Nur Vonovia ist größer: Die Deutsche Wohnen ist im Zuge einer vom Management betriebenen aggressiven Wachstumsstrategie zum zweitgrößten Immobilienunternehmen in Deutschland geworden. Rund 70 Prozent ihres Immobilienbestandes liegen im Großraum Berlin, wo sie eine marktbeherrschende Stellung innehat, wenn es um die Verteilung und Bepreisung knappen Wohnraums geht. Kaum ein anderer Konzern steht dabei so sehr im Kreuzfeuer der Kritik von Mieterinnen und Mietern.
Die Verkäufe von Werkswohnungen durch den Chemiekonzern Hoechst AG und der „Heimstätte“ des Landes Rheinland-Pfalz an die Deutsche Bank waren 1996 der Gründungsakt für den heutigen Immobilienkonzern. Zukäufe der öffentlichen Wohnungsunternehmen GEHAG und GSW in Berlin kamen hinzu. Die Politik verscherbelte öffentliches Eigentum, und Konzerne wie Hoechst setzten seit den 1990ern im Sinne eines Shareholder-Value-Denkens auf Outsourcing oder Verkauf von Werkswohnungen, weil sie diese nicht mehr als zum Kerngeschäft gehörend betrachteten. Die Deutsche Wohnen hat heute stolze 16 Milliarden Euro in Immobilien im eigenen Unternehmen an Finanzinvestitionen angelegt. Das entspricht 95,2 Prozent ihres gesamten Vermögens.
Eigentümer der Deutsche Wohnen ist längst nicht mehr die Deutsche Bank. Das Unternehmen befindet sich heute mit gut 337 Millionen ausgegebenen Aktien in breitem Streubesitz. Größte Aktionäre sind die Investmentfirma Sun Life Financial Inc./Massachusetts Financial mit knapp zehn und der weltgrößte Finanzfonds Blackrock mit rund acht Prozent. Seit 2006 ist die Deutsche Wohnen an der Börse. Im MDAX erreichte die Aktie bisher stark volatile Werte zwischen 59 und 4,59 Euro. Der Preis je Aktie liegt zurzeit bei circa 35 Euro. Damit würde bei gut 337 Millionen Aktien eine Marktkapitalisierung von etwa 11,8 Milliarden Euro vorliegen.
33 Millionen musste das Unternehmen ausgeben, um den Versuch einer feindlichen Übernahme durch Vonovia abzuwehren. Ein Grund für dieses Begehren ist die prächtige Profitentwicklung der Deutsche Wohnen: Profitraten im hohen zweistelligen Bereich sind für Immobiliengesellschaften ungewöhnlich. Von 2012 bis 2016 betrugen die kumulierten Gewinne vor Ertragsteuern satte 5,7 Milliarden und nach Steuern 4,1 Milliarden Euro.
Spekulation und Profit
Bei 1,6 Milliarden Euro an gezahlten Steuern lag die jahresdurchschnittliche Steuerquote bei 28,1 Prozent. Im Profit vor und nach Steuern sind allerdings beträchtliche Buchgewinne aus einer Fair-Value-Anpassung der Immobilienbestände enthalten, das bedeutet konkret: Steigende Mietpreise auf dem Berliner Wohnungsmarkt verschafften der Deutsche Wohnen höhere Werte in ihren Büchern. Zudem machen das Null-Zins-Niveau und die an internationalen Finanzmärkten überreichlich vorhandene Liquidität Immobilien zu einer beliebten spekulativen Anlageform für Vermögende.
Das Management der Deutsche Wohnen setzt schon seit längerem fast nur noch auf sogenannte Core-plus-Regionen, in denen ein erhebliches Potenzial für weitere Mietpreissteigerungen vermutet wird. Dort will der Konzern in den nächsten Jahren rund eine Milliarde Euro investieren sowie eine weitere halbe Milliarde in Neubauprojekte fließen lassen. Nicht mehr als strategisch wertvoll eingestufte Wohnungsbestände in „Core“- und „Non-Core“-Regionen bleiben dagegen auf der Strecke, hier heißt die Devise Desinvestition: Der Konzern versucht die Wohnungen an andere Firmen zu verkaufen oder sie den Mietern zum Kauf anzubieten. Beides verursacht bei Letzteren Stress. Die Wohnung ist für Menschen ein Gut der Daseinsfürsorge und lässt sich im Gegensatz zu anderen Gütern nur schwer substituieren. Zudem ist die Nachfrage nach Wohnraum weitgehend preisunelastisch: Kommt es zu Nachfrageüberhängen und die Angebotsseite wird von wenigen großen Unternehmen beherrscht, dann sind Mietpreissteigerungen ohne adäquate Gegenleistungen und damit der Ausbeutung der Mieter keine Grenzen gesetzt.
Dagegen gibt es Widerstand in der Hauptstadt: Mieter aus sieben Bezirken haben das „Bündnis der Deutsche Wohnen MieterInnen Berlin“ gegründet, demonstrieren gegen vernachlässigte Instandhaltungen, die Missachtung des Mietspiegels oder besuchen die Anhörung, zu der die rot-rot-grünen Regierungsfraktionen Vertreter des Konzerns jüngst ins Abgeordnetenhaus vorgeladen hatten.
Des Weiteren gibt es viel Stress mit den Beschäftigten. Im Dezember 2016 titelte die Gewerkschaftszeitschrift Mitbestimmung: „Immobilienkonzern verbreitet Angstkultur“. Dagegen glaubt das Management, die Deutsche Wohnen „als attraktiven Arbeitgeber in der Immobilienbranche etabliert zu haben“. Mehr als 2.300 Menschen beschäftigt der Konzern, doch nur 160 davon arbeiten neben 42 Auszubildenden und Studenten bei der Holdinggesellschaft des Immobilienriesen, der Deutsche Wohnen AG mit Sitz in Frankfurt am Main.
Ein Job für Wolfgang Clement
Durch eine Zerschlagung in viele kleine GmbHs und Tochtergesellschaften verhindert das Management bewusst die Etablierung einer unternehmensbezogenen Mitbestimmung. Zwar gibt es einen sechsköpfigen Aufsichtsrat, dieser besteht aber nur aus Kapitalvertretern. Einer davon ist der ehemalige SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement. Derzeit läuft die Umwandlung des Konzerns in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE), was die Mitbestimmung durch Beschäftigtenvertreter in einem Aufsichtsrat wohl endgültig verbaut.
Der Konzern werde, so eine ehemalige Führungskraft, vom Vorstandschef Michael Zahn „autoritär“ und „sehr hierarchisch“ geführt. Zahn bekam 2016 für seine Vorstandstätigkeit 2.082.000 Euro ausbezahlt, etwa das 70-Fache des durchschnittlichen Jahresarbeitsentgeltes eines abhängig Beschäftigten der Deutsche Wohnen.
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