Erinnerung Das Journal „Ruhm am Nachmittag“ zeigt Karl-Markus Gauß als großen Prosaiker deutscher Sprache - eine Geschichte ohne Anfang, Ende und Helden
Ein größerer Teil der Bücher von Karl-Markus Gauß besteht aus Tagebuchnotizen und Aufzeichnungen. Er pflegt somit eine Form des Erzählens, der man die literarische Anerkennung lange verwehrt hat und die noch immer unter Verdacht steht, nicht dieselbe Kunsthöhe wie der Roman zu erreichen. Wie unsinnig das ist, zeigt gerade Gaußens neues Journal Ruhm am Nachmittag. Nicht nur ist dieser Autor einer der größten Prosaiker deutscher Sprache; den Leser zu einem lustvollen macht eben seine elastische Tagebuchform, die ermöglicht, in stetem Fluss Begriffenes, die äußere und die innere Realität, darin einzuspannen. Ruhm am Nachmittag erzählt, unseren Zeitläuften angemessen, eine Geschichte ohne Anfang, Ende und Helden.
Einige
de und Helden.Einige Journaleinträge zeugen von Gaußens tiefer Verehrung für Autoren wie Boris Pahor oder Paul Parin, welche die Kunst des Erzählens mit einem aus den blutigen Erfahrungen des letzten Jahrhunderts erwachsenen Humanismus verbinden. Das Buch, wie ein Musikwerk komponiert, ist mit Kontrapunkten durchsetzt, mit Anmerkungen zu Schriftstellern anderer Sorte. Einer davon ist E. M. Cioran, dessen Weg vom glühenden Anhänger Hitlers zum zur Vernunft bekehrten Philosophen und Stilisten französischer Sprache Gauß nachzeichnet. Und herausarbeitet, dass es in Ciorans Denken eine gewisse Konstanz gibt: in ähnlicher Weise wie vor 1945 die Juden mache er nach dem Krieg den Menschen an sich verächtlich, sehne, damit auf Zustimmung großer Kreise stoßend, dessen verdientes Ende schreibend herbei.Karl-Markus KrausSchon der Titel zeigt an, dass ständig der Tod vorkommt in diesem Journal. In ihm klingt ein anderer Titel mit: der von Ernest Hemingways Buch Tod am Nachmittag, einer existentiellen Deutung des Stierkampfes. Was es mit dem „Ruhm am Nachmittag“ auf sich hat, davon zeugen laut Gauß Ereignisse wie jenes in Winnenden, wo ein junger Mann 16 Schüler und anschließend sich selber erschoss. Kein verrücktes Handeln, gibt der Schriftsteller zu bedenken, sondern eines mit Kalkül. Einige derjenigen, die keine andere Möglichkeit dazu erkennen, sähen das Morden als geeignet an, jenen medialen Ruhm zu erlangen, der in unserer Gesellschaft als hohes Gut gilt. Winnenden, so betrachtet, bringt die Albtraumseite, das Verdrängte jenes weit verbreiteten Denkens an den Tag, wonach alle Mittel recht sind, um (medialen) Erfolg zu mehren.Gauß schreibt sie nicht auf, lässt sie mittels der Montage seiner Einträge aber aufblitzen: die Frage, welche Rolle der Schriftsteller heute wohl bekleiden könnte. Zu den in Ruhm am Nachmittag ins Werk gesetzten Antworten gehört die Reaktion auf eine Meldung, wonach ein FPÖ-Landesrat den Direktor des jüdischen Museums von Hohenems als „Exiljuden“ bezeichnet habe, dem Einmischungen in Österreichs innere Angelegenheiten nicht zustünden. Sogleich trägt Gauß eine ausführliche und einfühlsame Passage über den Schriftsteller Richard Bermann ein, der 1938, zuvor von Nationalsozialisten gefoltert, aus Wien in die USA floh, wo er bald an Auszehrung starb – das österreichische Schicksal eines „Exiljuden“. Öfter entlarvt Gauß, in der Nachfolge eines Karl Kraus, gedankenlose oder brutale Willkür im Sprachgebrauch.Überdies wird er nicht müde, sich an der Anstößigkeit österreichischen Lebens zu reiben. So etwa schreibt Gauß über den ehemaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, dessen einzige, zweifelhafte Gratifikation bestünde darin, einen neuen Typus des Korruptionisten in hohe Ämter gehievt zu haben, einen Menschenschlag, der ohne Hemmung staatliche Institutionen ausweide und sich selbst bereichere.Verdienstvoll stellt die Chronik plastisch dar, wie Gedankengut, das in den höheren, von der vermeintlichen Elite besetzten Rängen der Gesellschaft kultiviert wird, sich in der alltäglichen Lebenswelt niederschlägt. Da findet die im Zeichen der Gewinnmaximierung sanierte Post für einen erkrankten Briefträger keinen Ersatz, sodass eine Zeit lang keinerlei Sendung ihren Salzburger Empfänger mehr erreicht. Da ist ein Fernsehformat ein ins Endlose verlängerter Konkurrenzkampf zwischen Auszubildenden, deren Lohn eine unterbezahlte Lehrstelle in irgendeiner Klitsche ist.Johann Peters HoffnungMit alledem ist der Antrieb des Erzählens, wie Karl-Markus Gauß es betreibt, noch nicht erfasst. Er mag sich erschließen, wenn man eine in seinem Buch Die sterbenden Europäer enthaltene Passage heranzieht, vom Beginn der 1990er Jahre, da serbische Gardisten das bosnische Sarajevo belagerten und dabei die alte Nationalbibliothek gezielt in Brand schossen, um Jahrhunderte alte Schriften zu vernichteten, die vom jüdischen und islamischen Anteil an der europäischer Kultur zeugen.Und so ist es die Erinnerung, die das Netz stiftet, welche alle Aufzeichnungen und Erzählungen von Karl-Markus Gauß miteinander bilden. Ihn zu lesen heißt, sich auf eine Reise durch die europäische Geschichte zu begeben. Ereignisse, die vor 70, 100 oder 500 Jahren sich zutrugen, erzählt er mit gleicher Zunge wie Heutiges und prägt so einen weiten Begriff von Aktualität.Zu Zeiten der Aufklärung waren Chronisten wie der verehrungswürdige Johann Peter Hebel von der Hoffnung getragen, ihr Tun hätte einen Nutzen: Dass wie im Erzählten das Vergangene enthalten ist, die Leser das Erzählte behalten mögen, um, es bedenkend, zu Einsichten zu kommen, welche der Verachtung von Menschen durch Menschen Einhalt gebieten könnten.Bei Gauß lebt die Hoffnung weiter. Von seinen Fahrten durch Länder und Bücher bringt er stets etwas mit: bei alten Völkern wie den Aromunen oder Roma, denen man oftmals mit Ressentiment begegnet, entdeckt er Kulturformen, die uns gut anstünden. An einer in dieser Hinsicht bemerkenswerten Stelle lesen wir, die Dichtung der im Brandenburgischen ansässigen slawischen Sorben wechsele von einer Strophe eines Gedichtes zur nächsten die Nationalität, nehme Wörter und syntaktische Möglichkeiten aus dem Sorbischen ins Deutsche herüber, um dann den Austausch in die entgegengesetzte Richtung zu erproben.
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