Josef Bierbichler begriff den politischen Aspekt der ZDF-Ästhetik wohl instinktiv, als einmal die Literatursendung Das blaue Sofa anrückte. Der Schauspieler und Autor weigerte sich, auf dem titelgebenden Möbelstück Platz zu nehmen; stattdessen nahm er einen Gartenstuhl: „Ich mag keine Talkshows.“ Kultur und Gemütlichkeit kommen in Bayern vielleicht auf einer hölzern-harten Bierbank zusammen – aber niemals auf einer Couch, die die Biedermeier-Heimlichkeit fortschreibt, selbst wenn sie quer durchs Land gekarrt wird, um Mobilität auszustrahlen.
Das blaue ZDF-Sofa ist nicht das einzige Sitzmöbel, dessen Reisen eifrig dokumentiert werden. Da wäre noch der Kulturmanager Oliver Scheytt, Mitglied des „Kompetenzteams“ von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und als solches zuständig für Kunst und Kultur. Scheytt tourt gerade mit einem roten Klappstuhl durch die Wahlkampf-Republik: Wer möchte, kann sich auf das praktisch-nüchterne Stück setzen und der Kamera erzählen, warum Kulturpolitik wichtig ist und was sich kulturpolitisch ändern muss. Der zugehörige Youtube-Kanal, der bislang eher karge Klickzahlen aufweist, heißt wie die Aktion: „Worte für den Wechsel“. Der Slogan steht auf der Lehne des Stuhls; auf einer Querstrebe unter dem Sitz liest man die Internetadresse kulturund-politik.de. Beide Schriftzüge werden im Video-Vorspann hektisch herangezoomt. Das wirkt dynamisch. Oder soll es wenigstens.
Scheytt ist kein Geisteswissenschaftler, sondern Jurist, allerdings mit reicher Erfahrung im Kulturbereich. Sein Herzensanliegen, wenn man es so nennen darf, ist der „aktivierende Kulturstaat“. Das klingt fast wie das Hartz-IV-Diktum „Fördern und Fordern“, meint aber vorerst die Demokratisierung kultureller Aktivitäten. Mit dem roten Wahlkampfstuhl klappt das immerhin schon ganz gut: Jeder, der ein Statement abgibt, bedient sich des Möbels auf andere Weise: Einer setzt sich verkehrt herum darauf, eine stützt sich mit der Hand auf die Lehne.
Nur Peer Steinbrück, der die Aktion „spitze“ findet, kloppt zwar dagegen, fasst das Ding aber ansonsten nicht an. Deshalb muss Oliver Scheytt es dienstfertig in die Kamera halten. Steinbrücks Aufforderung an alle potenziellen Stuhlbesetzer: „Ihr dürft uns auch einen einschenken!“ Er meint das freilich metaphorisch, ähnlich wie sein Münchner Kollege Christian Ude, der auf seinen Plakaten das Wort „Wort“ in der Hand hält, um dem Wechsel das Wort zu reden.
Theoretisch könnte Oliver Scheytt im Herbst die Nachfolge jenes Bernd Neumann als Kulturstaatsminister antreten, der ebenfalls für seine Wörterlust bekannt ist: Im Herbst 2009 ließ er eine Legende in der Dresdner Ausstellung Fremde? Bilder von den,Anderen‘ in Deutschland und Frankreich seit 1871 ändern, die behauptete, Europa dichte seine Grenzen gegen Flüchtlinge ab. Die neue Fassung: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert staatlicherseits die Integration von Zuwanderern in Deutschland.“ Vielleicht sollte Bernd Neumann auch einmal versuchen, wie es sich anfühlt, ein Wort nicht nur auszusprechen, sondern auch zu halten. Politik ist schließlich ungemütlicher als ein Talkshow-Sofa.
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