"Fisch macht sexy“. Mit diesem Spruch wirbt die Restaurantkette Nordsee und zeigt anstelle von Lachsbrötchen einen nackten Frauenkörper. Dass es auch eine männliche Variante der Anzeige gibt, macht die Sache nicht gerade besser. Zu finden ist die Kampagne mit der nackten Frau in zahlreichen deutschsprachigen Medien – auch auf dem Onlineportal diestandard.at, dort allerdings nicht unverändert. Mitten auf dem Bild leuchtet eine knallgelbe Zitrone. Der beigefügte Text erklärt, worum es bei der Kennzeichnung geht: „Zitrone für platten Sexismus.“
Dass diestandard.at nichts mit Zeitschriften oder Webseiten zu tun hat, die unter Frauenthemen Kosmetik- oder Shoppingtipps verstehen, wird spätestens hier deutlich. Als Plattform für
ehen, wird spätestens hier deutlich. Als Plattform für genderpolitische Nachrichten ist die Seite angekoppelt an Der Standard, eine der größten Tageszeitungen Österreichs. Während die Online-Version des Standard, derstandard.at, in Blau und Grau gehalten ist, präsentiert sich diestandard.at mit Hellgrün. Links oben auf der Website findet sich ein Kreis mit einem Kreuz: das Zeichen für Weiblichkeit.Die Trennung verwundert erst mal. Wieso eine eigene Website für Frauenthemen? Die verschiedenen Standard-Redaktionen sind im selben Haus untergebracht. Ina Freudenschuß, Chefredakteurin von diestandard, führt durch ein Großraumbüro. Die Zusammenarbeit zwischen den Redaktionen sei eng, erzählt sie, während sie den Weg in einen Konferenzraum weist.Geboren am 8. MärzAm 8. März 2000, am internationalen Frauentag, ging die Website online. Entstanden ist sie aus einer Initiative von Print- und Online-Redakteurinnen des Standard. Neben Problemen der Gleichstellung – am Arbeitsmarkt, in der Justiz, im Alltag – beobachtet die Redaktion etwa die Femenbewegung, schreibt über sexualisierte Gewalt oder Homophobie. Die Negativ-Auszeichnung „Zitrone“ wird regelmäßig an sexistische Werbe- und Medieninhalte verliehen. Und statt wie klassische Frauenmagazine den Weg zur Bikinifigur zu versprechen, wird über Schönheitsnormen und Essstörungen berichtet.„Es geht um Frauenpolitik und gesellschaftliche Strukturen“, sagt Freudenschuß. Eine Plattform ausschließlich für „biologische Frauen“ wollten sie gerade nicht sein, sondern die Geschlechterthematik „grundsätzlich in politische Diskussionen einbringen“. Die Situation von Frauen sei eine Frage der Menschenrechte. Wäre es aber gerade deshalb nicht sinnvoller, Artikel in anderen Ressorts unterzubringen, statt sie in einem eigenen Forum zu sammeln?Mit monatlich 95.000 Leserinnen und Lesern und dem tagesaktuellen Format ist diestandard in ihrer Ausrichtung einzigartig im deutschsprachigen Raum. Artikel werden zum Teil auch von derstandard.at verlinkt. Dennoch ist die Reichweite im Vergleich zum großen Bruder eher klein. Freudenschuß argumentiert hier pragmatisch. Es brauche Expertenwissen, um genderpolitischen Journalismus zu machen, Expertinnen, die sich austauschen, eine Redaktion bilden können. Deshalb sei es wichtig, ein eigenständiges Projekt zu unterhalten. „Und nicht, um die Frauenthemen in ein Getto zu schieben.“ Der unterschiedliche Zugang zeigt sich schon in der Sprache: Auf diestandard.at wird durchgehend gegendert. Außerdem schreiben mehr Frauen als Männer. Beim Standard ist dies, wie bei beinah allen größeren Medien, umgekehrt. Und während der Standard zu den Protesten in der Türkei titelt: „Erdoğan reißt der Geduldsfaden“, stehen auf diestandard.at andere Akteure im Mittelpunkt: „Junge Frauen an der Spitze der Proteste gegen Erdoğan“.Was auffällt: Es gib einige österreichische Projekte wie diestandard, zum Beispiel auch das bereits 25-jährige feministische Magazin an.schläge. Dass feministische Medien hier florieren, liegt auch an der Presseförderung. Sie stockt das traditionell kleine Budget von Spartenmedien auf und deckt so zumindest die Finanzierung von Büroräumen. diestandard finanziert sich über Werbeeinnahmen – was natürlich nicht ohne Widersprüche bleibt. Es passiere immer wieder, dass Anzeigen geschaltet werden, die eigentlich „zitroniert“ gehörten, so Freudenschuß. Es sei aber noch nie ein Problem gewesen, Einwände zu erheben und die Werbung wieder herunterzunehmen. Auch mit der Standard-Redaktion gebe es schon mal inhaltliche Differenzen: „Wir haben sicher eine andere Wahrnehmungsschwelle in Bezug auf Rassismen und Sexismen.“ So erschien die Nordsee-Werbung ebenso auf derstandard.at: Dort begnügte man sich allerdings mit einem Hinweis auf die Ankunft der aus Deutschland nach Österreich geschwappten Fischkampagne, ohne Zitrone, ohne Kritik.Elisabeth Klaus, Leiterin der Abteilung für Kommunikationstheorie und Mediensysteme an der Universität Salzburg, hält feministische Redaktionen für unverzichtbar – auch wenn heute mehr Frauen in Mainstream-Medien arbeiteten als früher. Feministische Redaktionen würden aber mit einem anderen Anspruch an die Themen herangehen. Statt der ständigen Suche nach Neuem ließen sie auch strukturelle Fragen zu, behandelten Themen abseits der „großen Politik“. Und statt sich objektiv zu geben, ergriffen sie klar Partei. „Jedes journalistische Schreiben ist nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit“, sagt Freudenschuß. Und da es in der sozialen Wirklichkeit nun mal Diskriminierung gebe, müsse man den Betroffenen „auf unseren Seiten Raum bieten“.Wer zum Thema befragt wirdTatsächlich macht es viel aus, wen man fragt. Etwa zum Thema Sexarbeit. „Bordell Deutschland“ titelte kürzlich der Spiegel und zitierte diejenigen, die das Gewerbe vor allem mit Menschenhandel in Verbindung bringen und dementsprechend Verbote fordern. Anders sieht die Sache aus, wenn man wie diestandard jene zu Wort kommen lässt, die von neuen Verboten betroffen wären. Die Initiative für Sexarbeiterinnen „Dona Carmen“ fordert das Gegenteil, nämlich mehr Rechte für ihre Klientel.Aber ist eine ausgelagerte Website der richtige Ort, um solchen Stimmen Gehör zu verschaffen? Nimmt das nicht andere Medien aus der Pflicht, sich darum zu kümmern? Im Gegenteil, sagt Freudenschuß. Feministische Medien hätten bereits in der Vergangenheit Druck auf Mainstream-Medien ausgeübt, „sich mit früher als abwegig gebrandmarkten Bereichen zu beschäftigen“. Was passieren kann, wenn eigene Foren für Genderthemen aufgegeben werden, zeigt eine Untersuchung von Brigitta Huhnke. Im Rahmen ihrer Dissertation erforschte sie unter anderem, was passierte, als die taz 1990 ihre „Frauenseite“ einstellte, um die Artikel auf alle Ressorts zu verteilen. Anstatt mehr darüber zu berichten, ging die Anzahl der Texte zu Emanzipationsfragen um 40 Prozent zurück.Der Vorwurf, man kapsele sich mit dem eigenen Forum ab, sei der Redaktion „sehr bekannt“, sagt Freudenschuß. Sie stelle dann gern die Gegenfrage: „Warum empfinden Sie es als Abwertung, dass es ein eigenes Medium dafür gibt?“ Manche scheinen sich allein durch die Existenz der Seite provoziert zu fühlen. Das legt zumindest die Flut subtil oder offen frauenfeindlicher Kommentare in den Leserforen nahe.diestandard vertritt einen Zugang, der oft quer zur Mainstream-Meinung verläuft. Ob es am Charakter journalistischer Berichterstattung etwas verändern würde, wenn eine Frauenquote durchgesetzt würde – und es 30 oder auch 50 Prozent Frauen in Chefredaktionen gebe –, bezweifelt Freudenschuß dementsprechend: „Es geht doch immer darum, was die jeweiligen Leute im Kopf haben.“ Immerhin wird der Standard auch von einer Frau geleitet.
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