit die, die im Unternehmen verbleiben, so viel Angst haben, dass sie zu „Highperformern“ mutieren, wenn sie es nicht schon vorher gewesen sind. Eine andere Methode ist die Feedback-Schleife, die eher an Mobbing erinnert. Oder der Umstand, dass es keinen geregelten Urlaub gibt und jeder eigentlich so viel Urlaub nehmen kann, wie er möchte – mit dem Ergebnis, dass (fast) niemand mehr Urlaub macht. In Interviews mit Hastings’ Co-Autorin Erin Meyer schildern Angestellte dann auch eindrücklich die Angst, die sie dort empfanden und noch immer empfinden – natürlich kommt dieses Gefühl in dieser Darstellung oft sehr gut weg.

Netflix hat im Gegensatz zu Amazon kaum Angestellte – 9.000 sind es wohl weltweit. Warum sollte uns das Arbeitsklima dort trotzdem beschäftigen? Weil Start-up-Gründer weltweit und auch hierzulande auf der Suche nach der nächsten Million genau dieses Klima aus Angst, Druck und Unsicherheit etablieren, um zu Erfolg zu kommen. Und weil wir das nicht zulassen sollten.

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