Alexander Abusch hat sie nie bekommen, die Ernst-Moritz-Arndt-Medaille. Mit dem Orden wurden in der DDR verdiente Kulturschaffende ausgezeichnet, Johannes R. Becher etwa. Dabei wäre Abusch, der 1933 nach Paris geflohen und in Südfrankreich und Mexiko im Widerstand engagiert war, als langjähriger Spitzen-Kulturpolitiker der DDR formal durchaus für sie in Frage gekommen.
Es wäre aber auch zu komisch gewesen, den Mann mit dem Konterfei eines Literaten zu dekorieren, der im 19. Jahrhundert gegen Napoleon mobil machte, die Reinhaltung des deutschen Volkes von jüdischen Elementen forderte und mindestens ein Judenpogrom gerechtfertigt hat. Schon 1946 hatte Alexander Abusch in seinem fulminanten Abrechnungsbuch Von Luther zu Hitler einen großen Bogen der deutschen Geistesverwirrung geschlagen und dabei – dem in den Neunzigern diskutierten David Goldhagen teils nicht unähnlich – gerade den Antisemitismus erbarmungslos vom 16. bis zum 20. Jahrhundert durchgezeichnet. An Arndt ist er dabei nicht vorbeigekommen.
Ernst Moritz Arndt ist der deutsche Janus schlechthin. Ein Dichter und Denker, der sowohl vom Nazistaat als auch von der DDR und den konservativen Milieus der Bundesrepublik beansprucht wurde und wird. Der Westen beschwört seinen Geist bis heute in Gestalt der Ernst-Moritz-Arndt Plakette des Bundes der Vertriebenen, welche Leute wie den Schlesier-Funktionär Paul Latussek schmückt.
Welle der Kontinuität
Dass sich auf dieser Welle seltsamer Kontinuität gut surfen ließ, zeigt die Geschichte des Walter Glawe. Der Religionshistoriker aus Greifswald antichambrierte 1933 so lange, bis Ministerpräsident Hermann Göring der Uni den Namen des geborenen Rüganers „verlieh“. 1949 ging der Vorkriegs-Chef des lokalen Stahlhelms in die SED – um sein Arndt-Lobbying unverzüglich fortzusetzen. 1954 schließlich mit Erfolg: Die Uni nahm den zuvor nicht benutzten Namen wieder auf; diesmal ging die Ehre an den „bürgerlichen Demokraten“ Arndt, der hauptsächlich gegen Leibeigenschaft und für „nationale Befreiung“ agiert habe.
Und dieser Tage könnte sich Glawe noch einmal freuen. Arndt wird der Hansestadt nicht nur auf dem Rubenow-Denkmal erhalten bleiben, sondern wohl auch als Patron der Universität. Auch wenn Senatspräsidentin Maria Theresia Schafmeister eine nun mit 1.200 zu 1.400 gescheiterte studentische Urabstimmung für eine Ablegung des Namens als „unentschieden“ wertet: Die Senats-AG zur Namensfrage, die ihr Urteil im März verkünden will, hat jetzt gute Argumente für ein weiter so.
Auch zum heutigen System hätte Glawe mit Arndt also seinen Zugang gefunden. Abusch dagegen, Kommunist seit 1919, musste seine geistesgeschichtliche Generalabrechnung von 1946 bereits in der Frühphase der DDR praktisch widerrufen. Das „bürgerliche“ Entsetzen, das aus Von Luther zu Hitler spricht, war in der Stalinzeit des „Kosmopolitismus“ verdächtig. Es ist kein Zufall, dass auch Abusch ab 1950 zwischenzeitlich im mit antisemitischen Tönen spielenden Paul-Merker-Prozess verschwand, bevor er dann doch in der DDR-Kulturpolitik Karriere machen durfte.
Vollendung statt Bruch
Es werden nach dem Krieg nicht wenige Abuschs aus Exil, Zuchthaus und Lager gekommen sein – doch schnell verstand sich die DDR nicht mehr als Bruch mit der Geschichte, sondern als Vollendung deren angeblich bester Elemente. Was mit Arndt begann, endete um 1980 mit der Eingemeindung Friedrichs II. Wem die DDR da ein Bündnisangebot machte, zeigt die „Patenin“ der Arndt-Medaille: Die „nationaldemokratische“ Blockpartei NDPD, die den Deutschnationalen Heimat geben sollte.
Der frühe Schwenk von Abusch zu Arndt, vom offiziellen Abrechnen zum Integrieren, hatte Folgen. Nie in der jüngeren Geschichte wurde so inflationär über das „Nationale“ geredet wie in der DDR, wo man sich dank Klassenlage automatisch auf der historisch richtigen Seite befand und eine „Aufarbeitung von unten“, wie sie die Bundesrepublik nach 1968 gesehen hat, in geringerem Maße stattfand. Noch nach 1990 kam es etwa in der PDS stets zu Auseinandersetzungen, wenn es um Nation und Heimat ging. Auch im Greifswalder Arndt-Streit geht der Graben mitten durch die Linkspartei: Die Älteren wehren sich teils wütend gegen die Umbenennung. Hartmut Bräsel, der letzte DDR-Vertreter in Kabul, hat sich gar öffentlich mit den Arndt-Unterstützern aus dem RCDS solidarisiert.
Der Antisemitismus ist heute im Osten verbreiteter als im Westen. Insofern kann die Debatte um Arndt gerade im rechten Vorpommern so geführt werden, wie es Timo Reinfrank von der Antonio-Amadeu-Stiftung bei einer Podiumsdiskussion im vergangenen Juni gefordert hat: Als Auseinandersetzung über den Antisemitismus und seine Bearbeitung in der DDR. Man muss nur im Hinterkopf behalten, dass ein Umzug jederzeit möglich wäre. Zum Beispiel in die schmucke Aula des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums zu Bonn, der Rennomierschule des bundesstädtischen Bildungsbürgertums.
Kommentare 9
Die Kritik am pommerschen Romantiker Arndt hat etwas Kleinbürgerlich-provinzielles. Denunziation an einem Toten, Polarisierung, Missbrauch von literarischen Werken als Gesinnungsrede, Literaturanalyse auf dem methodischen Stand von 1915. Schrecklich!
Es ist ziemlich lächerlich Arndt einer demokratischen Gesinnungsprüfung durch Studenten zu unterziehen. Insbesondere, da eine Universität sich weit mehr eine Grauheit leisten darf, ja sich befreien sollte von jedem Verdacht einer politischen Linientreue und Langeweile. Daraus spricht für mich der Geist des Obrigkeitsstaates, der gerade einer solchen Universität nicht anheften darf.
Arndt ist vor allen Dingen ein Gegner Napoleons, des ersten modernen Tyrannen. Das ist sehr spannend und nicht langweilig. Mancher seiner Kollegen hat sich damals weitaus bedeckter gehalten.
Lieber Velten Schäfer,
wie Sie vom kulturhistorischem Grunde her Ihren Stachel gegen den "Geistes- Giganten", Ernst Moritz Arndt, mit allerlei geistigem Unrat, nationalem Unfug, gemäß seiner Zeit, im Tornister, löcken, will mir wohl gefallen.
Doch Ihre Schlussfolgerung im Umgang mit Denkmälern, Namensgebungen mag ich, wie hier, im Fall von Ernst Moritz Arndt und der Greifswalder Universität, gar nicht teilen.
Warum?,
weil für mich Denkmäler, siehe das gigantomanische Reichskanzler Otto von Bismarck Denkmal in Granit, als Roland,
als Schutz- und Trutrzherr der Hanseaten Kaufmanns- , Reeder- und Bankergilde, barhäuptig mit Schwert am Stintfang Berg zu Hamburg an der Elbe "Aua Auen", nicht zu allererst Erhebungen hochstehender Sinne für Verehrung, Anbetng, gar Bekehrung sind, sondern Stolpersteine, die in jeder Hinsicht zu denken geben, dass auch die gegenwärtigen Verhältnisse in Deutschland, Europa nicht vom Himmel gefallen, sondern über allerlei entsetzliche Irr- und Umwege im ZickZack, nicht nur debattenstark und -freudig, ausgefochten sind.
Als zündendes Beispiel für den Freigeist im Tornister von Bundeswehrsoldaten/innen bei Auslandseinsätzen und daheim,kann ich gemäß Innerer Führung "Soldat/in als Bürger/in in Uniform", gemäß den prinzipien des verstorbenen Bundeswehrgenerals Graf von Baudissin, kann ich folgenden text von Ernst Moritz Arndt (1769- 1860), siehe Anlage, nur wärmstens empfehlen (s. www.wikepeda.de)
tschüss
JP
Anlage:
Ernst Moritz Arndt (1769- 1860)
Über Krieg, Soldaten bzw. das Verhalten der Soldaten schreibt er:
„Denn der Krieg ist ein Übel und die Gewalt ist das größte Übel.“ (Soldaten Katechismus, S.32)
„Wer das Schwert trägt, der soll freundlich und fromm sein wie ein unschuldiges Kind, denn ich ward ihm umgürtet zum Schirm der Schwachen und zur Demütigung der Übermütigen. Darum ist in der Natur keine größere Schande, als ein Krieger, der die Wehrlosen misshandelt, die Schwachen nöthet, und die Niedergeschlagenen in den Staub tritt.“ (Katechismus, S.31)
„Ein solcher Soldat, der räuberisch, hartherzig und grausam ist, heißt mit Recht viel schlechter als ein Straßenräuber und sollte wie andere Schandebuben mit Galgen und Rad bestraft werden. Denn er entehrt den heiligen Stand des Bürgers und macht Stärke und Mut, welche die Menschen beschirmen sollten, zu ihrem Fluch“ (Katechismus, S.34)
Neben der Schrift "Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen", die gegen die dortige Leibeigenschaft gerichtet ist, ist diese Schrift eine der wichtigsten und seine Aussagen, die darin enthalten sind, waren damals revolutionär
"Der Antisemitismus ist heute im Osten verbreiteter als im Westen."
Worauf stützt sich denn diese These? Ich kenne andere, die sagen,dass er im Westen viel häufiger - und natürlich - ein bisschen verdeckter anzutreffen
ist.
Das müssten Sie schon belegen, wenn Sie es behaupten.
Über den Antisemitismus von Dichtern, Schriftstellern aus den verschiedensten Epochen könnte man immer wieder etwas Neues finden. Bei Fontane kommt er vor, bei Thomas Mann ziemlich deutlich, auch noch andere wären zu nennen.
Er gehört zur Zeitströmung und ist ganz sicher kritisch zu werten. Ich fände es besser, einen Namen - in seiner Widersprüchlichkeit - beizubehalten.
Dass die Rezeption der Werke und Verdienste historischer Gestalten in der DDR auch immer von politischen Interessen geleitet war - Du liebe Güte.
Wo ist sie das nicht. In der DDR war das nur alles leichter identifizierbar, heute unter neuen Bedingungen läuft es unterschwelliger.
"Kritik am pommerschen Romantiker hat etwas Kleinbürgerlich-Provinzielles."
"Es ist lächerlich, Arndt einer Gesinnungsprüfung zu unterziehen."
Arndt schreibt ja nur gegen Napoleon, "den ersten modernen Tyrannen".
Ja, träume ich?
Der pommersche Romantiker schreibt in "Über den Volkshass" (1813): "Wir sollen die Franzosen nicht allein wegen dessen hassen, was sie uns in den letzten zwanzig (!) Jahren Übles getan haben, nicht wegen der Greuel und Schanden allein, wodurch sie in den letzten acht Jahren unsere heilige Erde entheiligt haben; nein, wir sollen sie hassen, weil sie schon über drei Jahrhunderte unsere Freiheit hinterlistig belauert haben ... Im allgemeinen ist die Frage töricht, welches Volk besser sei ..., so wie es töricht ist, wenn ich frage: ist die Eiche besser als der Dornbusch, die Distel als der Rosenstrauch. Wie wenn es den Disteln einfiele, sich mit den edlen Kindern des Rosenbusches vermählen zu wollen? ... Ich will den Hass gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für lange Zeit, ich will ihn für immer ..." usw. usw.
Welche Gesinnung finden wir bei jemand, der 1814 schreibt:
"Die Juden passen nicht in diese Welt und in diese Staaten hinein, und darum will ich nicht, dass sie auf eine ungebührliche Weise in Deutschland vermehrt werden. Ich will es auch deswegen nicht, weil sie ein durchaus fremdes Volk sind und weil ich den germanischen Stamm so sehr als möglich von fremdartigen Bestandtteilen rein zu erhalten wünsche ... Ein gütiger und gerechter Herrscher fürchtet das Fremde und Entartete, welches durch unaufhörlichen Zufluss und Beimischung die reinen und herrlichen Keime eines edlen Volkes vergiften und verderben kann..." usw. usw.?
Der Prototyp des frühen deutschen Nationalismus und Rassismus, bei dem sich die nationalistischen und rassistischen "Literaturanalytiker" von 1915 sehr gerne bedienten, M. Wolkensieber!
Eine Frage der Dosierung des Giftes. In Deutschland sind wir da heute aus gutem Grunde ausgesprochen sensibel. Jemand aus dem 19.Jh darf natürlich unschuldig über Juden wie über Pfaffen, Polen, Philister, Franzosen schimpfen. Ohnehin ist die Polemik dieser Zeit sehr vielfältig, und Kennzeichen der Progressivität und Emanzipation, der Bewegung in der Gesellschaft.
Die Romantik und die Boheme bedarf immer der Gegenfigur eines Philisters. Das gibt zu Denken, Nachdenken über die Funktion von Feindbildern als soziale Stabilisatoren, was auf die mangelnde (soziale, psychologische) Stabilität des Romantikers verweist.
Total schockierend finde ich wenn bei Oprah Winfrey die Ritualmordlegende erzählt wird oder eine wichtige Zeitung wie der Corriere della Sera solche Dinge kolportiert. Da fragt man sich, in welchem Jahrhundert wir leben.
Ja richtig, 1915. Seitdem haben wir methodisch etwas gelernt, nicht zuletzt durch die russischen Formalisten.
Kontext dieser Äußerungen ist eine Ohnmacht, gegen die irre übersteigerte Machtphantasien entwickelt werden. Die Franzosen von 1915 beispielsweise sind nicht die Franzosen von 1813. Zu Zeiten Arndts gab es überhaupt kein deutsches Volk, dafür viele deutsche Soldaten im Dienst Napoleons, die nach Russland geführt worden waren. Garstige Propaganda, ja, aber ein Schelm, wer sie 1915 aktualisiert.
"Denunziation an einem Toten, Polarisierung, Missbrauch von literarischen Werken als Gesinnungsrede, Literaturanalyse auf dem methodischen Stand von 1915. Schrecklich!"
Keineswegs. Die Literatur- und die Geschichtswissenschaft haben sich der Sache in den letzten 20 Jahren wiederholt angenommen. Und man ist zu der Überzeugung gekommen, dass sowohl Napoleon als auch die Vertreter der deutschen Nationalbewegung deutlich ambivalenter gesehen werden müssen, als das Bild vom "ersten modernen Tyrannen" und seinem "Gegner" andeutet.
Gewaltherrscher und militärische Talente wirken auf den Historiker anziehend, das ist nichts Neues. Dass ihre Irritationen der Weltgeschichte den Weg für die Gegenwart bereiten ist eben eine Einladung, zur Toleranz gegenüber der Vergangenheit. Wenn Literaturwissenschaft nicht "Philologie" ist, sich nicht mit ihrem Gegenstand gemein macht, ist sie seriös. Sie beschäftigt sich mit Sprache und Werken als einer intellektuellen Herausforderung. Die Vorstellung einer linientreuen Vergangenheit, einer nachträglichen Zensur, ist mir ganz zuwider. Das finde ich ganz bevormundend.
Im übrigen haben ich Archivforschung zu einem Schriftsteller betrieben, der von sachlichen Texten bis zu tatsächlich extremistischen und in jeder Hinsicht volkverhetzenden Schriften eine ganze Menge geschrieben hat. Nun haben wir das Problem, dass die Forschung nicht selten auf dem Stand der damaligen Opposition weiter polemisiert. Die ist natürlich "richtig" und gut beobachtet, hilft aber nicht wirklich bei der Analyse. Eine Quellendistanz ist bei Literatur sehr wichtig. Das trainiert man am besten, indem man an dem forscht, was man nicht befördern möchte. Alles andere ist Fraternisieren.