Korrespondenz Der Autor Christian Kracht und der Komponist David Woodard sind Brieffreunde. Nun ist der digitale Dialog der beiden in englischer Sprache erschienen
Christian Kracht ist wieder mal verschwunden. Pünktlich zur Veröffentlichung von Five Years steht der Autor für Interviews, Statements und sonstige Anfragen einfach nicht zur Verfügung. Er würde einen Hiatus, eine selbstauferlegte Auszeit, nehmen, wurde einem knapp von Johannes Birgfeld mitgeteilt. Der Literaturwissenschaftler Birgfeld ist gemeinsam mit Kollege Claude D. Conter Herausgeber der Korrespondenz zwischen Christian Kracht und David Woodard. Der erste Teil des Briefwechsels, der die Jahre 2004 bis 2007 umfasst, ist soeben erschienen.
Five Years dokumentiert auf 243 Seiten die Entwicklung vom bloßen beruflichen Briefwechsel, einem langsamen Herantasten an den anderen, hin zu einem regen Austausch zwischen Kracht und Woodard, welcher sich vor allem aus
welcher sich vor allem aus der gemeinsamen Avantgarde-Attitüde speist. Die beiden sprechen sich Lob und Respekt für ihr Œuvre aus, diskutieren die Rezeption desselbigen, planen gemeinsame Reisen, wie etwa in die ehemalige Kolonialsiedlung Nueva Germania oder zu Aleister Crowleys postsatanistischer Abtei in Cefalú. Eindrucksvoll ist vor allem der Einblick in verschiedene Künstlernetzwerke oder in die Schreibwerkstatt Kracht-Woodard. Diese öffnet ihre Pforten zum Beispiel dann, wenn die beiden Autoren seitenlang an wenigen Zeilen eines gemeinsamen Artikels feilen.Scheinbare IntimitätDie Idee zur Veröffentlichung des Briefwechsels kam erst im Jahr 2007 auf. Doch trotzdem sucht man allzu Privates, abgesehen von einigen wenigen Perioden des Selbstzweifels, meist vergebens. Gegenstand ist also weniger die „echte“ Freundschaft zwischen zwei Männern im gleichen Alter mit ähnlichen Interessen, sondern vielmehr das Sujet Kunst in allen seinen Irrungen und Wirrungen. Eine Konsequenz daraus ist die Ästhetisierung des Textes: Die höflichen Anrede- und Abschiedsformeln werden stets variiert und überbieten sich jeweils in Sympathiebekundungen für den anderen. Ähnlich: das Spiel mit popkulturellen Zitaten und deren Variationen in der Betreffzeile der E-Mails, über welches ein seitenlanges Personen- und Titelregister am Ende des Buches genauere Auskunft gibt.Dazu passt wiederum die von Kracht kultivierte Referenztechnik in seinen Werktiteln. Mit Five Years wurde ausgerechnet der Titel eines David Bowie-Songs gewählt. Wenn man David Bowie als denjenigen in Erinnerung hat, der sich mit jedem Album neu erfand, sich ein neues Alter Ego zulegte, dann ist Kracht ja so etwas wie der David Bowie des Literaturbetriebs. Im Bowie-Song von 1972 ist vom Untergang der Menschheit in den nächsten fünf Jahren die Rede – und wie sollte es anders sein, verweist das D.-H.-Lawrence-Zitat zu Beginn des Briefwechsels auf eine Szene, in der eine Schlange die schlafende Menschheit erwürgt.Natürlich dokumentiert die Korrespondenz unter dem Deckmantel der scheinbaren Intimität eines Briefwechsels dann doch hin und wieder Einblicke ins Private. Etwa, wenn die schöngeistigen Freunde Kracht und Eckhart Nickel sich zwischenzeitlich scheinbar voneinander entfernen, Kracht immer mehr mit Woodard anbandelt und auch der kürzlich verstorbene „new journalist“ Marc Fischer eine Rolle spielt.Oder dann, wenn, zumindest scheinbar, über die eigene Außenwirkung reflektiert wird. Die vermeintliche Homosexualität zu den Hochzeiten des Dandyismus in Krachts Werken kommt ebenso zur Sprache wie nachdenkliche Gedanken über die harsche Kritik für das Hirngespinst, die arische Kolonie Nueva Germania im paraguyanischen Dschungel wiederaufzubauen. Das Interview, welches Kracht und Woodard 2007 der neofolkloristischen Zeitschrift Zwielicht zu dieser Idee gaben, brachte beide gefährlich nahe in Richtung der Neuen Rechten.Die nicht erzählte Vorgeschichte der Künstlerfreundschaft liegt jedoch in einer anderen Korrespondenz: der einer frustrierten Kundin mit einem digressierenden Manufakteur. Letzterer ist David Woodard, der mit einem Nachbau der von Brion Gysin erfundenen Dream-Machine (nur eine von Woodards vielen Nebentätigkeiten) nicht fertig wurde. Als frustrierte Kundin agiert die Autorin Nika Scheidemandel, welche einen des Wartens auf Godot gleichen Artikel über David Woodard schrieb. Dieser Text wiederum sollte in Christian Krachts zusammen mit Eckhart Nickel herausgegebener Literaturzeitschrift Der Freund erscheinen.Der Freund, in dem Woodard von nun an ab und zu veröffentlichen würde, bildet nur eines der vielen Puzzlestücke in Krachts großem Projekt: die Selbstinszenierung, die Verschmelzung von Leben und Werk und die stetige Dekonstruktion der Wahrheit um seine Person. Aus dem vermeintlichen Popliteraten-Beau mit ironischem Einschlag (Faserland) wurde der moralisierende Zeitgeistpoet (1979) wurde der politisierende Schönschreiber (Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten).Performativ erzeugte IrreDie Veröffentlichung dieses Briefwechsels ist nun ein weiterer Zug innerhalb dieses postmodernen Verwirrspiels. Denn die Erwartung des Lesers, neben der reinen Neugier, endlich etwas über die sogenannten wahren Beweggründe der Autoren, über einen Sinn, einen etwaigen Kern ihres Werks zu erfahren, wird wiedermals unterlaufen.Wie lautet denn nun die Moral, von der Kracht immer im Zusammenhang mit seinem Romanwerk spricht? Wo bleibt die Aufklärung gegenüber den Vorwürfen der Presse, die Kracht und Woodard ins Lager der Neuen Rechten steckt? Auf welcher Grundlage basieren die angegangenen Projekte, die Begeisterung für Nueva Germania, für Kim Jong Il? Diese Antworten kann und will der Text natürlich nicht liefern. Jedoch werden diese Reizthemen auch in Five Years angesprochen – aber die Autoren schweben nur um sie herum, changieren das Brenzlige und Heikle im vagsten Sinne. Es ist mehr ein ästhetischer, als ein aufklärerischer Ansatz.Beim Lesen des Briefwechsels wird, leise, klar: Diese Fragen tauchen nicht auf, da sie eben nicht in den Denkkosmos der beiden Ästheten gehören. Es ist fast so, als ob sich Kracht und Woodard unausgesprochen auf die Interviewaussage Krachts verständigen würden, dass man über Inhalte nicht mehr sprechen, respektive schreiben dürfte. Im Klappentext fragt der Musikkünstler Momus, was die Freundschaft der beiden eigentlich ausmacht. Vielleicht ist es genau diese unausgesprochene Verständigung darüber, dass der Bereich des Unexpliziten und Vagen nicht verlassen werden sollte.Bereits im Vorwort von Johannes Birgfeld und Claude Conter wird darauf hingewiesen, dass der Briefwechsel „als Dokument hohl“ sei. Was im wahrsten Sinne zwischen den Zeilen liegt – oftmals Monate des Verschwindens – muss mitgedacht werden. Um den Text mit all seinen Querverweisen, Andeutungen und seinem Insider-Wissen zu verstehen, bedarf es einer genauen Kenntnis der Vita. Zu kryptisch sind mitunter die Wortwechsel, zu ungenau die Hinweise darauf, was abseits des Mailverkehrs geschieht. Selbst wenn man die Schablone Five Years an die Künstlerkarrieren Krachts und Woodards anlegt, entwischen die beiden wieder und führen einen in die performativ erzeugte Irre. Dem Leser bleibt die rein genüssliche Lektüre.Five Years. Briefwechsel 2004 – 2009, Vol. 1Christian Kracht, David Woodard Wehrhahn 2011, 264 S., 19,80 €
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