Der Bruch

Italien Für die Europäische Union ist es existenziell, dass sich ihre Mitglieder den Regeln unterwerfen. Das zeigt auch der Streit mit der italienischen Regierung
Ausgabe 48/2018
Einnahmequellen verzweifelt gesucht
Einnahmequellen verzweifelt gesucht

Foto: Laurent Emmanuel/AFP/Getty Images

Italiens Regierung gilt deutschen Medien derzeit als größte Gefahr für die EU, noch vor Brexit, Trump, Putin oder Flüchtlingen aus Afrika. Der Streit eskaliert, sodass die Kommission ein Verfahren wegen Italiens Haushaltsdefiziten vorgeschlagen hat. Andererseits signalisieren beide Seiten leise Kompromissbereitschaft, die begrenzt bleibt, weil es beiden ums Ganze geht. Sämtliche Widersprüche des Projekts EU verdichten sich.

Gestartet wurde das europäische Einigungswerk gegen die ökonomische Dominanz der USA. Wirtschaftlich hinterließ der Zweite Weltkrieg in Europa nur Verlierer, Amerika und seine Konzerne waren außer Konkurrenz. Die westeuropäischen Staaten schlossen sich daher zusammen, rissen Barrieren für Kapital und Waren zwischen sich ein, um für einen riesigen Binnenmarkt zu sorgen und den USA weltmarkttauglich Paroli zu bieten. Damit war man so erfolgreich, dass die US-Dominanz heute angeschlagen ist. Jene Vorherrschaft wiederherzustellen, ist das Ziel von Donald Trump. Im Kampf gegen diese Offensive werden die Europäer auf ihren ersten Widerspruch zurückgeworfen: als Projekt gegen die Dominanz der USA, das aber auf dieser Dominanz beruht.

Die EU braucht Amerikas Vorherrschaft. Nur die Amerikaner halten mit ihrer Finanz- und Militärmacht das Weltwirtschaftssystem zusammen, was man daran erkennt, dass dieses System ins Wanken gerät, wenn sich die USA nicht länger als Systemgarant definieren, sondern als bloßer Mitspieler, der seinen Vorteil sucht. Das globale Kreditsystem beruht weiter auf der US-Währung, und jeder Versuch, an ihm vorbeizukommen, scheitert, wie die Iran-Sanktionen zeigen. So sind die USA einerseits Hindernis, zugleich Bedingung des europäischen Welterfolgs.

Wenn nun der anstehende G20-Gipfel in Argentinien von der Rivalität zwischen den USA und China beherrscht wird, sollte das für die Europäer heißen, als halbwegs anerkannte Kontrahenten in den Ring zu steigen. Auf sich gestellt wird jedes EU-Mitglied zum bloßen Objekt der Weltmachtkonkurrenz der G2. Nur ist es um die EU schlecht bestellt, hat doch die Finanzkrise zur Scheidung in mächtige Gläubiger- und relativ ohnmächtige Schuldnerstaaten geführt. Für Verlierer wie Italien stellt sich die Frage, ob das Grundversprechen der EU noch gilt. Es bestand darin, dass einerseits Unterwerfung unter gemeinsame Regeln gefordert wird, dies aber andererseits zu größerer weltpolitischer Macht führt. Für die Gewinnerstaaten wiederum stellt sich die Frage, ob die Verlierer tatsächlich einen Zugewinn an Macht darstellen oder bloß eine Last.

Dieser Widerspruch kulminiert im Streit zwischen Rom und Brüssel. Das Problem für die EU ist dabei nicht so sehr, dass Italien die Defizitregeln bricht, sondern dass es deren Geltung in Frage stellt. Da die EU in ihrem Kern ein Regelwerk ist, dem sich die Mitglieder unterwerfen, hängt ihre politische Existenz an dieser Unterwerfung. So umkreisen sich Rom und Brüssel: Italien besteht auf seiner Neuverschuldung und verweist auf höhere Ausgaben – ein Angebot an die EU-Kommission, den Bruch der Defizitregeln als begründete Ausnahme einer weiter geltenden Regel zu verstehen. Die Kommission wiederum besteht auf dem Stabilitätspakt – für sie eine Frage von Leben und Tod. Sosehr die EU derzeit auseinanderstrebt, ist doch ihr Zusammenhalt alternativlos. Dafür geworben wird nicht mehr mit den Vorteilen der EU-Mitgliedschaft, sondern den Gefahren eines EU-Austritts. Das statuierte Exempel heißt Brexit.

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